Wachsen geht oft nur noch über einen zweiten Betriebsstandort. Doch das ist leichter gesagt als getan. Worauf es ankommt, damit das Projekt erfolgreich wird.
Eine der wenigen Möglichkeiten, wie Milcherzeuger heute noch wachsen können, sind der Kauf oder die Zupachtung eines weiteren Betriebsstandorts. Doch worauf kommt es an, wenn man einen solchen Schritt in Erwägung zieht? Martin Gorski von AVS (Alta Value Service), einer zu Alta Deutschland gehörenden Betriebs- und Produktionsberatung für Milcherzeuger, betreut seit rund zehn Jahren als Agrar-Banker bzw. Berater wachstumswillige Milchkuhbetriebe
Martin Gorski
AVS
betriebswirtschaftlicher Berater
Herr Gorski, wenn ein Milcherzeuger wachsen möchte, aber der eigene Standort ausgereizt oder keine Genehmigung absehbar ist, denken viele über einen zweiten Standort nach. Was halten Sie davon?
Gorski: Am einfachsten und effizientesten ist es, alle Tiergruppen auf einem Standort zu versammeln. Ist das nicht möglich, weil z.B. Genehmigungen fehlen oder ein Standort in Bezug auf die Futtergrundlage ausgereizt ist, kann eine weitere Betriebsstätte eine Lösung sein. Ein solches Wachstum macht aber nur Sinn, wenn mehr Kühe, Fläche oder Jungtierplätze auch tatsächlich zur Strategie eines Betriebes passen. Zwar ist es theoretisch richtig, dass mehr Milch steigende Kosten auffangen kann. Bei ganz vielen Leuten sind es jedoch die letzten 100 Kühen, die letzten Endes ein funktionierendes Betriebskonzept zum Einsturz bringen. Das macht die Vorbereitung eines solchen Wachstumsschrittes so wichtig.
Warum sich Betriebsleiter für das Halten von Rindern an mehreren Standorten entscheiden, wo sie Vorteile und Herausforderungen sehen und wie sie Arbeitsabläufe aufeinander abstimmen.
Was meinen Sie damit?
Gorski: Die Arbeit verändert sich. Man kann nicht mehr alles selbst machen und muss deutlich mehr organisieren, absprechen, Daten auswerten. Die Frage ist immer: Will ich das? Bin ich der Typ, der abgeben kann, Menschen und Gespräche führen möchte? Es ist total legitim, diese Frage mit ‚nein‘ zu beantworten und statt eines zweiten Standorts vielleicht lieber weniger Rinder aufzuziehen.
Und was beinhaltet für Sie eine Betriebsstrategie?
Gorski: Hier sollte ich mir über die grundsätzliche Ausrichtung klar werden: Macht „Wachstum“ überhaupt Sinn? Ist die Hofnachfolge absehbar? Gibt es auch in Zukunft noch ausreichend Futtergrundlagen? Aber auch: Können alle Betriebsbereiche gleichermaßen „mitwachsen“? Es bringt nichts, den Betrieb auf „maximal Milch“ auszulegen, Trockensteher oder Jungrinder in einem suboptimalen Altgebäude weit weg unterzubringen und dann die Milchleistung, die ich im neuen, modernen Kuhstall erreichen könnte, woanders zu verlieren. Die Betriebsstätten müssen von der Güte her zueinander passen, sodass das Betriebskonzept „rund“ wird.
Gorski: Wichtig ist, sich vor allem über drei Punkte Gedanken zu machen: Futter, Gülle, Arbeit. Haben Sie für alles drei freie Kapazitäten und eine Idee, wie Sie das in Zukunft organisieren möchten, ist eine Betriebsübernahme derzeit wahrscheinlich die wirtschaftlichste Möglichkeit für betriebliches Wachstum.
Was bestimmt denn die Wirtschaftlichkeit?
Gorski: Der Gewinn liegt im Einkauf. Als Richtwert gilt, dass der Kapitaldienst, also Zins und Tilgung, 5 ct/kg Milch nicht überschreiten sollte. Ist der Standort schon gut automatisiert, kann sich gegebenenfalls auch ein höherer Preis rechnen. Das sollten Sie individuell mit Ihrem Steuer- oder betriebswirtschaftlichen Berater kalkulieren. Für mich wäre noch wichtig: Wie hoch ist der Aufwand für Modernisierungen und Umbau? Ist ausreichend Güllelagerraum vorhanden? Außerdem würde ich mir unbedingt die Genehmigungen zeigen lassen – nur genehmigte Silolagerflächen und Kuhplätze dienen als Berechnungsgrundlage für Kaufpreis oder Pacht!
Der neue Standort muss also alle zusätzlichen Kosten und den Kapitaldienst bzw. Mietansatz abwerfen?
Gorski: Ja, plus Erschwerniszulage. Denn der Aufwand wird steigen, das sollte sich im Ergebnis widerspiegeln.
Zwei Standorte zu managen, ist anspruchsvoll. Zwei melkende Standorte sind die Königsdisziplin – gut bekommen das die wenigsten hin!
Martin Gorski
Würden Sie pachten oder kaufen?
Gorski: Nicht überall stehen Betriebe zum Kauf bereit. Dazu kommt, dass ein Pachtzins oft deutlich niedriger ist als die Belastung durch einen Kauf und durch die Kündigungsmöglichkeit flexibler. Hier sollten Sie aber klären, wer gegebenenfalls Renovierungsarbeiten oder Änderungen in der Aufstallung bezahlt.
Gut. Wir haben jetzt ein entwicklungsfähiges Objekt gefunden, das zu unserer Arbeitsweise und zur Betriebsstrategie passt. Wer zieht dort ein?
Gorski: Grundsätzlich lassen sich melkende Kühe, Trockensteher oder Jungrinder auslagern. Während Rinder relativ einfach weiter weg untergebracht werden können, steigt die Komplexität bei Trockenstehern und Melkenden deutlich an. Rinder müssen „nur“ gefüttert, kontrolliert und besamt werden. Trockensteher sind empfindlich, gerade in Bezug auf Transportstress, müssen engmaschig überprüft und komfortabel gehalten werden. Bei einer weiteren melkenden Herde fällt die meiste Arbeit zusätzlich an. Das ist an -Aufwand nicht zu unterschätzen! Doppelte Routinen, doppelte Technik, …
Also sind Sie eher für die Auslagerung der Jungrinderaufzucht?
Gorski: Ja, das ist erfahrungsgemäß etwas weniger komplex. Der vorhandene Standort lässt sich deutlich effizienter ausnutzen, wenn nur melkende Tiere dort untergebracht sind. Die Jungrinderaufzucht zu professionalisieren, führt langfristig zu leistungsstärkeren Jungkühen, auch wenn sich das für den Moment schwer in Zahlen fassen lässt. Aber: Wer macht die Arbeit vor Ort? Ist es möglich, sie vom Hauptstandort aus zu übernehmen oder sind zusätzliche Angestellte nötig? Wie häufig müssen Sie selbst vor Ort sein? Die Erfahrung zeigt, dass je nach Personalausstattung vierzehntägige, besser sogar wöchentliche Besuche durch den Betriebsleiter stattfinden müssen. Unbedingt Zeit im Auto einplanen!
Gleiche Systeme fahren
Werden mehrere Standorte gleichzeitig bewirtschaftet, ist es enorm wichtig, auf allen Standorten die gleiche Technik (z. B. Sensoren, AMS bzw. Melktechnik, HM-Software, Stalltechnik usw.) vorzuhalten. So wird nicht nur sichergestellt, dass ein Mitarbeiter kurzfristig in einem anderen Stall eingesetzt werden kann (keine Einarbeitung nötig), auch lassen sich so Arbeitsabläufe weitgehend synchronisieren. Zudem ist der Service viel einfacher zu handhaben.
Wie behalte ich den Überblick?
Gorski: Dokumentation und Datenmanagement müssen digital erfolgen. Es ist unmöglich, ohne gutes Herdenmanagementprogramm, zentrale Datenerfassung und saubere Datenpflege den Überblick über die verschiedenen Betriebsstandorte zu behalten oder zu kontrollieren, ob die Mitarbeiter Arbeitsabläufe auch tatsächlich so durchführen wie besprochen.
Aber hilft aber eine gewisse Größe nicht dabei, wirtschaftlicher zu werden, z.B. durch einen zentralen Betriebsmitteleinkauf?
Gorski: Klar. Größere Einheiten können bessere Ein- oder Verkaufsbedingungen aushandeln. Doch der Effekt ist marginal. Die Arbeit am Tier und ein gutes Konzept werden bei Weitem wichtigster Einflussfaktor bleiben!
Vielen Dank.
Zwei Standorte oder zwei Betriebe?
Bei den Überlegungen einbezogen werden sollte auch, wie genau der Betrieb in Zukunft strukturiert sein soll. Grundsätzlich gilt: Solange man „ein Betrieb“ (ein Unternehmer nach §2 Umsatzsteuergesetz), ist steuerlich die Anzahl der Standorte egal, erklärt Steuerfachwirt Benjamin Böse, Wetreu Bremervörde. Ertragssteuerlich kann es Sinn ergeben, Vieheinheiten in einen zweiten Betrieb auszulagern, wenn ansonsten die Grenze der Großvieheinheiten überschritten und der Betrieb gewerblich werden würde.
Wenn Sie zwei Betriebe führen möchten, sollten Sie mit dem Steuerberater überlegen, wie Sie Kosten und Umsätze auf die beiden Betriebe verteilen. Aber Vorsicht: Findet die Aufteilung tatsächlich in zwei (oder mehrere) Betriebe statt, steigt der Verwaltungsaufwand! Sie führen dann zwei vollwertige Unternehmen, die untereinander klar Stellung beziehen müssen (gegenseitig Rechnungen schreiben, Behandlung wie unter fremden Dritten…).
Benjamin Böse rät daher, sich die Zahlen im Vorfeld genau anzuschauen: „Das wichtigste ist, dass man beratungsoffen ist und einsieht, wenn z.B. 600 Kühe auf einer Hofstelle einen höheren Deckungsbeitrag erwirtschaften als 1.000 Kühe auf zwei Standorten. Das findet man allerdings nur heraus, wenn man auch diejenigen Kosten einbezieht, die auf keinem Konto auftauchen: die Fahrtzeit oder der erhöhte Zeitbedarf fürs Management, zum Beispiel.“
Hohe Zinsen, eine mangelhafte öffentliche Infrastruktur und ein sinkender Milchkonsum – wie agieren südamerikanische Milchfarmer unter diesen Herausforderungen?