Hat die GVO-freie Milch noch eine Zukunft? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, denn die Signale aus der Branche sind widersprüchlich. Nachdem der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und der Verband der Deutschen Tiernahrung (DVT) auf ein mögliches knappes Angebot an gentechnikfreien Rohstoffen aufmerksam gemacht haben, haben einige deutsche Molkereien ihren Lieferanten nun die Möglichkeit eröffnet, eine Vertragspause (GVO-Freiheit) einzulegen. Wie wird das Angebot von den Milcherzeugern angenommen? Setzen die Handelsketten (LEH) die Verbände unter Druck?
Immer wiederkehrende hohe Preise für Eiweißfuttermittel werfen die Frage auf, ob der Anbau heimischer Körnerleguminosen Sinn macht.
GVO-freies Soja könnte knapp werden
Mögliche Lieferengpässe sind vor allem bei GVO-freiem Soja in der Diskussion. Diese hätten jedoch nur begrenzte Auswirkungen auf die Milchkuhfütterung. Denn Sojaextraktionsschrot kann auch in Hochleistungsrationen komplett durch Raps ersetzt werden. Daher haben viele Milcherzeuger in den vergangenen Jahren bereits auf Rapsextraktionsschrot als Eiweißergänzer umgestellt. Allerdings wollen Betriebe mit maisbetonten Rationen nur ungern auf Soja verzichten.
Damit könnte aber auch die, in der kommenden Ernte erwartete Rapsmenge, ein Hemmschuh für die Fütterung werden. Denn in Deutschland selbst wird nur ca. ein Drittel der benötigten Ölsaat angebaut.
Futtermittelhändler erwarten keine nennenswerten Engpässe
Futtermittelhändler, mit denen wir gesprochen haben, sehen die Versorgung mit Raps und GVO-freiem Soja jedoch trotz der weltpolitischen Unwägbarkeiten auch in absehbarer Zeit als gesichert an. „Stand heute gehen wir davon aus, dass es vorerst keine größeren Versorgungsengpässe bei GVO-freiem Raps- und Sojaschrot gibt“, so Pressesprecherin Antje Krieger von der BayWa in München. Auch René Schwarz, Geschäftsführer der Raiffeisen Vital eG (NRW), und Simone Beukelmann, BayWa Agrarhandel (Ostdeutschland), bestätigen diese Einschätzung.
Im kommenden Herbst und Winter scheint die Verfügbarkeit von GVO-freien Eiweißträgern gesichert, denn in der EU 27 sei u.a. von einer größeren Anbaufläche bei Soja auszugehen, so die BayWa. Die Handelsströme hätten sich in den letzten Wochen bereits verstärkt in die Länder Ungarn und Italien verlagert. Und auch bei Raps berichten Analysten von einer 10 % höheren Anbaufläche.
Das Raiffeisen Kraftfutterwerk Kehl hat nach eigenen Angaben bereits Soja-Kontrakte bis in den Herbst und Winter abgeschlossen. Hinzu komme der eigene Vertragsanbau von GVO-freiem Soja. „Es gibt weltweit keinen Versorgungsengpass“, so eine Sprecherin vom RKW Kehl. Ein kurzfristiges Umschwenken weg von GVO-freier Ware wäre für viele Futtermittelunternehmen selbstverständlich möglich, so René Schwarz, Geschäftsführer der Raiffeisen Vital eG. Die Nachfrage nach GVO – freien Futter- und Lebensmitteln würde langfristig allerdings Bestand haben, so seine Einschätzung.
Wie geht es mit den Preisen weiter?
Auch bei den Preisen ist laut Futtermittelhändler Erholung in Sicht: So sieht z.B. Johannes Lohrmann vom Allgaier Agrarhandel in Allmendingen die Lage mittlerweile entspannter als noch vor ein paar Wochen: „Der Preisabstand von GVO-freiem Soja zu konventionellem Soja ist zuletzt etwas gesunken.“ Aktuell betrage er aber immer noch gewaltige ca. 25 bis 30 €/dt. Zu „normalen“ Zeiten waren es 6 bis 12 €/dt. Auch das Preisniveau bei Raps, der in den letzten zwei Monaten ähnlich teuer war wie GVO-freies Soja, habe sich wieder abgeschwächt.
Rapsschrot lag zuletzt nur noch bei 375 € je t (Mai 500 €/t). Für spätere Termine bewegen sich die Preise sogar noch niedriger, bei rund 350 € je t.
Die weitere Entwicklung hängt nach Ansicht der Marktteilnehmer aktuell dennoch von vielen Unbekannten ab: vom Kriegsverlauf und einem drohenden Embargo gegen Russland, von der bevorstehenden Ernte und den Verarbeitungsmöglichkeiten in der Ukraine und in der EU, von der notwendigen Logistik, aber auch von der Rapsverfügbarkeit (GVO-frei) in Nordamerika. Und nicht zuletzt von der hierzulande diskutierten Aussetzung des Beimischzwanges von Rapsöl zu Biodiesel.
Kommentar: Interesse an GVO-frei schwindet weiter
Unsere Recherche zeigt: Aktuell und in naher Zukunft scheint die Verfügbarkeit von GVO-freien Futtermitteln gesichert. Soll aber weiter breitflächig GVO-freie Milch im Regal stehen, muss der Handel angesichts der enorm gestiegenen Futtermittelpreise bei den Zuschlägen dringend nachbessern. Bisher bewegt er sich nach Aussage von Molkereivertretern aber nicht. Intern läuft in vielen Molkereien offenbar die Diskussion um einen Ausstieg auf Hochtouren. Ein großer bayerischer Käseproduzent will darüber schon in Kürze seine Mitglieder entscheiden lassen.
Fast könnte man den Eindruck bekommen, dass auch die großen Discounter an dem bisher so gepriesenen „GVO-frei Standard“ gar kein Interesse mehr haben. Schon jetzt, bei einer Inflation von 7,9 % in Deutschland, zeigt sich, dass viele Verbraucher günstige (Milch)Produkte vorziehen. Die Bereitschaft, mehr für Label wie die Gentechnik-freie Milch zu zahlen, schwindet.
Doch eine Sorge bleibt: Wie (und mit welcher Lautstärke) werden Verbraucherorganisationen auf einen möglichen Wegfall der GVO-Freiheit bei Milchprodukten reagieren? Sollte das Siegel demnächst von den Verpackungen entfernt werden, dann sollte den Verbrauchern auch klar kommuniziert werden warum (zu teuer!). Der Lebensmitteleinzelhandel muss dann dafür einstehen. Schließlich hat er vor Jahren den Ohne-Gentechnik-Standard quasi über Nacht eingeführt. Keinesfalls dürfen die Milcherzeuger, als die Buhmänner dastehen! Hier ist auch der Berufsstand dringend gefragt, es den Verbrauchern richtig zu erklären.
Aussetzen der Verträge möglich
Trotz der scheinbar, zumindest derzeit, entspannten Lage haben sich einige Molkereien wie das Deutsche Milchkontor (DMK) oder Arla Foods dazu entschlossen, ihren Lieferanten eine Vertragspause, keine Kündigung, anzubieten. „Einige Landwirte haben zu uns Kontakt aufgenommen, in der Sorge, dass sie in naher Zukunft keine gentechnikfreien Futtermittel mehr zur Verfügung haben könnten und entsprechend in dem Fall ihre Lieferverträge nicht erfüllen könnten“, so Oliver Bartelt, Pressesprecher DMK Group.
Um ihre Lieferanten bestmöglich zu unterstützen, gäbe das DMK den Landwirten in diesem Fall die Möglichkeit, eine Pausierung ihrer Liefer- und Qualitätsvereinbarung „GVO-freie Milcherzeugung nach VLOG-Standard“ zu beantragen. Bisher registrierte das Deutsche Milchkontor jedoch keine nennenswerte Nachfrage nach diesem Angebot. Auch bei Arla wird von der Möglichkeit des Aussetzens bisher nur in Einzelfällen Gebrauch gemacht, so Arla-Pressesprecher Markus Teubner.
Das sagen die süddeutschen Molkereien
Ähnliches berichten auch Vertreter süddeutscher Molkereien: Es gebe bisher nur vereinzelt Anfragen von Erzeugern, heißt es unisono. Viele Betriebe würden schon seit Jahren Alternativen zu GVO-freiem Sojaschrot wie Rapsschrot, Maisschlempen oder Luzerne einsetzen. Bei der Molkerei Gropper zum Beispiel kommen z.B. bereits 60 % der Lieferbetriebe komplett ohne Soja und ohne Raps aus.
Mehrere Monate ohne VLOG-Zuschlag
Der Hauptgrund für die ausbleibende Nachfrage dürfte sicherlich sein, dass die Milcherzeuger schriftlich von Futtermittellieferanten nachweisen müssen, dass sie keine GVO-freien Futtermittel beziehen können. Und diese Zusage werden sie derzeit wohl kaum bekommen. Zudem verlieren sie nicht nur in der Vertragspause selbst, sondern auch in der anschließenden dreimonatigen Mindestfütterungsfrist den VLOG-Zuschlag (0,8 bis 1,5ct/kg Milch je nach Molkerei). Gerade in Anbetracht dieser drei Monate, in denen dann wieder GVO-freies Futter verfüttert, aber nicht entgolten wird, macht ein Aussetzen auch finanziell kaum attraktiv.
Im Süden ist kein Aussetzen möglich
Im Süden gibt es bisher kein Angebot seitens der Molkereien, zeitweise aus der GVO-freien Produktion auszusteigen.
Bei der BMI eG in Landshut ist die GVO-freie Anlieferung zum Beispiel fest in der Milchlieferverordnung integriert.
Bei Gropper ist ein Pausieren oder ein Ausstieg aus der GVO-freien Erzeugung aktuell nicht möglich, denn dann müsste die Molkerei einen vierten Milchstrom einrichten, was erhebliche Mehrkosten bedeuten würde. „Wenn wirklich kein Futter mehr verfügbar wäre, müssen wir reagieren. Aber diese Situation sehen wir aktuell nicht“, so ein Vertreter von Gropper.
Bei den Milchwerken Schwaben können Kündiger durch die sechsmonatige Kündigungsfrist frühestens zum Jahresende aus der VLOG-Vereinbarung aussteigen.
Markenmolkereien, wie die Schwarzwaldmilch oder die Molkerei Berchtesgadener Land, die als eine der ersten Unternehmen komplett auf GVO-freie Produktion gesetzt haben, halten am Programm fest und bieten ihren Lieferanten derzeit auch keine freiwillige Pausier- oder Ausstiegsmöglichkeit. Durch den hohen Grünlandanteil der Betriebe im Berchtesgadener Land sei die Abhängigkeit von Zukauffuttermitteln ohnehin nicht so groß wie in anderen Regionen, teilt die Pressesprecherin der Berchtesgadener Molkerei mit. Man beobachte den Markt derzeit aber sehr genau.
„Wir wissen um die Herausforderungen und realisieren notwendige Preisanpassungen Richtung Handel, um den Milchauszahlungspreis weiter zu erhöhen, sagt Heinz Kaiser, Geschäftsleiter Landwirtschaft/Produktion/Logistik bei der Schwarzwaldmilch. Bisher bewege sich der Handel hier aber nicht, berichten Molkereivertreter übereinstimmend.
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Und was sagt der LEH zum Ohne-Gentechnik-Siegel?
Und das, trotzdem die Ohne-Gentechnik-Produkte in den vergangenen Jahren für den Lebensmitteleinzelhandel scheinbar ein Erfolge waren. So jedenfalls berichtete es der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. am vergangenen Mittwoch. Nach seinen Angaben habe sich der Gesamtumsatz von 2020 auf 2021 nochmals um 4,3% auf 13,2 Mrd. Euro erhöht. Wovon allein auf Milch und Milchprodukte 9,3 Mrd. € entfielen!
Lidl setze deshalb, nach eigenen Angaben, nach wie vor auf den konsequenten Ausbau des gentechnikfreien Sortiments. „Damit entsprechen wir dem Wunsch der Verbraucher nach Lebensmitteln, die gentechnikfrei produziert wurden. Die Warenversorgung mit Milch- und Molkereiprodukten ohne Gentechnik in den Filialen ist grundsätzlich sichergestellt. Mit unseren Lieferanten stehen wir in enger Abstimmung“, so ein Pressesprecher Lidl Deutschland. Allerdings würde man zur zukünftigen Sortimentsgestaltung keine Angaben machen.
ALDI Nord und ALDI SÜD wollen - sofern umsetzbar - wie bisher bei entsprechenden Artikeln an dem Einsatz von gentechnikfreien Futtermitteln festhalten. Dem „Ohne Gentechnik“-Siegel komme hier, laut Pressevertretern, zur Verbraucherinformation weiterhin eine wichtige Bedeutung zu. „Die Warenverfügbarkeit für unsere Kunden hat oberste Priorität, weshalb wir in der aktuellen Situation laufend in enger Abstimmung mit allen relevanten Partnern entlang der Wertschöpfungskette stehen, um bei Bedarf auch kurzfristig reagieren zu können.“
VLOG bereitet Ausstiegskonzept vor
Gemeinsam mit anderen Wirtschaftsverbänden hat auch der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. (VLOG) mittlerweile ein Konzept für den Fall erarbeitet, dass kurzfristig keine GVO-freien Futtermittel mehr verfügbar sein sollten und gleichzeitig nur Verpackungen mit dem „Ohne GenTechnik-Siegel“ zur Verfügung stehen. „Wir wollen uns und die „Ohne-Gentechnik“-Branche vorausschauend für das beschriebene Szenario wappnen, auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist“, so VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting.
Im Detail könne man das Konzept noch nicht veröffentlichen. Denn aktuell liege der Entwurf noch der Arbeitsgruppe Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz zur Prüfung vor. Auf eine Rückmeldung warte man derzeit noch.
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Man versuche jedoch, die Regelungen praxistauglich zu gestalten, damit sie gegebenenfalls einer möglichen Ausnahmesituation gerecht würden. In jedem Fall müssten Tiere, wenn sie vorübergehend als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnetes Futter erhalten sollten, die gesetzlich vorgeschriebene Fütterungsfrist durchlaufen, bevor ihre Produkte wieder ohne Einschränkung mit dem "Ohne GenTechnik"-Siegel gekennzeichnet werden könnten. Hierbei seien nicht VLOG-Vorgaben, sondern der Gesetzestext maßgeblich, betont Hissting weiter.
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