Ist die Erzeugung GVO-freier Milch in Deutschland mittel- und langfristig noch möglich? Darüber ist mittlerweile eine heftige Diskussion entbrannt. Hintergrund ist die Frage, ob künftig noch GVO-freie Futtermittel - insbesondere Raps und Soja - in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Nein, behaupten der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und der Verband der Deutschen Tiernahrung (DVT). Die drei Verbände erklären dass Russland und die Ukraine, die bisher...
Ist die Erzeugung GVO-freier Milch in Deutschland mittel- und langfristig noch möglich? Darüber ist mittlerweile eine heftige Diskussion entbrannt. Hintergrund ist die Frage, ob künftig noch GVO-freie Futtermittel - insbesondere Raps und Soja - in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Nein, behaupten der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und der Verband der Deutschen Tiernahrung (DVT). Die drei Verbände erklären dass Russland und die Ukraine, die bisher zu den wichtigsten Lieferanten GVO-freier Rohstoffe (Raps, Soja) zählten, auf unbestimmte Zeit ausfallen“. Eine Versorgung mit GVO-freien Futtermitteln scheint ihrer Ansicht nach nur maximal bis zur nächsten Ernte gesichert.
Ja, in jedem Fall ist vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) und dem Verein Donau Soja zu hören. Es gebe keine Engpässe bei der Versorgung mit GVO-freien Futtermitteln, die Versorgungssicherheit sei langfristig gesichert. Der Anteil der Importe aus Russland und der Ukraine sei ohnehin nur gering und werde kompensiert.
Und was sagen die Molkereien, die letztlich dem Handel die GVO-freien Milchprodukte liefern müssen? Gegenüber Elite erklärten Vertreter des MIV, dass man insgesamt das Geschäft mit gentechnikfreien Lebensmitteln als gefährdet einstufe. „Wir können im Sommer nicht blank dastehen. Der Vorlauf für die Verpackungsproduktion beträgt vier Monate“, erläutert MIV Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser. „Es besteht Handlungszwang.“ Eine Molkerei darf nicht normale und GVO-freie Milch vermengen, denn im gentechnikrecht besteht Nulltoleranz. Kennzeichnungsverstöße sind strafbewehrt.
GVO-freie Ware ist ein Preis-, kein Versorgungsproblem
Matthias Krön, Donau Soja
Anscheinend verfolgen die beiden Lager, die drei großen Verbände auf der einen und Donau Soja und VLOG auf der anderen Seite, unterschiedliche Ziele. Während die drei Verbände sich aufgrund der stark gestiegenen Kosten für GVO-freie Futtermittel gerne von der GVO-freien Milch verabschieden würden („Versorgung mit GVO-freien Lebensmitteln ist unrealistisch“) sehen Donau Soja und VLOG dies naturgemäß anders, denn ihr Geschäftsmodell basiert ja auf der Erzeugung GVO-freier Lebensmittel.
Die drei großen Verbände kritisieren denn auch, dass GVO-freie Ware nur noch zu horrenden Preisen zur Verfügung stehe und Verträge für das 2. Halbjahr 2022 kaum möglich sind. Zudem sei die Ukraine bislang ein großer Lieferant dieser Futtermittel gewesen – jetzt säßen die Schiffe fest, Lkw und Züge würden es nicht schaffen, die für den Markt notwendigen Menge auszuführen. Noch dazu sei unklar, welche Flächen in diesem Jahr in der Ukraine bestellt und geerntet werden können.
Die Preise schnellten schon vor dem Krieg in die Höhe
Fakt ist jedoch, dass Futtermittel „Ohne Gentechnik“ schon seit vor einem Jahr deutlich teurer geworden sind. So liegen die Aufschläge für GVO-freies Soja bereits seit Längerem bei rund 220 € pro Tonne. „Daran hat sich auch seit dem Beginn des Ukrainekriegs nichts geändert“, erläutert Matthias Krön, der Präsident des Vereins Donau Soja gegenüber Elite.
Laut Eurostat hat Deutschland im Mittel der vergangenen fünf Jahre rund 280.000 Tonnen gentechnikfreie Sojabohnen und 287.000 Tonnen gentechnikfreies Sojaschrot importiert. Das entspricht einem Anteil von 8 % bei den Sojabohnen und 12,6 % bei den Sojaschrot-Importen. Aus der Ukraine stammten davon 49.220 Tonnen Bohnen und 2.025 Tonnen Sojaschrot, was wiederum einem Anteil von 18 % bei Bohnen und nur 0,7 % bei Sojaschrot entspricht. Ähnlich dürfte sich die Situation bei gentechnikfreien Raps darstellen.
Sojaanbau in der EU wird stark ausgedehnt
Eine Analyse von AgriCensus (veröffentlicht am 16. März 2022) schätzt, dass im Worst-Case-Szenario diesen April etwa 70 % der geplanten Raps- und Sojaaussaatflächen in der Ukraine bestellt werden. Da die großen Häfen in der Ukraine in absehbarer Zeit nicht arbeiten würden, werde die Ukraine mehr Raps, Soja und Mais über den Landweg in die EU exportieren. „Das mag pervers klingen, aber die EU profitiert von der schrecklichen Situation in der Ukraine“, so Krön. Hinzu kommt, dass der Anbau an gentechnikfreiem Soja in der EU in diesem Jahr um 10 bis 15 % ausgedehnt wird. Da außer Deutschland und Österreich niemand in der EU die gentechnikfreie Ware abnehme, erwarten VLOG und Donau Soja denn auch eine ausreichende Verfügbarkeit an GVO-freien Soja und Raps in Deutschland bis zum Sommer 2023.
Setzt der LEH die Verbände unter Druck?
„Überhastete Ausstiegsmaßnahmen und laute Krisen-Rhetorik wie derzeit von einigen Verbänden in Deutschland thematisiert, schaden der Protein-Versorgung in Europa“, kommentiert Matthias Krön. „Die Verfügbarkeit von GVO-freien Futtermitteln ist kein Versorgungs- sondern ein Preisproblem!“, so Krön weiter. „Mehrkosten müssen entlang der Lieferkette fair abgegolten werden.“
Die Leidtragenden sind die Milcherzeuger, welche die Aufschläge für GVO-freie Ware nicht an die Molkereien weiterreichen können. Die meisten Molkereien zahlen (immer noch) – wenn überhaupt – gerade mal einen Cent zusätzlich für die GVO-freie Milch. Das ist deutlich zu wenig. Aber auch die Milchverarbeiter stehen gerade unter einem enormen Kostendruck, auch sie müssten eigentlich die höheren Produktionskosten an den Handel weitergeben. Doch die Handelsketten sehen sich anscheinend gerade als Wächter der Inflation. Sie haben jahrelang die Verbraucher auf günstige Preise eingeschworen, jetzt eine 180° Wende zu vollziehen, ist für sie sehr schwierig. Um die notwendige Kurskorrektur in letzter Minute noch zu verhindern, setzen die Handelsketten lieber die großen Verbände und die Milchindustrie unter Druck. Die sollen es jetzt richten, wenn schon, dann sollen die die GVO-Freiheit kippen – der LEH wäre dann fein raus, frei nach dem Motto: „Wir können ja nur verkaufen, was uns angeboten wird.“
Alternative „entwaldungsfreie Produktion“
Und eine Alternative zu GVO-frei ist ja auch schon in Sicht: Futtermittel aus „entwaldungsfreier Produktion.“ Gemeint ist damit, dass die Produktion von Agrarrohstoffen die Waldökosysteme in einem definierten Gebiet weder in ihrer Gesamtfläche noch in ihrem Zustand beeinträchtigt. In Brüssel wird gerade an einer entsprechenden EU-Verordnung gearbeitet. Der Bauernverband hat sich bereits für diese Alternative als GVO-frei Ersatz ausgesprochen. Auch den Molkereien kommt diese Strategie sehr gelegen, denn so richtig warm geworden sind die Molkereien mit dem GVO-frei Siegel noch nie. Wenn die Milcherzeuger wieder auf normalen Raps und Soja zurückgreifen könnten, dann würde letztlich deren Druck auf die Milchpreise etwas abnehmen. Bei der Logistik müssten keine Veränderungen erfolgen, und auch international könnte sich die Branche nachhaltiger präsentieren – GVO-Freiheit spielt ja ohnehin nur auf dem im deutschsprachigen Raum eine Rolle.
Letztlich wird der Handel über die Zukunft der Milchprodukte „Ohne Gentechnik“ entscheiden. Fordert der LEH weiterhin GVO-freie Ware, werden sich bestimmt einige Molkereien finden, die liefern.
Bei einem Importstopp für russisches Gas müssten viele Molkereien die Produktion einstellen, warnt der MIV. Das ist derzeit aber nicht das einzige Problem.
Proteinfuttermittel sind ein wichtiger Rationsbestandteil für Kühe. Doch gibt es bei den jetzigen Preis-Höhenflügen Alternativen zu Raps und Co.?