Es war schon bezeichnend, dass das Milchforum ausgerechnet in einem Hotel ausgerichtet wurde, das gerade komplett umgebaut wird. Da war nicht nur beim Veranstalter improvisieren angesagt, es lassen sich durchaus auch Parallelen zu der aktuellen Situation bzw. den Herausforderungen der Milchbranche ziehen. Denn auch diese gleichen derzeit einer Großbaustelle.
Der MIV-Vorsitzende Peter Stahl (Hochland) sprach denn ungewöhnlich offen die einzelnen Baustellen an: Rohstoffmangel,...
Es war schon bezeichnend, dass das Milchforum ausgerechnet in einem Hotel ausgerichtet wurde, das gerade komplett umgebaut wird. Da war nicht nur beim Veranstalter improvisieren angesagt, es lassen sich durchaus auch Parallelen zu der aktuellen Situation bzw. den Herausforderungen der Milchbranche ziehen. Denn auch diese gleichen derzeit einer Großbaustelle.
Der MIV-Vorsitzende Peter Stahl (Hochland) sprach denn ungewöhnlich offen die einzelnen Baustellen an: Rohstoffmangel, Logistikprobleme, die hohe Teuerungsrate bzw. eine zu geringe Wertschöpfung, ein drohender Importstopp für russisches Gas und das Thema Tierwohlkennzeichen.
Ungewöhnlich, selbst für Insider der Branche war zu vernehmen, dass der Milchindustrieverbands (MIV) „eingestand“, dass die Molkereien im Wettbewerb um den Rohstoff zunehmend unter Druck geraten. Das gab’s noch nie zuvor. Milch war bislang immer ein Überschuss an Milch vorhanden (womit sich ein Anstieg der Milchpreise argumentativ immer abwehren ließ). Doch die Zeiten haben sich geändert. Der massive Strukturwandel, der immer mehr Milcherzeuger hinwegfegt, macht den Rohstoff Milch so langsam aber sicher zur knappen Ware.
Molkereien zahlen über Verwertung aus
Einige Molkereien seien deshalb mittlerweile sogar dazu gezwungen Milchpreise zu zahlen, die über ihrer Verwertung liegen, erklärte der MIV-Vorsitzende Peter Stahl (Hochland). Während diejenigen Molkereien, die traditionell stark im Handel von gering verarbeiteten Rohwaren (Bulk) unterwegs sind, sehr rasch die Milchpreise für die Erzeuger anheben konnten (der „Kieler Rohstoffwert Milch“, der die Verwertung von Pulver und Butter widerspiegelt, ist mittlerweile auf über 60 Ct/ kg Rohmilch geklettert), mussten die Nachbarmolkereien, die mit einem hohen Anteil im Lebensmitteleinzelhandel vertreten sind, ebenfalls ihre Milchpreise anheben, um im Wettbewerb um den Rohstoff zu bestehen. „Dies ist auf Dauer aber nicht zu leisten“, schätzt Stahl, „die Abgabepreise an den LEH müssen schnell angepasst werden!“ Der MIV-Vorsitzende kritisierte in diesem Zusammengang, dass aktuell erst wenige Abgabepreise an den LEH angehoben wurden (nur Butter und einige Käse). Die große Welle der Preisanhebungen steht erst für Juni/Juli an.
„Die Abgabepreise an den LEH müssen schnell angepasst werden!“
MIV-Vorsitzende Peter Stahl
Von der breiten Preisanhebung bei Aldi („400 Artikel“) lande aktuell also so gut wie nichts bei den Molkereien, so Stahl. Er sprach sich deshalb auch für kürzere Kontraktzeiten aus. Bei Käse sollte angesichts der unkalkulierbaren Entwicklungen im Markt mit Handel nicht mehr alle sechs, sondern jeden Monat verhandelt werden.
Der Handel könne nicht immer nur günstiger einkaufen, er dürfe jetzt nicht weiter auf Zeit spielen, machte der MIV-Vorsitzende unmissverständlich klar. Mit starken Worten wandte sich der Molkereimanager aber auch an die Molkereien. Sie müssen in den Kontraktverhandlungen mit dem LEH Mindestpreise ansetzen, „sonst können wir irgendwann nicht mehr liefern!“
Ohne russisches Gas geht es nicht!
Ein Importstopp von russischem Gas wäre laut dem MIV mehr als bedrohlich. In diesem Fall müsste die Milchindustrie sehr schnell die Produktion einstellen, warnte Stahl. Eine Umstellung auf andere Energieträger, z.B. Heizöl, sei nicht ohne weiteres möglich. Stahl forderte deshalb die Politik auf, die Milchindustrie mit ihren Vorlieferanten bei der Gaszuteilung in jedem Fall zu den kritischen Branchen zu zählen.
GVO-frei vor dem Aus?
Dringenden Diskussionsbedarf sieht der MIV auch im Bereich der GVO-freien Milch. Als Folge des Ukraine-Krieges drohe ein akuter Mangel an entsprechendem Futter, was viele Marktbegleiter jedoch anders sehen. Seitens des MIV wird insbesondere den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) kritisiert, der das Siegel "Ohne GenTechnik" für Lebensmittel und das Siegel "VLOG geprüft" für Futtermittel vergibt. „Was bisher von VLOG an Lösungsvorschlägen gekommen ist, ist nicht praxistauglich“, kritisierte Stahl. VLOG hatte kürzlich erst erklärt, dass der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und der Deutsche Verband Tiernahrung (DVT) versuchen würden, einen Zusammenbruch der „Ohne Gentechnik“-Produktion herbeizureden. Dass eine Aufrechterhaltung der Versorgung des breiten Marktes mit gentechnikfreier Ware längerfristig nicht realistisch sei - wie die beiden genannten Verbände behaupteten - sei bewusst irreführend, so der VLOG.
Allerdings sehen auch weitere Marktexperten die flächendeckende Versorgung mit GVO-freien Futtermitteln durchaus kritisch. So glaubt auch Monika Wohlfarth (ZMB) nicht an die Versorgungssicherheit. Sie erklärte, dass die vorhandene Ware die Ukraine derzeit nicht verlassen könne, die Anbaufläche sinke und dass alternative Futtermittel nicht sichtbar seien. Stahl mahnte denn auch ein proaktives Handeln an, denn die Molkereien brauchen lange Vorlaufzeiten für eine Umstellung, z.B. für neues Verpackungsmaterial (was zudem kaum verfügbar ist, Vorlaufzeit mind. vier Monate). Eckhard Heuser, MIV-Geschäftsführer, verwies darauf, dass sich die Molkereien im Fall des Abfüllens von nicht GVO-freier Milch in die mit dem VLOG-Label GVO-frei gekennzeichneten Verpackungen, strafbar machen würden. „Hier bedarf es zunächst Gesetzesänderungen auf Landesebene.“ Das zeigt, wie kompliziert sich die Situation gerade darstellt.
Tierwohl-Siegel ist umstritten
Großen Raum in der Diskussion nahm auch die Diskussion um das Haltungsform Siegel bzw. das geplante staatliche Tierwohl-Siegel ein. Seit dem 1. April ist QM+ am Start, erklärtes Ziel des Bauernverbands (DBV) ist es, 30 % der Milch zu labeln. Voraussichtlich ab dem 1. Juli 2002 soll die nächste Stufe mit dem Siegel QM++ eingeführt werden.
Einig ist sich die Milchbranche in der Ablehnung der vom neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ins Gespräch Entwurf eines staatlichen Tierwohllabels. Özdemir‘s Überlegungen heben sich erheblich von dem bisher in der Borchert-Kommission verhandelten Konzept ab. Danach beabsichtigt das BMEL die Einführung einer verpflichtenden staatlichen Haltungskennzeichnung nach dem Modell der Eierkennzeichnung. Vorgesehen sind vier Stufen, die sich an der Kennzeichnung für Eier anlehnen sollen:
- 0 = Bio
- 1 = Auslauf
- 2 = Außenklima
- 3 = Stall
Die höchste Stufe (0) wäre damit allein Biomilchprodukten vorbehalten. Konventionelle Milchprodukte könnte höchstens die Stufe 1 erreichen. Die niedrigste Stufe wäre die 3, in der alle Formen der reinen Stallhaltung gruppiert wären.
Seitens der Tierschutz-Organisationen (Non GMO’s) erklärte Anne Hamester Fachreferentin für Nutztiere bei PROVIEH e. V., dass nicht nur die Haltungsbedingungen in den Siegeln berücksichtigt werden dürfe, der Fokus müsse stärker auf das Unterbinden der Leistungszucht gerichtet werden. Auch sollte die Kälberhaltung einbezogen werden. Die Tierschützerin bekräftigte nochmals, dass die Kombihaltung (Anbindung und Auslauf/Weide) aus Tierwohl-Sicht nicht haltbar sei.
Jens Lönneker, Geschäftsführer vom Marktforschungsinstitut Lönneker & Imdahl rheingold salon, verwies darauf, dass 75 % der Verbraucher bereit sind, mehr Geld für umweltschonendere Produkten auszugeben – allerdings nur max. 10 % mehr!
Das Berliner Milchforum, das alljährliche Branchentreff, wird vom Deutschen Bauernverband und dem Milchindustrie-Verband in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Raiffeisenverband und der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ausgerichtet.
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