Kompakt
- Molkereivertreter sind sich einig, dass die unsichere weltpolitische Lage nicht dazu führen sollte, jetzt die Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Tierwohl aus den Augen zu verlieren.
- LEH und Molkereien wünschen sich, dass die ITW-Haltungsform durch ein staatliches Label nicht unter die Räder kommt.
- Der Trend der Verbraucher zu pflanzlichen Milchersatzprodukten birgt laut Analysten eine große Chance für die Molkereien.
- Klimaschutz wird in den Konzernstrategien bereits großgeschrieben, allerdings fehlt es zum Beispiel auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe noch an geeigneten Methoden und standardisierten Messtools.
Am Münchner Flughafen diskutierten sie Anfang Mai beim Molkereikongress der Lebensmittel-Zeitung über ehrgeizige Klimaprogramme, vegane Trendprodukte und Tierwohl-Milch: Namhafte Vertreter der Molkereiindustrie, des Lebensmitteleinzelhandels und der Politik .
Dass die aktuelle Herausforderung angesichts der durcheinander geratenen Agrarmärkte aber eine ganz andere ist, konnten sie dennoch nicht verbergen. „Unser wichtigstes Thema ist derzeit die Rohstoffverfügbarkeit und die Versorgungssicherheit“, erklärte zum Beispiel Aldi-Süd-Vertreter Erik Döbele. Daher werde man auch beim Thema Haltungsformkennzeichnung weiterhin mit Bedacht vorgehen. Schließlich sei Rohstoff in den verschiedenen Haltungsstufen nicht im Überfluss vorhanden.
Das Rad ganz zurückdrehen, werde man aber sicher auch nicht, da waren sich alle Redner einig. Die Zukunftsthemen Klima- und Tierschutz müssten jetzt angepackt werden.
Wir haben die wichtigsten Diskussionen des zweitägigen Kongresses für Sie zusammengefasst:
Umbau der Tierhaltung: Gefährdet das staatliche Tierwohllabel die ITW?
Die Molkereivertreter forderten auf dem Podium in München von der Politik in Sachen Haltungswechsel und staatlichem Tierwohllabel mehr Klarheit, mehr Praxisbezug und mehr Tempo. Der Handel habe sich längst auf den Weg gemacht und der Markt werde es nicht alleine richten, war man sich einig.
„Mir fehlt in der Diskussion der Praxisbezug. Wir können nicht davon träumen, dass wir morgen zu 100 % Weidebetriebe haben,“ brachte es Heinrich Gropper von der Molkerei Gropper auf den Punkt. Angesichts der hohen Komplexität der Betriebe und der Molkereien könne man mit den Vorgaben jetzt nicht nach der Rasenmähermethode vorgehen. Auch sein Kollege von Hochland, Werner Giselbrecht, sieht den Staat in der Pflicht: „Das staatliche Label muss kongruent sein zur ITW. Alles andere führt zu einer Kakophonie der Labels, verunsichert die Milcherzeuger und ist zudem wirtschaftlich gar nicht darstellbar.“ Aldi-Süd-Vertreter, Erik Döbele, bließ in dasselbe Horn. Er betonte, wie wichtig es sei, dass ein staatliches Label die Verbraucher nicht verwirre: „Wir leben davon, dass der Kunde versteht, was wir da tun.“
Laut Dr. Ophelia Nick, Staatssekretärin im BMEL, soll die Haltungskennzeichnung zunächst beim Schwein für nicht-verarbeitete Produkte starten. Als Zeithorizont gab sie an, dass man die entsprechenden Gesetze bis Ende des Jahres ins Plenum bringen wolle.
Vom System der Eierkennzeichnung sind wir beim Tierwohllabel abgekommen. Geplant ist ein Farbsystem ohne Wertung.“
Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL
Von der ursprünglich geplanten Anlehnung an das Eierkennzeichnungssystem sei man mittlerweile wieder abgekommen, da mit einem solchen Zahlensystem eine ungewollte Wertung verbunden wäre. Geplant sei inzwischen vielmehr ein Farbsystem, das auch das Baugesetzbuch und die TA-Luft miteinbeziehen wolle. Die bisher bereit gestellte Summe von 1 Mrd. € pro Jahr für Investitionen auf den Betrieben sei laut Dr. Nick zu wenig, zumal man anspruchsvollere Ziele verfolge als noch die Borchert-Kommission. Einen Tierwohlcent nannte die Referentin eine mögliche Alternative zur bereits abgeschmetterten Mehrwertsteuer-Erhöhung. Die Herkunftskennzeichnung werde man parallel mit der EU gemeinsam anschieben. Die Politikerin machte aber auch klar: „Mehr eigenes Mitdenken und mehr unternehmerisches Handeln der Betriebsleiter ist gefordert.“
Private Nachfrage: Profitieren die Discounter?
Insgesamt hat die Nachfrage nach Molkereiprodukten der weißen Linie und nach Butter laut Enrico Krien von Nielsen IQ im 1. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um ca. 6 % nachgelassen. Der Umsatz sei im gleichen Zeitraum aber nur um 1,2 % zurückgegangen. Die größten Verluste sowohl bei Absatz (-12,1 %) als auch beim Umsatz mit einem Minus von 8 % verzeichnete die Frischmilch, während pflanzliche Drinks mit zweistelligem Zuwachs zu den Gewinnern zählen. Das Plus beim Umsatz stieg hier gegenüber dem Vorjahr um 16,9 %, der Absatz um 17,7 %.
Der Branchenexperte stellte Preiserhöhungen über alle Segmente im Mopro-Regal fest. „Allerdings beobachten wir gleichzeitig bei den Markenprodukten der Weißen Linie einen erhöhten Promotionsdruck seitens des Handels“, so Krien. Zumindest bis einschließlich März 2022 könne man angesichts der Preissteigerungen noch keinen verstärkten Run der Verbraucher auf die Discounter feststellen.
Neue Trends: Was zieht im Moproregal?
Bio-, Vegan- und Protein-Produkte der Weißen Linie sind laut Marktforschern die aktuellen Trendthemen. Vor allem vegane Drinks und proteinangereicherte Desserts seien laut Enrico Krien von NielsenIQ die Treiber im Markt mit zweistelligen Wachstumsraten im Umsatz (siehe Grafik). Bio-Produkte der weißen Linie erzielten von März 21 bis März 22 einen Umsatz von 1.329,2 Mio. €, vegane Drinks und Joghurts sind bereits bei 954,8 Mio. € Umsatz und Protein-angereicherte Milchprodukte bei 522,9 Mio. €.
Bei Biomilchprodukten stieg der Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 %, bei veganen Drinks dagegen um 16,8 %. Proteinprodukte der Weißen Linie legten beim Absatz um 6 % zu.
Dem allgemeinen Preis- und Promotionsdruck könnten sich aber auch die pflanzlich basierten Produkte nicht entziehen, der Preisabstand zu konventionellen Milchprodukten sei allerdings immer noch deutlich.
Umsatzwachstum von Trendprodukten der weißen Linie seit März 2021
Bio- und vegane Milchprodukte seien angesichts dieser Entwicklung keine Nischenmärkte mehr. Vor allem bei pflanzlichen Milchersatzprodukten erwarten die Analysten auch in Zukunft weitere Zuwächse und neue Chancen für die Molkereiwirtschaft. So hätten z.B. veganer Käse oder Mischprodukte aus pflanzlichem und tierischem Protein (Hybridprodukte) künftig ein großes Marktpotenzial. Neue Produkte auf der Basis von Erbsenprotein oder Kartoffeln seien vielversprechend in den Markt gestartet.
Wir sehen großes Potenzial für Innovationen bei Produkten, die den Gesundheitsaspekt mit der Nachhaltigkeit verbinden“
Julia Büch, Marktforschungsinstitut Mintel
Das Credo für die milchverarbeitenden Unternehmen müsse lauten „sowohl als auch“ und nicht „entweder oder“, war man sich sicher. „Wir sehen großes Potenzial für Innovationen, vor allem bei Produkten, die den Gesundheitsaspekt mit der Nachhaltigkeit verbinden“, sagte Julia Büch vom Marktforschungsinstitut Mintel.
Gleichzeitig sei aber auch normaler Käse, sowohl im Inland als auch weltweit, weiterhin stark gefragt. Das erklärte Monika Wohlfarth vom ZMB Berlin. Während sich nach der Pandemie die Absätze bei vielen Molkereiprodukten wieder normalisiert hätten, blieben sie bei Käse auf höherem Niveau. Auch im Export werde Käse in Zukunft wie bisher der Hauptumsatzträger für deutsche Molkereien bleiben. Weltweit habe aber nicht nur die Nachfrage, sondern auch die Käseproduktion zugelegt.
Milchalternativen: Kuhfreie Milch am Start
Aufhorchen ließ das israelische Start-Up Remilk, das mit der weltweit größten Präzisions-Fermentationsanlage, nicht-tierische Milchproteine herstellen will. Laut Georg Herbertz von Herbertz Dairy Food Service soll das Unternehmen, an dem auch die deutsche Molkerei Hochland beteiligt ist, mittels eines hefebasierten Fermentationsprozesses bereits Käse, Joghurt und Speiseeis produzieren können.
In Dänemark sei gerade der Bau einer Produktionsanlage geplant, die dem Output von 50 000 Kühen entspreche. Das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group schätzt, dass diese alternativen Proteine bis 2035 einen Anteil von 11 % am weltweiten Proteinmarkt einnehmen werden.
Klimaschutz: Nachhaltigkeit wichtiger als Tierwohl
Weil vor allem im Ausland die Nachhaltigkeit der Milchproduktion schon jetzt wichtiger ist als das Tierwohl, haben die Großen der Branche aktuell vor allem dieses Thema im Blick.
So trumpfte Nestlé Deutschland in Kooperation mit der Molkerei Hochwald z.B. mit der Errichtung der ersten Klima-Milch-Farm in Deutschland auf. Der Lebensmittelkonzern will bis 2050 klimaneutral produzieren, bereits bis 2025 soll der CO2-Fußabdruck um 20 % reduziert werden. „Weil der Rohstoffbereich bei den Treibhausgas-Emissionen 78 % ausmacht, setzen wir vor allem hier an“, sagte Andrea Schwalber, Sustainability Manager bei Nestlé Deutschland. Allerdings sei noch viel Forschung nötig: „Uns fehlen noch die richtigen Methoden.“ Von den geplanten 3,2 Mrd. € an Investitionen sollen 1,2 Mrd. € in die Landwirtschaft fließen. Komplett auf tierische Milch zu verzichten, wolle man aber nicht, so Schwalber. „Das wäre eine sensorische Herausforderung, die möglicherweise Akzeptanzprobleme mit sich bringt.“
Die große Frage ist, wer uns die Klimaschutz-Maßnahmen finanziert. Denn schließlich müssen wir im Wettbewerb ja bestehen können.“
Dr. Philipp Inderhees, DMK Group
Mit Pilot- und Demobetrieben geht die DMK Group einen ähnlichen Weg. Bis 2030 wolle man die Emissionen aus der Landwirtschaft um 20 % reduzieren. Der seit 2018 bestehende Agrar-Klimacheck, der den Betrieben konkrete Klimaschutz-Maßnahmen aufzeige, könne laut Dr. Philipp Inderhees von DMK in drei bis vier Jahren sogar verpflichtender Bestandteil der Milchlieferverträge sein. „Natürlich kostet uns das Investitionen und die große Frage derzeit ist: Wer finanziert das alles? Denn schließlich müssen wir im Wettbewerb ja noch bestehen können.“
Milchpolitischer Frühschoppen 2022
Deutlich weniger Milch und im Gegenzug höhere Milchpreise – dazu könnte der Green Deals führen. Doch davon profitieren werden am Ende nur einige wenige Milcherzeuger.
Haltungsformkennzeichnung
Milchviehhalter, die ihren Laufstall auf Haltungsform-Stufe 2 bringen wollen, müssen mit Mehrkosten von 5 ct/kg Milch rechnen. Anbindehalter gar mit 10 ct/kg.
Auf Milchtüten ist kaum noch Platz, um alle Siegel aufzudrucken. Sinnvoll wäre es, sich auf ein Siegel zu einigen – und dessen Kriterien zu schärfen.