Protest auf Social Media

Unser Image: Milcherzeuger werden laut 

Immer wieder, zuletzt in der vergangenen Woche beim NDR, steht die Milchkuhhaltung in den Medien in der Kritik. Doch eins macht Mut: Milcherzeuger wehren sich! 

Schauspieler und Umwelt-Aktivist Hannes Jaenicke war in der vergangenen Woche beim NDR zu Gast: Am Dienstag (22.11.) sprach er in DAS! über sein neues Buch „Die große Sauerei“, in dem er „Agrarlobby und Lebensmittelindustrie“ kritisiert. Am Freitag (25.11.) folgte dann ein Auftritt in der monatlichen Talkshow „3nach9“: Ab Minute 31:44 führt er aus, was seiner Meinung nach in der Milchproduktion falsch läuft. Die Kuh sei „das gequälteste Produkt unseres Hungers“. Es seien „Milchtanksäulen auf vier dünnen Beinen“, welche schwanger gehalten werden müssten, um Milch zu geben, und überhaupt sei die Milchleistung ja ohnehin pervers hoch und man vergifte sich mit solchen Nahrungsmitteln. Schauspieler Sky du Mont kommentierte, Kälber würden „in Container geschmissen und langsam ersticken“. Von den Moderatoren, Judith Rakers und Giovanni di Lorenzo, folgte keine Art von Kommentierung oder Einordnung. 

Milchbauern sind empört – und widersprechen

Gerade, dass solche Äußerungen und Falschinformationen von den Moderatoren ohne kritische Rückfragen stehen gelassen werden, stößt Milcherzeugerinnen und Milcherzeugern sauer auf – einmal mehr, da es sich beim NDR um einen öffentlich-rechtlichen Sender handelt. Doch bei aller Wut, eins macht Mut: Wie schnell und sichtbar es mittlerweile klappt, dass die „Betroffenen“ sich zu Wort melden! Vor allem in den Sozialen Medien, aber auch per Brief oder Telefon stellen Milchbauern die Äußerungen der Schauspieler richtig. 

Protest auf allen Kanälen

Bei Instagram bringt es vor allem Julia Nissen (@Deichdeern) auf den Punkt: 
Auch per Video melden sich Menschen zu Wort. Gesa Ramme (@gesaramme) rückt Behauptungen zurecht, Thomas Andresen (@thomas_barslund) sieht die Moderatoren als Journalisten in der Pflicht, Aussagen richtig einzuordnen (Link zum Video).
Neben den sachlich-fachlichen gibt es auch einige satirische Beiträge. Annemarie Paulsen (@biohof_paulsen) nimmt das Bild des Containers auf und übernimmt es direkt einmal für das Thema „Fakten“ (Video). Und Magdalena Zintl (@farmingmagdalena) zeigt, dass es nicht nötig ist, selbst in die Kamera zu sprechen. Sie lässt Bilder aus ihrem Betrieb zu den Aussagen der Schauspieler wirken. 
Auf Facebook bezieht Andrea Rahn-Farr klar Stellung und argumentiert (gekürzt):
„Sehr geehrte Frau Rakers, sehr geehrter Herr di Lorenzo,
als Landwirtin und Milchviehhalterin bin ich entsetzt, dass der Schauspieler Hannes Jaenicke in Ihrer Sendung unwidersprochen seine kruden Thesen verbreiten durfte. Ich möchte Ihnen sagen: Er betreibt mit seinen Auftritten offenbar die bewusste Verbreitung von falschen Aussagen zur Milchviehhaltung. Dies kann er unmöglich recherchiert haben, denn es entspricht schlicht nicht der Wahrheit!
• Kühe brüllen in menschlicher Obhut NICHT nach ihren Kälbern. Denn die Kälber werden sofort von den Kühen getrennt und von uns Menschen aufgezogen. Wir verhindern damit den Trennungsschmerz. Dieser käme dann, wenn das Kalb länger bei der Kuh bleiben würde und man sie nach ein paar Tagen oder Wochen trennen würde. Das ist übrigens bei Bio- und Heumilch genauso. Es gibt einige Versuche, die Kälber bei Ammen großzuziehen ("kuhgebundene Aufzucht"). Hier ist der Stand der Wissenschaft noch nicht ausreichend für eine breite Umsetzung in der Praxis. Das Verfahren entspricht zwar den Emotionen vieler Menschen, für die Tiere selbst aber hat es Nachteile.
• Kühe werden NICHT ständig mit Antibiotika behandelt, schon gar nicht mit sog. Reserveantibiotika. Natürlich müssen kranke Tiere versorgt werden, ebenso wie kranke Hunde, Katzen etc. Die Milch ist dann nicht verkaufsfähig. Sie erhalten niemals Milch mit Antibiotikarückständen, denn JEDE Lieferung an die Molkerei wird untersucht und von einem unabhängigen Labor geprüft. Es ist nachgewiesen, dass die "resistenten Keime" zu 98% aus der Humanmedizin stammen (sog. Krankenhauskeime etc.) und in der Regel eben NICHT aus der Landwirtschaft. Quelle: Bundesanstalt für Risikobewertung BfR.
Als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt würde es Radio Bremen sehr gut anstehen, für eine ausgewogene Berichterstattung und auch Besetzung von Talk-Runden zu sorgen. Selbstdarstellern wie Herrn Jänicke sollte man die Bühne nur bieten, wenn auch jemand mit Sachverstand dabei ist! Es gibt auch Journalisten, die tief und trotzdem neutral recherchieren und berichten. Ich möchte hier auf Dirk Fisser von der NOZ verweisen, der immer wieder Themen wie die o. g. aufgreift.
Ich möchte Sie und Ihre Redaktion herzlich einladen zu einer Hofbesichtigung bei uns oder auf einem Betrieb in Ihrer Nähe, wo ich gerne einen Besuch vermittle. Machen Sie sich selbst ein Bild!
Mit freundlichen Grüßen, Andrea Rahn-Farr“

Leserbrief von Milcherzeugern aus Niedersachsen

Doch auch per Post melden sich Milchbauern zu Wort: Manfred Tannen, selbst Milcherzeuger aus Ostfriesland und Vize-Präsident des Landvolks Niedersachsen, hat die Redaktion der DAS!-Sendung auf die Fehler hingewiesen. Die Antwort zeigt, dass der Protest durchaus wahrgenommen wird. So hat sich die Redaktion bereiterklärt, im Februar einen Milchbauern auf dem „roten Sofa“ Platz nehmen zu lassen. 
Sehr geehrter Herr Tannen,
vielen lieben Dank für Ihre Zuschrift, in der Sie Anstoß an unserer DAS!-Ausgabe vom Montag, den 21.11.20, mit unserem Gast, dem Schauspieler und Umweltaktivisten, Hannes Jaenicke nehmen.
Zunächst einmal - und das ist uns sehr wichtig - lag es in keiner Weise in unserer Absicht, den Berufsstand der zweifellos hart arbeitenden Landwirtinnen und Landwirte zu kritisieren. Wir wollten auch nicht in Abrede stellen, dass diese ihre Tiere lieben und dass es ihren Tieren gut geht - das steht uns auch gar nicht zu. Wir haben im Gegenteil mit unserem Magazinbeitrag über die konventionelle Schweinezüchterin Inken Burmester aus Schleswig-Holstein versucht, Verständnis für die Probleme in der Landwirtschaft heute und den Spagat zwischen Tierwohl, Kostendruck und mangelnder politischer Unterstützung zu schaffen. Sogar Hannes Jaenicke räumte in diesem Zusammenhang ein, dass man den Bauern selbst keinerlei Vorwürfe machen dürfe.
Trotzdem können wir Ihre Kritik nachvollziehen und haben sie nach der Sendung kommen sehen. In unserer redaktionellen Nachbesprechung haben wir diese Ausgabe von DAS! auch sehr selbstkritisch diskutiert und müssen einräumen, dass wir den Thesen von Hannes Jaenicke rund um die Milchviehhaltung zu wenig entgegenzusetzen hatten - vor allem zu seinen Einlassungen zum Thema Milchkühe und Antibiotika, was wir rückblickend bedauern.
In einer Live-Sendung ist jedoch nicht immer vorhersehbar, was unsere Gäste im Einzelnen und spontan antworten. Wir haben Hannes Jaenicke eingeladen, weil uns sein Engagement für den Tierschutz beeindruckt und weil er eben - über seinen Beruf als Schauspieler hinaus - viel zu erzählen hat. Und weil wir genau - und das ist sicher auch in Ihrem Sinne - unsere Zuschauerinnen und Zuschauer dafür sensibilisieren wollten, dass Tierwohl wichtig ist und gerade deshalb allen Konsumenten klar sein muss, dass Milch- und Fleisch-Produkte ihren Wert haben müssen. Der gänzliche Verzicht des Konsums von Milchprodukten ist hier sicher keine Lösung - da sind wir ganz Ihrer Ansicht- , gestehen unseren Gästen diese Haltung aber natürlich zu. Aber, ganz klar: ein Tierschützer und Aktivist hat nur einen bestimmten Blickwinkel auf die komplexe Gesamtthematik.
Es ist uns ein großes Anliegen, in unserer Sendung Gäste mit verschiedenen Ansichten zu Themen zu Wort kommen zu, die in der Gesellschaft breit diskutiert werden. Da wir keine Runden-Talkshow sind, sondern immer nur einen Gast auf dem Roten Sofa haben, ergibt sich die Pluralität der Meinungen in unserem Fall durch die Menge der Sendungen. Wir nehmen insofern Ihre Kritik zum Anlass und haben am 1. Februar 2023 den norddeutschen Landwirt Thilo Metzger-Petersen vom Milchviehbetrieb Hof Backensholz eingeladen, der sicher ein komplett anderes Bild über die Milchproduktion und die Situation der deutschen Landwirtschaft zeichnen wird und der kompetent über die Nöte, Probleme und den harten Arbeitsalltag berichten kann.
Wir danken Ihnen sehr für die kritische Begleitung, vor allem für Ihr Verständnis, hoffen sehr, dass Ihnen die kommenden Ausgaben von DAS! wieder besser gefallen und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Ihr DAS! Team
Norddeutscher Rundfunk DAS!-Redaktion Hugh-Greene-Weg 1 22529 Hamburg
Die Fachschulklasse Rind der Fachschule für Agrarwirtschaft in Münster-Wolbeck hat einen sehr sauber argumentierten, treffenden Leserbrief an die Redaktion von „3nach9“ verfasst. Maurice Grontzki weist gemeinsam mit seinen Klassenkameraden insbesondere auf die emotionale Komponente und Außenwirkunge der Aussagen hin: „…Gerade beim Thema Trennung von Kalb und Mutter und der falschen Aussage des „durchgehenden Schwanger seins“, spielt sich bei vielen Menschen auf emotionaler Ebene sehr viel ab. Umso wichtiger ist es, es fachlich korrekt zu darzustellen. … [Thema Kälbercontainer] Falls Ihnen andere fundierte Informationen vorliegen, bitten wir höflich um eine Mitteilung. Nur dann können schwarze Schafe unserer Branche ins Visier genommen werden und es wird vermieden, dass alle Milchviehbetriebe in Deutschland, an den Pranger gestellt werden. …“
Und nicht zuletzt berichtet augenzwinkernd ein Landwirt in einer Herdenmanager-WhatsApp-Gruppe, dass es sich lohnen könnte, die Redakteure der Sendungen einfach einmal anzurufen. Man sei doch recht erstaunt, wie viele Milchbauern sich in den letzten Tagen persönlich dort gemeldet hätten… (Es versteht sich von selbst, dass es dabei um einen sachlichen Austausch von Argumenten geht und nicht um ein emotionales „Sich-Auslassen“.)

Kontern ist der richtige Weg! 

Fazit: Die Empörung, die Traurigkeit und auch die Wut der Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger ist mehr als verständlich. Und natürlich nagt es an einem, wenn man immer und immer und immer wieder aufklären, rechtfertigen und Falschinformationen korrigieren muss. Dennoch – solchen Aussagen etwas entgegenzusetzen, laut zu werden, im Internet präsent und auffindbar zu sein, ist der richtige Weg, um die Menschen zu erreichen!

Milcherzeugung und Social Media

Milchkühe auf Instagram

von Wiebke Simon

Immer mehr Milcherzeuger sind bei Instagram aktiv. Wir haben ­verschiedene „Kuh-Influencer“ gefragt, was sie zeigen und warum.

Sophie Kroll-Fiedler wollte ihre Bullenkälber nicht mehr ins Ungewisse entlassen. Deshalb zieht sie diese jetzt mit Ammenkühen selbst groß und vermarktet sie.

Leonie Wiewer hat auf dem Milchkuhbetrieb ihrer Eltern eine eigene Direktvermarktung aufgebaut. Dadurch verspricht sie sich mehr Wertschätzung.


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