Am Ende einer kleinen Landstraße im nördlichen Sachsen-Anhalt liegt das Dorf Beesewege. Knapp 50 Einwohner zählt das Dorf, das nur über eine Stichstraße zu erreichen ist. Schon von weitem kann man das grüne Dach eines Kuhstalls sehen, daneben ein Einfamilienhaus. Dort lebt und arbeitet #milchmacher Raik Lindecke mit seiner Frau Christin und ihren beiden kleinen Kindern.
Während Raik Lindecke zusammen mit seinem Bruder und ihrem Vater den Milchkuhbetrieb mit den insgesamt 630 Tieren bewirtschaftet, arbeitet seine Frau Christin in Vollzeit als Lehrerin an einer Grundschule. Wie die beiden es schaffen, Kinder, Karriere und Kühe unter einen Hut zu bringen, haben sie uns bei einem Besuch erzählt.
Betriebsspiegel
● 320 Kühe plus Nachzucht
● 9.600 kg Milch pro Kuh und Jahr
● 4 AMS plus Melkstand für kranke und frischabgekalbte Kühe
● 330 ha Futterbaufläche
● 340 kW Biogasanlage (70 bis 80 % Rindergülle)
● 5 Fremd-Ak + 3 Familien-Ak
1. Aufgabentrennung und Vertretungsregeln
Den Betrieb leitet Raik Lindecke gemeinsam mit seinem Bruder (33) und ihrem Vater (61). „Die Aufgabenbereiche sind getrennt, aber wir können uns alle gegenseitig vertreten“, erklärt er und schaut aus dem Fenster seines Wohnzimmers, das den Blick auf die Türme der Biogasanlage und den Kuhstall freigibt
Während sein Bruder hauptsächlich die Außenarbeiten macht, ist er selbst für die Kühe und die Biogasanlage verantwortlich. Der Vater kümmert sich um die Buchhaltung sowie die Kälber- und Rinderaufzucht. Alle wohnen im Dorf, der Vater direkt nebenan, der Bruder einen Ort weiter.
Die Aufgabenbereiche sind getrennt, trotzdem können wir uns alle gegenseitig vertreten.“
Raik Lindecke
2. Hilfe durch automatisches Melken
Im Kuhstall trägt Raik die Verantwortung. Hilfe bekommt er dabei von einigen der fünf Angestellten im Betrieb. Seit 2015 übernehmen vier AMS das Melken der schwarzbunten Herde. „Die Roboter nehmen uns zwar schon viel Arbeit ab, aber es muss sie trotzdem immer jemand betreuen können. Die Roboter brauchen viel Pflege.“ sagt er. „Eigentlich sollte das AMS ja mehr Freiheiten bringen, aber Leute zu finden, die damit umgehen können, ist schwierig. Nicht jeder von unseren Mitarbeitern kann die Roboter bedienen.“
„Eigentlich sollte das AMS ja mehr Freiheiten bringen, aber Leute zu finden, die damit umgehen können, ist schwierig.“
Raik Lindecke
Aktuell melken die rund 320 Kühe im Schnitt 9.600 kg pro Jahr. Die Herde erholt sich gerade von den letzten beiden Dürrejahren. „In den Sommern 2019 und 2020 sah hier alles aus wie eine Steppe“, erinnert sich der Milcherzeuger. Im ersten Jahr reichten die eigenen Futterreserven noch, im zweiten Jahr wurde es knapp und auch die Vorräte in der Umgebung waren ausverkauft. „Erst jetzt kommt die Milchleistung wieder in Gang, da haben wir noch sehr lange mit zu tun“, erklärt er.
3. Unterstützung von der Familie
Unter der Woche versuchen Raik und Christin, ihren Kindern einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Los geht der Tag bei Familie Lindecke um halb sechs. Nachdem die beiden Kinder in der Ganztagsbetreuung untergebracht sind, startet der Arbeitstag – für Raik auf dem Betrieb neben dem Wohnhaus, für Christin an einer Grundschule im 20 km entfernten Stendal. Zuhause treffen sich alle gegen halb fünf Uhr am Nachmittag wieder – wenn alles glatt läuft.
„Ohne Unterstützung der Omas, Opas, Onkels und Tanten ginge das nicht“, erklärt Christin den Balanceakt. Die meisten der Familienangehörigen wohnen im Dorf, somit sind die Wege kurz.
Bevor die Kinder da waren, hatte sie auf dem Betrieb mitgeholfen. „Das hab ich gern gemacht, auch noch bis nachts noch draußen zu sein und Stroh zu pressen fand ich toll!“, erinnert sie sich und ein Lächeln zieht über ihr Gesicht. „Aber mit jedem Kind, das dazu kommt, ist dafür weniger Zeit da.“
Ohne Unterstützung der Omas, Opas, Onkels und Tanten ginge das nicht“
Christin LIndecke
Der eigene Job bedeutet ihr viel, den macht sie gerne. Wenn die Landwirtschaft in den Nachrichten auftaucht, kann sie sogar bei den Kollegen ein bisschen Aufklärung betreiben. „Es ist ja nicht immer so gut oder so schlecht, wie es dargestellt wird. Viele Kollegen fragen dann nach und staunen dann, wie vielfältig und wie aufwändig dieser Beruf ist.“
Dass jeder seiner eigenen Arbeit nachgeht, hat auch Vorteile, davon sind beide überzeugt. Der zusätzliche Verdienst ist in Zeiten knapper Wirtschaftlichkeit nicht unwichtig. „Außerdem spricht man nicht immer nur über dasselbe Thema“, sagt Christin und lacht. Dass man sich manchmal in seiner Blase verlieren kann, weiß Raik sehr genau: „Wenn ich mit meinem Bruder und Vater zusammensitze, dann reden wir eigentlich immer über den Betrieb.“ Das geht solange gut, bis seine Mutter schimpft, wenn sie beim Mittagessen schon wieder Dinge besprechen. „Dadurch, dass ich auch rauskomme, haben wir auch schon mal andere Themen“, sagt Christin.
In die Familie und auf den Hof zu kommen, war kein Problem für Christin. Sie ist selbst in Beesewege aufgewachsen. „Meine Schwiegereltern kannten mich von Anfang an und haben mich immer akzeptiert. Ich glaube, dass das auch anders sein kann, wenn jemand ganz fremdes aus der Stadt in einen Betrieb dazukommt.“
4. Auszeiten - als Familie und als Paar
Wie nimmt man sich Zeit für die Beziehung, wenn beide Partner in eigenen Berufen eingespannt sind und zuhause täglich 630 Rinder versorgt werden müssen? Raik und Christin Lindecke schaffen das über gezielte Auszeiten. „Man hat eigentlich nur Freizeit, wenn man wegfährt. Sonst kommt man geistig nicht runter“, weiß Christin.
Zwei- bis dreimal im Jahr fahren sie daher in den Urlaub, mit den Kindern und auch als verlängertes Wochenende zu zweit oder mit Bekannten. Dann sind es vor allem die Omas, die für die Kinderbetreuung einspringen. „Ohne die Unterstützung unserer Mütter wäre vieles nicht möglich“; sagt Christin. Beide Großmütter sind für die junge Familie eine wichtige Konstante und springen auch ein, wenn Raik und Christin einen Abend zu zweit etwas unternehmen.
„Man hat eigentlich nur Freizeit, wenn man wegfährt. Sonst kommt man geistig nicht runter.“
Christin Lindecke
Die gemeinsamen Urlaube erfordern allerdings eine langfristige Planung auf dem Betrieb. „Wir haben einmal in der Woche eine gemeinsame Besprechung“, erklärt Raik Lindecke die gemeinschaftliche Betriebsorganisation mit seinem Bruder und Vater. „Sobald einer von uns einen Termin hat, tragen sich das die beiden anderen in ihren Kalender ein.“ So kommt es nicht zu Überschneidungen und es ist sichergestellt, dass eine Vertretung auf dem Hof da ist. „Spontan irgendwo zu zweit hinzufahren, ist nicht drin“, ergänzt seine Frau.
„Mein Vater hat das jahrelang allein gemacht als wir klein waren“, erinnert sich Raik, „das lief nicht so gut. Das geht mal für eine Weile. Heute ist es besser, es ist immer jemand da, der sich auskennt.“
5. Herausforderungen und Grenzen kennen
Kennengelernt haben sich Raik und Christin Lindecke schon früh, die beiden sind in derselben Straße aufgewachsen. „Man kennt sich, man versteht sich, man ist befreundet und dann funkt es irgendwann“, erinnert sich Christin. Für das Studium waren sie getrennt. Sie lebte in Lüneburg, er in Berlin. Beide zog es danach wieder zurück in die Heimat. Seit dem arbeiten sie zusammen an ihrem gemeinsamen Leben in Beesewege.
Jeder hat seine Baustellen, ganz egal ob Lehrer, Landwirt oder Bäcker.“
Christin Lindecke
Trotz der guten Organisation gibt es natürlich Grenzen und Herausforderungen. Ein Beispiel dafür sind die Feiertage, die wegen des Betriebs aufgeteilt werden. So wechseln sie sich an den Feiertagen ab, sodass jeder einmal ein Weihnachten frei bekommt. „Das ist natürlich nicht so wie in anderen Familien, wo alle immer die ganze Zeit da sind“, erklärt Christin Lindecke.
„Ansonsten haben wir die ganz normalen anderen Herausforderungen zu bewältigen wie jeder andere auch. Am meisten ist es die Zeit und das Organisieren der Familie. Die Zeit ist extrem knapp und muss gut organisiert werden. Jeder hat seine Baustellen, ganz egal ob Lehrer, Landwirt oder Bäcker.“
Die Aktion #milchmacher
Fehlende Flächen, wenig Niederschlag, Arbeitskräftemangel… Die Probleme, mit denen sich Milcherzeuger auseinandersetzen müssen, sind vielfältig. In unserer Reihe #milchmacher stellen wir Milcherzeuger vor, die die alltäglichen Herausforderungen angehen.
Alle bisherigen #milchmacher können Sie hier nachlesen.
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