Mit ihrem Branchenstandard „Swissmilk green“ will die Schweizer Milchbranche ihre Vorreiterrolle in Sachen Tierwohl weiter ausbauen. Die Milchbauern werden mit einem Zuschlag von 3,1 ct/kg gelockt.
Fast flächendeckend nachhaltige Milch: Nur zwei Jahre nach der Einführung erfüllen fast 90 % der Schweizer Milchkuhhalter den Branchenstandard für nachhaltig produzierte Milch „Swissmilk Green“. Bis Ende 2023 sollen 100 % erreicht sein. „Danach werden die Molkereien keine andere Milch mehr abholen“, erklärt Reto Burkhardt von den Schweizer Milchproduzenten SMP.
Reto Burkhardt
Pressesprecher
Schweizer Milchproduzenten
Und auch bei Käsereimilch, die rund 46 % der nationalen Milchmenge ausmacht, werde der Druck bis Ende 2023 in diese Richtung steigen. „Denn auch die Käsereien werden ihren Rahm und die Überschussmilch nur noch mit dem Standard verkaufen können“, sagt ein Branchenkenner.
Der LEH kann zur Auslobung der Produkte dieses Logo verwenden. Eine Verpflichtung dazu gibt es aber nicht.
(Bildquelle: SMP)
Vorteile im Heimatmarkt
Mit dem 2019 eingeführten Standard will die Schweizer Branchenorganisation Milch (BOM) – zu der neben Milchproduzenten und Molkereien auch der LEH gehört – einerseits den Anforderungen der Gesellschaft und dem Druck der nationalen Regierung gerecht werden und auf der anderen Seite Wettbewerbsvorteile für die heimischen Produkte gegenüber Importen und im Export erzielen.
Ziel der Branche ist natürlich, dass der Mehrwert dieser Produkte dem Verbraucher auch kommuniziert wird. Es handele sich aber nicht um ein Label, betont Burkhardt. Der LEH entscheide daher selbst darüber, ob er seinen Kunden den Standard z.B. mittels der Marke „swissmilkgreen“ kommuniziere. Eine staatliche Tierwohlkennzeichnung auf Milchprodukten gibt es bisher nicht.
Zuschlag: 3,1 ct/kg
Für die Erfüllung von zehn Grundanforderungen sowie zwei von acht frei wählbaren Zusatzanforderungen erhalten die Betriebe aktuell einen innerhalb der BOM vereinbarten Zuschlag von 3 Rappen/kg Milch auf den konventionellen Milchpreis im A-Segment. Das sind umgerechnet ca. 3,1 ct/kg.
Wer BTS und RAUS schon erfüllt, dürfte für Swissmilk Green gerüstet sein.
Reto Burkhardt, Schweizer Milchproduzenten SMP
Doch was bedeutet der Standard für die Betriebe konkret? Zu den zehn Grundanforderungen gehören folgende Punkte:
- Teilnahme am BTS- oder am RAUS-Programm (siehe Kasten)
- Jede Kuh hat einen Namen bzw. enger Bezug zum Einzeltier
- Kälber dürfen erst nach mindestens 21 Tagen den Hof verlassen
- Kühe müssen mindestens zweimal täglich gemolken werden
- Haltung der Tiere bei Viehschauen nach dem entsprechenden Reglement des Zuchtverbandes (insbesondere keine überladenen Euter)
- Keine Schlachtung trächtiger Kühe
- Medikamenteneinsatz nur bei Bedarf, kritische Antibiotika nur mit Erlaubnis des Tierarztes
- Einhaltung der ÖLN-Vorgaben für eine umweltgerechte Landwirtschaft im Hinblick auf Boden- und Wasserschutz
- Gentechnikfreie Fütterung
- Kein Einsatz von Palmöl oder Palmfett.
Zu den acht Zusatzanforderungen zählt z.B., dass gleichzeitig beide Tierwohlprogramme (BTS und RAUS) erfüllt sind, die Teilnahme an einem auditierten Nachhaltigkeitssystem der Molkereien oder der Einsatz komplementärmedizinischer Methoden.
Um sich im Markt weiter abzuheben, gehen einzelne private Molkereien, wie z.B. Emmi, über den grünen Standard hinaus. Das Unternehmen will den Swissmilk Green-Standard nach eigenen Angaben zudem auch auf seine Milcherfassung und Verarbeitung außerhalb der Schweiz ausweiten.
Knackpunkt Weidegang
„90 % der Anforderungen sind für die Betriebe relativ einfach erfüllbar. Manche müssen dafür aber auch investieren. Und Weidegang ist ebenfalls nicht überall einfach erfüllbar“, sagt Reto Burkhardt.
Wer aber eines der beiden freiwilligen, staatlich geförderten Programme BTS und RAUS erfülle, habe auch mit Swissmilk Green in der Regel kein Problem. 2020 wurden 55 % der Schweizer Milchkühe nach den BTS-Anforderungen (Programm zur Förderung der Laufstallhaltung) gehalten. Beim Programm RAUS machen nach Daten des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) bereits 88 % der Kühe mit.
BTS steht für besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme und fordert einen Laufstall mit einer eingestreuten Liegefläche für jede Kuh zu der ständiger Zugang besteht sowie Tageslichtbedingungen im Stall. Eine Überbelegung im Stall ist verboten. Pro Milchkuh gibt es hierfür 90 CHF/Jahr, d.h. 92 €.
55 % der Milchkühe und 40 % der Laufstallbetriebe sind aktuell bereits dabei.
Schweizer Milchkuhhalter mit Anbindehaltung, die noch nicht am RAUS-Programm teilnehmen, laufen Gefahr, dass ihre Milch bald nicht mehr abgeholt wird.
(Bildquelle: Lehnert )
Druck auf Anbindebetriebe
Anbindebetriebe müssen in jedem Falle bei RAUS teilnehmen, d.h. ihren Tieren regelmäßigen Auslauf im Freien bieten, um den grünen Standard erfüllen zu können. Ansonsten sind sie außen vor. „Dass sie ohne RAUS ihre Milch künftig nicht mehr loswerden, ist einigen von ihnen noch gar nicht bewusst und die Zeit drängt“, sagt ein Marktbeobachter.
Dass Anbindehalter ohne das RAUS-Programm künftig auf ihrer Milch sitzen bleiben, ist einigen von ihnen noch nicht bewusst.
Ein Marktinsider
Der Druck auf die Anbindehaltung wächst also auch bei unseren Nachbarn, wo der Anteil der Anbindeställe vor allem im Berggebiet noch recht hoch ist. Allerdings gibt es dort keine ganzjährige Anbindehaltung mehr, was vermutlich auch der Grund dafür ist, dass die Schweizer Politik bisher kein konkretes Ausstiegsdatum diskutiert. Bereits seit Anfang der 90er Jahre schreibt das Tierschutzgesetz vor, dass alle Schweizer Rinder 90 Tage Auslauf im Jahr haben müssen, davon mindestens 60 Tage im Sommer und mindestens 30 Tage im Winter.
Drastische Sanktionen bei Nichteinhaltung
Ihre Vorreiterrolle beim Tierschutz verdankt die Schweiz aber vermutlich auch den drastischen Einbußen bei den Direktzahlungen, die den Milchkuhhaltern bei Nichteinhaltung der jeweils geforderten Kriterien drohen. „Diese Kürzungen sind selbst bei kleinen Mängeln zum Teil höher als bei Vergehen im Straßenverkehr!“ beklagt ein Milchkuhhalter im Gespräch mit der Elite-Redaktion.
Die Kürzungen bei den Direktzahlungen sind selbst bei kleinen Mängeln höher als bei Vergehen im Straßenverkehr.
Ein Schweizer Milchkuhhalter
Grundlage für sämtliche Programme ist das Schweizer Tierschutzgesetz und die staatlichen Anforderungen des Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN), die für den Erhalt von Direktzahlungen erfüllt sein müssen.
Wer nun z.B. seine Tiere als BTS- oder RAUS anmeldet und sich nicht an die Kriterien hält, bekommt empfindliche Kürzungen der Direktzahlungen. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) in Bern teilt auf Anfrage mit, dass die Höhe der Kürzungen bei betroffenen Betrieben im Schnitt etwa 1.000 bis 2.000 CHF/Jahr (1.020 bis 2.050 €) betragen.
Kontrolliert werden die Höfe mindestens einmal in acht Jahren. Hinzu kommen laut BLW verschiedene risikobasierte und gezielte Kontrollen einzelner Bereiche, so dass ein Betrieb in der Regel jedes zweite Jahr Besuch von einem Kontrolleur bekommt.
Jetzt sind Klimaschutz und Langlebigkeit dran
Und noch bevor alle Betriebe, die Molkereimilch liefern, beim Standard mit dabei sind, entwickelt die Branchenorganisation Milch ihn bereits weiter. „In Stufe II des Grünen Teppichs sollen verstärkt Klima, Energie und soziale Aspekte berücksichtigt werden“, erklärt Burkhardt von der SMP.
Insider berichten außerdem, dass es konkret auch um den Kraftfutter-Einsatz und um eine Weidepflicht gehe. Alle in der BOM, d.h. Landwirte, Molkereien und der LEH, würden sich laut SMP dabei zu bestimmten Maßnahmen verpflichten: „Wir verhandeln auf Augenhöhe, nicht zuletzt, weil Milch knapp ist.“
Hier finden Sie mehr über die Schweizer Milchkuhhaltung.
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