Wie viel Platz hat die Kuh im Stall? Ist sie angebunden oder kann sie frei herumlaufen? Hat sie Auslauf ins Freie oder gar Zugang zur Weide? Unter welchen Umständen Nutztiere leben, interessiert viele Deutsche. 86 Prozent möchten laut aktuellen, repräsentativen Umfragen bei tierischen Produkten Angaben zu den Haltungsbedingungen bekommen. Tierwohl-Siegel können beim Einkauf von Fleisch und Milch weiterhelfen, ihre Vielzahl sorgt mittlerweile aber eher für Verwirrung. Welche gibt es und wofür stehen sie? Und wie können Milcherzeuger davon profitieren?
Die wichtigsten Labels für Rinderhalter und Milcherzeuger sind nachfolgend aufgelistet:
Quelle: eigene Recherche
QM- Milch
QM-Milch ist ein „business-to-business“-Standard (b2b) zwischen Milcherzeugern und Molkereien für die erste Stufe der Produktionskette. Mit QM-Milch wird dafür gesorgt, dass nicht nur die Qualität und Sicherheit des Produktes gesichert wird, sondern, dass der gesamte Produktionsprozess transparent und rückverfolgbar gestaltet werden kann (Prozessdokumentation Milch). QM-Milch wird von etwa 90 % der deutschen Milcherzeuger umgesetzt. Voraussetzungen sind die Gesundheit, das Wohlbefinden, sowie die Kennzeichnung der Tiere, die Milchgewinnung und -lagerung, die Fütterung, die Einhaltung arzneirechtlicher Anforderungen und die Aspekte des Umweltschutzes.
Ab Juni 2020 darf, neben dem Bauernverband, dem Milchindustrie-Verband und dem DRV, der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels das Qualitätssicherungssystem QM-Milch mitbestimmen.
QM- Milch Tierwohl
QM- Milch Tierwohl soll spätestens 2022 auf Milchprodukten zu finden sein. Mit der „QM-Stufe 2“ soll Milch gekennzeichnet werden, die von Milcherzeugern stammt, die strengere Vorgaben für Tiergesundheit und Tierwohl einhalten. Dafür sagt der Handel einen noch zu definierenden Preisaufschlag zu. Einfließen in das Label werden alle Kriterien von QM- Milch und ITW-Tierwohl.
ITW-Rindfleisch
ITW-Rindfleisch ist noch in der Entstehungsphase. Es gibt sogenannte Basiskriterien, die den Anforderungen der QM- und QS- Leitfäden entsprechen. Außerdem spielen labeleigene Anforderungen mit ein, wie z.B. ein Tränkwassercheck, der Platzbedarf, die Sauberkeit der Tiere, Grundfutteranalysen und die Bereitschaft der Milcherzeuger sich weiterzubilden.
Für mehr Tierschutz
Für mehr Tierschutz: Bereits seit 2013 bietet der Deutsche Tierschutzbund Hilfestellung beim Einkauf von Produkten aus tiergerechterer Erzeugung. Mit seinem Namen verspricht er bei seinem Label ein glaubwürdiges Mehr an Tierschutz. Das Label gibt es mittlerweile auch für Milch in zwei Varianten: Einstiegsstufe und Premiumstufe.
In der Einstiegsstufe ist eine Enthornung nur unter Betäubung und mit Schmerzmittelgabe erlaubt, die Bestandobergrenze liegt bei 600 Tieren. Im Stall müssen jeder Milchkuh 6 qm Stallfläche zur Verfügung stehen. Liegefläche müssen eingestreut werden, die Anbindehaltung ist untersagt. Auf gentechnisch veränderte Futtermittel muss verzichtet werden. Die maximale Transportdauer beträgt vier Stunden, die Schlachtung muss schonend erfolgen.
In der Premiumstufe haben die Kühe noch mehr Platz im Stall und können zwischen verschiedenen Klimazonen wählen durch Auslauf im Freien oder nach außen offene Stallbereiche. Ein ganzjähriger Zugang zum Laufhof mit einer Fläche von 3qm/Kuh ist ebenso vorgeschrieben wie Weidegang von April bis Oktober Zugang (mindestens 6 Stunden täglich auf einer Weidefläche von 6qm/Kuh).
haltungsform.de
Das Label haltungsform.de wurde von den großen Handelsketten aufgesetzt. Dieses ist aufgeteilt in vier Stufen. In Stufe 1 werden nur geringe Anforderungen an die Haltung der Tiere gestellt. Mit jeder Stufe nehmen die Anforderungen zu. So ist z.B. in Stufe 1 noch die Anbindehaltung erlaubt, in Stufe 2 ist mindestens die Kombinationshaltung vorgeschrieben (Anbindung mit Weidegang an 120 Tagen), in Stufe 3 ist ein Offenfrontlaufstall oder ein Laufstall mit ganzjährig nutzbarem Laufhof (min. 3 m² /Tier) oder Weidegang (mind. 120 Tage / 6 h) vorgeschrieben. In Stufe 4 werden zudem u.a. noch ein hoher Raufutteranteil und ein Antibiotika-Monitoring vorgeschrieben.
Mehr Informationen zu diesem Tierwohl- Label finden Sie hier:
haltungsform.de
DLG-Programm Milchviehhaltung
Das DLG-Programm Milchviehhaltung vergibt vier Auszeichnungen (Basis, Bronze, Silber, Gold) und beinhaltet einen Kriterienkatalog mit 36 Kriterien, die sich auf fünf Kategorien verteilen: Haltungsumwelt, Tiergesundheit, Arzneimittelmonitoring, Futtermittel, Management
Das Label kann von teilnehmenden Molkereien genutzt und auf die Milchpackungen gedruckt werden, wenn die Milchviehhalter in Bezug auf das DLG-Programm Milchviehhaltung überprüft wurden und eine gültige Zertifizierung haben.
Bio-Siegel
Das grüne Blatt des EU-Bio-Siegels steht seit 2012 auf allen Bio-Lebensmitteln, die in der EU gehandelt werden – auch auf Fleisch und Wurst. In den EU-Vorschriften für den ökologischen Landbau sind strenge Kriterien zum Thema Tierschutz festgelegt. Sie umfassen die Herkunft der Tiere, die verwendeten Futtermittel, die Krankheitsvorsorge und die tierärztliche Behandlung sowie Vorschriften zur Reinigung der Ställe.
Bio ist aber nicht gleich Bio. Zwischen den Anforderungen des EU-Bio-Siegels und denen der Anbauverbände gibt es gravierende Unterschiede. Die wichtigsten Anbauverbände in Deutschland (Bioland, Naturland und Demeter) haben „schärfere“ Umwelt- und Tierwohl-Auflagen als die EU-Bio-Verordnung. Deshalb spricht man hier auch von Premium-Bio.
Dafür, dass sich der Absatz sehr gut entwickelt und Biomilch knapp ist, müssten die Erzeugerpreise stärker steigen. Die Vollkosten sind auch hier unterdeckt.
Staatliches Tierwohl-Label
Seit 2017 gibt es Pläne für ein staatliches Tierwohlkennzeichen. Laut Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sollen sich Verbraucher künftig „bewusst dafür entscheiden können, zu den Waren zu greifen, die aus Ställen mit mehr Tierwohl kommen“ und entscheiden, „was ihnen Tierwohl auch im Preis wert ist“. Der Gesetzentwurf für das neue Siegel wurde im September 2019 vom Bundeskabinett beschlossen, hat aber noch immer nicht erfolgreich den Bundestag passiert. Wann erste gekennzeichnete Produkte auf den Markt kommen, ist also ungewiss.
Das neue staatliche Tierwohl-Label soll 3 Stufen beinhalten. Die Teilnahme soll bis 2030 zunächst freiwillig sein. Anschließend sollen herkömmliche Laufstallbetriebe Tierbestände in Stufe 1 eingeordnet werden (keine Anbindehaltung!). „Stufe 2“ soll mehr Platz und die Möglichkeit von Zugang zum Außenklima bieten. Stufe 3 setzt Zugang zu Komforteinrichtungen und zu nicht überdachten Bereichen voraus (Laufhof, Weide).
Nur, wenn den Landwirten Mehrkosten ausgeglichen werden und die Finanzierung vertraglich abgesichert ist, bekommen wir einen Schub für mehr Tierwohl.
Julia Klöckner
Von der Regierung eingesetzte Experten (Borchert-Kommission) fordern, den notwendigen Umbau deutscher Ställe mit einer Tierwohlabgabe zu finanzieren. Ihr Vorschlag: pro Kilogramm Fleisch und Wurst sollten 40 Cent extra berechnet werden, pro Kilo Käse, Butter und Milchpulver 15 Cent, pro Kilo Milch und Frischmilchprodukte 2 Cent. Legt man den Durchschnittskonsum der Bundesbürger zugrunde, würde die Tierwohlabgabe den Verbraucher pro Jahr rund 35 Euro kosten.
Der Bundestag unterstützt das Konzept der Borchert-Kommission mit breiter Mehrheit und hat die Regierung aufgefordert, bis zur Bundestagswahl am 26. September 2021 eine Strategie mit Finanzierungsvorschlägen vorzulegen.
Ein Update: Die Nutztierstrategie der Borchert-Kommission betrifft auch Milchkuhbetriebe. Informationen und aktueller Stand.
Molkereien und Handel setzen verstärkt auf regionale Programme
Neben den aufgezählten Tierwohl-Labeln finden sich auf den Verpackungen auch immer wieder noch weitere Label bzw. (Herkunfts-) Kennzeichnungen. Diese weisen zumeist auf regionale Herkunft oder bestimmte Produktionsverfahren hin, wie z.B. Weide- oder Heumilch. Der Handel listet derart gekennzeichnete Milchprodukte gerne, da diese beim Verbraucher gut ankommen. Im Idealfall werden die Milcherzeuger an der höheren Wertschöpfung dieser Produkte beteiligt (Zuschlag beim Milchgeld). Ob sich die Teilnahme an einem solchen „Programm“ lohnt, dass muss jeder Milcherzeuger für sich kalkulieren. Klar scheint, dass durch die Einführung verpflichtender Tierwohl-Label das Niveau insgesamt angehoben wird und einige Markenprogramme an Mehrwert einbüßen werden.