In Deutschland war die Weidewirtschaft über Jahrhunderte hinweg die dominierende Nutzungsform in der Milchproduktion. Mit der Intensivierung der Nutztierhaltung und der starken Zunahme der Milchleistung ist der Weideanteil stetig zurückgegangen. Aktuell haben nur noch etwa 31% der Kühe Weidegang. Noch zehn Jahre zuvor lag der Wert bei 37%. Offensichtlich war der Rückgang trotz der Einführung zertifizierter Weidemilch und von weidebezogenen Agrarumweltprogrammen nicht aufzuhalten. Die Gründe...
In Deutschland war die Weidewirtschaft über Jahrhunderte hinweg die dominierende Nutzungsform in der Milchproduktion. Mit der Intensivierung der Nutztierhaltung und der starken Zunahme der Milchleistung ist der Weideanteil stetig zurückgegangen. Aktuell haben nur noch etwa 31% der Kühe Weidegang. Noch zehn Jahre zuvor lag der Wert bei 37%. Offensichtlich war der Rückgang trotz der Einführung zertifizierter Weidemilch und von weidebezogenen Agrarumweltprogrammen nicht aufzuhalten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Unzureichende Weide-Infrastruktur, eine nicht angemessene Nährstoffversorgung auf der Weide, erhöhter Arbeitsaufwand und zusätzliche Kosten gegenüber der ganzjährigen Stallhaltung. Zudem wird die Weidewirtschaft gerne als rückschrittlich betrachtet. „Das haben die Altvorderen gemacht“, so Prof. Dr. Johannes Isselstein von der Universität Göttingen. Moderne Weidesysteme sind aber keineswegs rückwärtsgewandt, stellte der Grünlandexperte klar. Im Gegenteil:
- die Weide bietet einen attraktiven, artgemäßen Lebensraum für die Milchkühe,
- die Weide stellt hochwertiges, proteinreiches Futter bereit,
- die Weide schafft die Voraussetzungen für den Erhalt der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft und wirkt sich so günstig auf umweltbezogene Ökosystemleistungen aus.
Professionelles Grasland-Management ist unabdingbar
Die Kunst einer effizienten Weideführung ist es, zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Weidesaison die optimale Balance von Futterbedarf und Futterangebot sicherzustellen. Das erfordert ein professionelles Grasland-Management.
Warum ist das so wichtig? Eine Milchkuh sollte rund 75 kg Frischgras täglich fressen können, erklärte Berater Hans Witbaard. Wie viel Weidefläche dafür vorgehalten werden muss, hängt maßgeblich von den individuellen Standortbedingungen ab. Je nach Aufwuchsintensität und Weidesystem werden zwischen 0,5 und 1,3 ha benötigt. Für 100 Kühe müssten demnach zwischen 50 und 130 ha Weide vorgehalten werden.
Sieben praktische Tipps
Dass Kühe auf der Weide (ver)hungern oder die Milchleistung nach dem Weideauftrieb rückläufig ist, diesen Mythos hat Fachberater Daniel Bischoff (Bioland) entkräftet. Kühe geben auch auf der Weide ordentlich Milch, wenn einige Prinzipien eingehalten werden:
- Die Kühe werden im Frühjahr möglichst früh auf die Weideflächen aufgetrieben. Dadurch verbessert sich die Narbenqualität und Unkräuter werden zurück gedrängt.
- Die Weide wird kurzgehalten, das Gras sollte max. 4 bis 8 cm (10 cm) lang wachsen (Kurzrasenweide)
- Ein Schlüssel zum Erfolg ist ein hoher Tierbesatz.
- Bei hohen Milchleistungen werden mehr Weideverluste einkalkuliert.
- Weide bleibt Weide, eine zwischenzeitliche Schnittnutzung unterbleibt, denn die Stoppeln dazu führen, dass die Kühe nicht tief genug fressen (weniger fressen).
- Geilstellen werden frühzeitig genäht, der Aufwuchs wird abgefahren – nicht gemulcht!
- Auf jeder Koppel sind Wassertränken installiert, so dass die Kühe keine allzuweiten Strecken zur Wasseraufnahme zurücklegen müssen.
Die Frage wie viel Trockenmasse im Stall zugefüttert werden sollte, ist abhängig von der Zielrichtung: Wird eine maximale Milchleistung angestrebt, dann dient die Weide eher als Auslauf. In diesem Fall ist mit einer Trockenmasseaufnahme von nur 1 bis 4 kg Weidegras zu rechnen. Soll hingegen möglichst viel Milch aus Gras ermolken werden, ca. 80 % der Trockenmasse-Aufnahme (bis zu 18 kg/Tag) durch Weidegras erfolgen, müssen die Kühe hungrig auf die Weide gehen. In diesem fall sollten nur geringe Mengen an Ausgleichsfutter (Körnermais und Heu als Strukturergänzer) nach den Melkzeiten zugeteilt werden.
Wichtig ist zudem, dass die Weide permanent gefördert wird (Nachsaat, Kalkung und Schwefel) und dass bereits die jungen Rinder das Grasen lernen können. Denn wenn die Tiere erst nach dem ersten Abkalben erstmals ausgetrieben werden, dann werden sie nicht ausreichend Gras aufnehmen.
Im Herbst abkalben lassen, im Frühjahr Vollweide
Ein durchaus interessantes Weidesystem stellte Siegfried Steinberger von der LfL Bayern vor: Die in Deutschland vorhandene Genetik weist ein sehr hohes genetisches Potential auf. Zudem Da in Deutschland die Vegetationszeit begrenzt ist, empfiehlt der Weidespezialist eine Herbst-/Winterkalbung. In den Wintermonaten kann so sehr effizient die Hochlaktationsphase ausgefüttert werden. Mit sinkender Milchleistung, welche der möglichen Weideleistung entspricht, wird dann ab März, mit Beginn der Vegetationsperiode konsequent auf Vollweide gesetzt. Eine Zufütterung im Stall unterbleibt. Durch den Verzicht der Zufütterung wird eine optimale Weidenutzung erreicht. Aufgrund der beschränkten Futteraufnahme auf der Weide ist die zu erzielende Milchleistung begrenzt. Auch wenn unter dem Strich die Milchleistung etwas absinkt, so verbessert sich doch am Ende die Wirtschaftlichkeit, weiß der Berater.
Denken Verbraucher an Tierwohl, denken sie an Kühe auf der Weide. Milcherzeuger, die erfolgreich in die Weidehaltung einsteigen wollen, müssen dies vorausschauend planen.
Weidemilch: Nur 5,6 % Anteil an Frischmilch (gelabelt!)
Wie ist es um die Marktsituation von Weidemilch bestellt? Diese Frage wurde intensiv diskutiert. „Weidemilch“ ist kein rechtlich geschützter Begriff, weshalb theoretisch jeder Milchverarbeiter mit dem Begriff „Weide“ auf seinen Produkten werben kann. Das Label PRO WEIDELAND legt daher Kriterien fest, die eingehalten werden müssen, damit ein Erzeugnis als Weidemilch-Produkt gekennzeichnet werden darf.
Gegenwärtig gibt es in Deutschland 58 Milch- und Fleischprodukte, die das PRO WEIDELAND-Label tragen dürfen. Bei Konsummilch hatte Weidemilch im Jahr 2021 einen Marktanteil von 5,6 %; der Marktanteil der Konsummilch, die mit dem PRO WEIDELAND-Label gekennzeichnet war, beträgt 3,6 %. Im Jahr 2021 betrug die Wachstumsrate am Markt für Weidemilch 13,9 %.
Bei Aldi ist Weidemilch eine Erfolgsstory
Maxi Thinius, Corporate Responsibility Manager bei ALDI Nord erklärte, dass die Weidemilch durchaus als eine Erfolgsstory angesehen werden könne. Der Discounter führt seit 2016 bereits Weidemilch im Sortiment. Die Milch stammt ausschließlich aus kontrollierter Weidehaltung, bei der die Kühe mindestens 120 Tage im Jahr für mindestens sechs Stunden auf den Weideflächen stehen. 11% der Frischmilch bei Aldi entfallen bereits auf dieses Segment. Neu ins Sortiment aufgenommen wird gerade Weide-Butter. Ob diese von den Konsumenten angenommen wird, das wird gerade in einigen Aldi-Filialen getestet. Hingegen wurde aus Weidemilch hergestellter Joghurt wieder aus dem Sortiment gestrichen, die Verbraucher haben den günstigeren Bio-Joghurt bevorzugt.
80 % der Milch werden nicht ausreichend honoriert
Jutta Jaksche, Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. kritisierte, dass oft Weidemilch vom Handel nicht kenntlich gemacht werde, wohl auch um diese nicht entsprechend (5 Cent mehr) honorieren zu müssen. Damit Verbraucher und Verbraucherinnen die Leistungen von Milchvieherzeugern honorieren können, brauchen sie verlässliche und nachvollziehbare Informationen. Doch bis in der EU ein entsprechender rechtlicher Rahmen gesetzt wird, dürfte wohl noch einige Zeit verstreichen. Jaschke forderte deshalb den Handel auf, mit einem gutem Beispiel voranzugehen und Planungssicherheit zu schaffen (ähnlich der Haltungsform).
Auch, wenn Rinder auf die Weide gehen, müssen sie richtig mit Mineralstoffen ausgestattet werden. Doch was sie brauchen, hängt stark von der Region ab. Futteranalysen vom Gras helfen, das...
Kreuzungstiere aus Jersey und HF eignen sich am besten für Weidehaltungssysteme.