Mit sage und schreibe acht verschiedenen Programmen hat Milchkuhhalter Johannes Wirsching aus Ohrenbach tagtäglich in seinem Stall zu tun: Neben dem zentralen Herdenmanagementprogramm hat er jeweils eine eigene Software für die Pedometer der Kühe und für die Brunstsensoren des Jungviehs, genauso für das Ortungssystem, für mehrere Schieber und schließlich für das Energiemanagementsystem. „Zum Glück kommunizieren wenigstens die drei Programme vom gleichen Hersteller untereinander,...
Mit sage und schreibe acht verschiedenen Programmen hat Milchkuhhalter Johannes Wirsching aus Ohrenbach tagtäglich in seinem Stall zu tun: Neben dem zentralen Herdenmanagementprogramm hat er jeweils eine eigene Software für die Pedometer der Kühe und für die Brunstsensoren des Jungviehs, genauso für das Ortungssystem, für mehrere Schieber und schließlich für das Energiemanagementsystem. „Zum Glück kommunizieren wenigstens die drei Programme vom gleichen Hersteller untereinander, denn sonst wäre der Zeitaufwand für die Pflege der Daten nicht zu stemmen“, berichtet er.
Seiner Berufskollegin Katja Keller geht es ähnlich. Sie muss für das Herdenmanagement ihrer 200 Kühe zwar „nur“ zwischen zwei digitalen Anwendungen hin- und herspringen, hat dafür aber noch „Handarbeit“. Die Anpaarungsempfehlungen ihres Zuchtverbandes liest sie manuell über eine CSV-Datei ein, aber Besamungsscheine müssen für den Zuchtwart ausgedruckt werden. „Wir erfassen mittlerweile so viele Daten im Betrieb, daher wäre eine Oberfläche, in die alles automatisch reinläuft und bei der alle Daten übersichtlich zu sehen sind, wünschenswert“, sagt sie. Auch Johannes Wirsching hat noch Ideen, wie man die digitale Technik in seinem Stall besser vernetzen und damit die Abläufe optimieren könnte. „Mit einer Koppelung könnte man z. B. die Fahrtzeiten der Schieber besser aufeinander abstimmen.“
Selbst wenn eine Schnittstelle vorhanden ist, geht beim Austausch der Daten oft ihre Detailqualität und ihre grafische Anschaulichkeit verloren.
Boris Lehmann von der Tierhaltungsschule Triesdorf
Koppelprogramme nötig
Noch sind diese Wünsche und Ideen der Praktiker aber Zukunftsmusik. Denn es fehlt vielfach an den entsprechenden Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen im Stall, um Daten problemlos zusammenführen und auswerten zu können. „Und selbst wenn eine Schnittstelle vorhanden ist, geht beim Austausch der Daten oft ihre Detailqualität und ihre grafische Anschaulichkeit verloren oder sie lassen sich nicht gut genug miteinander verrechnen“, so Boris Lehmann, Tierhaltungsschule Triesdorf.
Ja, es gab in den letzten Jahren durchaus Fortschritte. So verfügen mittlerweile die Melktechnik-unabhängigen Herdenmanagement-Programme – wie etwa Herde, Uniform Agri oder DairyComp – über eine Vielzahl an Schnittstellen, etwa zu HI-Tier, zu den Landeskontrollverbänden (LKV), zu Sensorsystemen oder Rationsplanern. Sie profitieren davon, dass die großen Melktechnik-Hersteller bisher ihre Schnittstellen aus Datenschutz- und Wettbewerbsgründen nicht direkt an andere Anbieter von digitalen Systemen herausgegeben haben. Denn rein technisch ist das laut Experten in den meisten Fällen kein Problem.
Nur Koppelprogramme oder mehr?
Das Wort „Koppel-Programm“, das lediglich Schnittstellen zwischen digitalen Techniken im Stall schafft, hören die unabhängigen Herdenmanagement-Programme wie Uniform Agri oder Herde nicht gern. Und in der Tat bieten sie für das tägliche Management im Betrieb und für die Arbeitsroutinen in der Herde, wie z.B. im Bereich Fruchtbarkeit, weit mehr als einen breiten Datenaustausch. Die Softwarehäuser heben vor allem die vielfältigen Erfassungs- und Auswertungsmöglichkeiten ihrer Programme als Vorteil hervor.
„In unserem Programm laufen alle erfassten Daten anderer Systeme zusammen und werden für Analysen aufbereitet“, sagt Verena Lay von Uniform Agri. Dank der weit über 100 Schnittstellen, u.a. zu sämtlichen Melktechniksystemen, Aktivitäts- und Gesundheitssensoren sowie Kraftfutterstationen und länderspezifischen Meldeprogramme, wie z.B. HI-Tier und LKV, ist der Datenpool sehr umfassend. Ein ähnliches Bild bei Herde von dsp agrosoft. Auch hier kommen ständig neue Schnittstellen hinzu.
Etliche Milcherzeuger schafften sich gerade wegen fehlender Schnittstellen bei ihrer vorhandenen Melktechnik-Software zusätzlich ein solches „Koppel“-Programm an. Karl-Michael Müller aus Allmannsweiler ist dazu nicht bereit: „Ich investiere nicht in ein zusätzliches Programm, das nur dazu dient, dass die vorhandenen beiden kommunizieren können. Diesen Datenaustausch müssen die Melktechnik-Hersteller und der LKV hinbekommen“, sagt er.
Was plant die Politik?
Auf EU Ebene laufen nach Aussage des BMEL mehrere Initiativen zur Standardisierung des Datenaustauschs und zur Absicherung der Datensouveränität des jeweiligen Teilnehmers. Dazu gehört zum einen das EU-Datengesetz (Data Act), das auch im Agrarbereich einen fairen Umgang mit Daten anstrebt. In Kürze werden zudem die Ergebnisse der so genannten „Normungsroadmap Smart Farming“ vorgestellt. Bei der ISO soll auf diesen Empfehlungen basierend ein neues Technical Committee „Datengetriebene Agrar- und Lebensmittelsysteme“ gegründet werden.
Daneben gibt es aus der Wirtschaft heraus Projekte wie AgIN (Agricultural Industry Electronics Foundation), das interoperable Lösungen für online-Plattformen im landwirtschafttlichen Bereich schaffen soll. Das Projekt Gaia-X plant gemeinsame Regeln für den Datenaustausch, für Zugangs- und Transportprotokolle, Dienste und Richtlinien.
Neutrale Plattform
Mittlerweile bewegen sich zwar auch die Melktechnik-Hersteller, so hat Lely als erster bei seiner Robotersoftware eine Schnittstelle zu den LKV in Bayern und Österreich eingerichtet. Sie löst das Versenden von Adis-Dateien für die MLP ab und versorgt die Betriebe mit aktuellen Tierdaten aus den LKV-Datenbanken. „Die anderen LKVs im RDV-Verbund werden zeitnah folgen, es arbeiten alle an der Implementierung“, sagt Dr. Florian Grandl vom LKV Bayern. Genau das ist der Punkt, warum eine bessere Vernetzung nur langsam vorankommt: Jede Organisation und jeder Hersteller verfolgt eine eigene Schnittstellen-Strategie und auch die Betriebe benötigen oft individuelle Verknüpfungs-Lösungen.
Alle LKVs im RDV-Verbund arbeiten an der Implementierung einer Schnittstelle zur Robotersoftware von Lely.
Dr. Florian Grandl, LKV Bayern
Gerade Organisationen, die Daten verarbeiten, wie die LKVs und die Rechenzentren, wollen jetzt mit „iDDEN“ eine neutrale freiwillige Plattform für einen technisch standardisierten Datenaustausch anschieben, das ISOBUS-System für den Stall. iDDEN steht für International Dairy Data Exchange Network und ist die derzeit größte internationale Partnerschaft für Milchdaten mit Organisationen (LKVs, Rechenzentren, Unternehmen) aus 13 Ländern. Offenbar sollen aktuell ca. 200.000 Betriebe und ca. 20 Mio. Kühe bereits dahinter stehen.
Der Erfolg dieser Plattform wird allerdings entscheidend davon abhängen, ob und wie sich die großen Melktechnik-Player daran beteiligen. DeLaval oder GEA sind nach eigenen Angaben bereits im Boot (siehe Kasten unten). Offen ist jedoch, wann sie am deutschen Markt konkret Lösungen für den Datenaustausch anbieten werden. Bei Lely laufen die Gespräche zu einer möglichen Teilnahme daran aktuell noch. Erste Kritiker sehen in einer solchen standardisierten Schnittstelle vor allem die Gefahr, dass dadurch die Detailqualität der Daten reduziert werde und damit eben auch ihre Aussagekraft leide.
„Der Druck muss vom Markt kommen“
Das Projekt „DigiMilch“ an der LfL Bayern beschäftigt sich vor allem mit der Vernetzung digitaler Techniken im Stall. Wo wir aktuell stehen, fragten wir die Projekt-Koordinatorin, Dr. Isabella Lorenzini.
Elite: Praktiker beklagen die mangelnde Vernetzung der digitalen Techniken im Kuhstall. Was muss passieren, damit wir hier entscheidend weiter kommen?
Dr. Isabella Lorenzini: Das Problem der fehlenden Schnittstellen wird zunehmend an Bedeutung gewinnen, je mehr Landwirt*innen digitale Technologien auf ihrem Betrieb anwenden werden. Einige Firmen und Organisationen sind in dieser Hinsicht schon bemüht und vernetzten sich untereinander. Der Druck kann meiner Meinung nach in dieser Hinsicht entweder vom Markt, im Sinne von überlegten Investitionen in Technologien, die möglichst viele Schnittstellen anbieten, oder von der Politik kommen. Hier z.B. durch gezielte Fördermaßnahmen. Die Wissenschaft kann durch Forschung über nachweisbare Vorteile der Vernetzung zwischen Systemen unterstützend wirken.
Elite: Gibt es Ihrer Ansicht nach triftige technische Gründe dafür, wenn keine Schnittstelle zwischen den Systemen eingerichtet wird oder sind hauptsächlich Wettbewerbsgründe dafür verantwortlich, dass von den Herstellern keine Schnittstellen geschaffen werden?
Dr. Lorenzini: Ich bin keine Informatikerin und kann mich deshalb bezüglich der möglichen technischen Gründen für fehlende Schnittstellen nicht äußern. Jedenfalls ist die Verfügbarkeit von Schnittstellen zwischen den Herstellern sehr unterschiedlich. Wettbewerbsgründe spielen hier aber auf jeden Fall eine sehr große Rolle. Insbesondere die großen Melktechnikhersteller versuchen leider oft ihre Produktlinie am Markt zu platzieren und sind mit der Herausgabe von Schnittstellen sehr zurückhaltend, obwohl diese verfügbar wären.
Elite: Es gibt ja inzwischen zumindest herstellerübergreifende Steuerungssysteme (Fa. Lock) und es soll auch nach dem Vorbild von ISOBUS in der Außenwirtschaft mittlerweile eine neutrale Plattform für den Datenaustausch geben. Bringt uns das entscheidend weiter?
Dr. Lorenzini: Absolut! Leider gibt es eine solche Plattform bzw. einen entsprechenden Datenstandard für die Innenwirtschaft noch nicht. Eine neutrale Plattform bzw. Schnittstellenstandard für den Datenaustausch wäre eine gute und sinnvolle Möglichkeit das Potential von Daten voll auszuschöpfen. Es ist nämlich so, dass beispielsweise im Bereich Gesundheitsmonitoring die Kombination verschiedener Daten aus verschiedenen Systemen und Sensoren genauere Aussagen über den aktuellen Gesundheitsstatus eines Tieres ermöglicht. Dies ist sowohl im Sinne der Arbeitseffizienz als auch im Sinne des Tierwohls auf dem Betrieb ein sehr wichtiger Aspekt.
Elite: Praktiker beklagen, dass die über Schnittstellen transferierten Daten oft mit minderer Qualität übermittelt werden und dann im neuen Programm auch nicht so gut mitverrechnet werden könnten. Können Sie das bestätigen?
Dr. Lorenzini: Sicherlich gibt es auch bei bereits bestehenden Schnittstellen Optimierungsbedarf. Aufgrund der sehr großen Mengen an Daten, die auf einem Betrieb täglich anfallen, müssen diese zum Teil verdichtet werden. Dies kann natürlich ein Hindernis für eine effektive Auswertung von Daten im Sinne des Gesundheitsmonitorings sein. Außerdem ist es auch eine Frage der Algorithmen an sich. Obwohl sich momentan Forscher*innen auf der ganzen Welt mit der Erstellung von Prognosemodellen, sowie mit Verhaltens- und Leistungsdaten, auseinandersetzen, gestaltet sich die Entwicklung oft als sehr komplex. Hier gilt also: „work in progress“.
Elite: Die Frage, wem die Daten gehören und was damit passiert, ist für die Landwirte ja zurecht ein Aufregerthema. Wie sollten Praktiker damit umgehen?
Dr. Lorenzini: Bei der Datensicherheit gibt es unterschiedliche Strategien. Zentrale Datenhaltung (cloud computing) und dezentrale Datenhaltung am Betrieb. Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Bezüglich der Frage, wem die Daten gehören, gibt es leider auch keine goldene Regel, da diese (noch) eine juristische Grauzone ist. Denn es gibt per Gesetz keine umfassende Datenhoheit. Perspektivisch könnte in Zukunft durch den EU Data Act ein bisschen Klarheit geschaffen werden. Die Empfehlung lautet also: vor der Investition vertraglich klären, wem die Daten in welcher Verarbeitungsstufe gehören und wo diese gespeichert werden (können).
Welche digitalen Techniken bieten bereits Schnittstellen?
Schnittstellen zu den unabhängigen Herdenmanagement-Programmen können vor allem die digitalen Monitoring- und Sensorsysteme zur Gesundheits- und Fruchtbarkeitsüberwachung der Tiere aufweisen. Wie z.B. die Brunsterkennungssysteme CattleData oder InnoMoo. Beide Firmen geben z.B. an, eine komplett offene Schnittstelle anzubieten. Man könne seit Jahren alle Systeme kombiniert nutzen. Ein Datenaustausch mit LKV und HIT ist gegeben. Wie die Systeme kombiniert werden, müsse jeweils im Einzelfall abgeklärt werden.
Auch die Daten des Pansensensors Smaxtec sind nach Aussage des Anbieters bereits voll oder teilweise in andere Programme integriert. Wie z.B. in DelPro von DeLaval, GEA Dairy Plan, Lely, Herde plus, Uniform agri. Die Anbindung an verschiedene LKVs sei ebenfalls gegeben. Die Erfahrung zeige aber, dass die Landwirte trotzdem mit der eigenen Smaxtec-Applikation arbeiten würden, da sie nutzerfreundlich sei und praktische Tools biete.
Im Entstehen sind zudem auch Schnittstellen im Bereich Kälbertränkeautomaten sowie bei der Fütterung zu Kraftfutterstationen und Rationsberechnungsprogrammen. Bei der Stalltechnik dagegen gibt es bisher kaum Schnittstellen, weil hier das Tier meist nicht individuell betrachtet werden muss.
Wie weit sind die großen Melktechnik-Hersteller?
DeLaval bietet aktuell Schnittstellen zu Herde, Uniform agri und Dairy Comp. Man konzentriere sich aktuell auf die Partnerschaft mit iDDEN, um den Datenaustausch relevanter Parameter zukünftig noch einfacher gestalten zu können. Schnittstellen zu einzelnen Herstellern, z.B. von Sensoren, seien nicht geplant. Mit DelPro Xtra Link biete man eine Schnittstelle zu den LKVs und HIT an.
GEA: Das Unternehmen arbeitet seit Dezember 2022 an der internationalen Plattform iDDEN mit. Die bisherige Management-Software DairyPlan C21 integriere bereits zahlreiche Systeme. Aktuell konzentriere man sich auf die Weiterentwicklung des neuen Programms GEA DairyNet. Zu den lokalen LKV und diversen Zuchtverbänden könnten bisher schon alle Daten ex- und importiert werden. Die Anbindung an HIT werde momentan aktualisiert. Wann und welche Drittsysteme an DairyNet angebunden werden, kläre man im Detail mit dem betreffenden Unternehmen.
Lely: Nach eigenen Angaben bestünden mehrere Datenpartnerschaften wie z.B. mit dsp agrosoft oder Uniform agri. Darüber hinaus habe man Vereinbarungen zur Datennutzung mit DSAHR und ForFarmers. Zur bereits bestehenden Schnittstelle zum LKV in Bayern sollen in nächster Zeit weitere Schnittstellen zu anderen LKVs im RDV-Verbund hinzukommen. Die jeweils ausgetauschten Daten seien abhängig vom Datenpartner. Man arbeite ständig daran, weitere Funktionen in Lely Horizon zu integrieren.
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