Die Beobachtung von Tierarzt Dr. Michael Schmaußer aus Freising lässt aufhorchen: „Ich sehe in der Praxis häufig, dass durchfallkranke Kälber mit dem Kopf gegen die Boxen- oder Igluwand drücken, sie haben vermehrten Tränenfluss, einen schwachen Saugreflex und sie knirschen mit den Zähnen. Das sind alles Anzeichen dafür, dass sie an Kopfschmerzen leiden und sich so Linderung erhoffen.“ Seine Ursachenforschung ergab letztlich, dass diese Kälber eine zu hochdosierte, also hypertone,...
Die Beobachtung von Tierarzt Dr. Michael Schmaußer aus Freising lässt aufhorchen: „Ich sehe in der Praxis häufig, dass durchfallkranke Kälber mit dem Kopf gegen die Boxen- oder Igluwand drücken, sie haben vermehrten Tränenfluss, einen schwachen Saugreflex und sie knirschen mit den Zähnen. Das sind alles Anzeichen dafür, dass sie an Kopfschmerzen leiden und sich so Linderung erhoffen.“ Seine Ursachenforschung ergab letztlich, dass diese Kälber eine zu hochdosierte, also hypertone, orale Elektrolyttränke (ORT-Tränken) aufgenommen haben.
Bestätigung erhält er aus der Wissenschaft. „Wir diagnostizieren häufig erhöhte Natriumwerte und Anzeichen einer Kochsalzvergiftung bei Kälbern, die über einen längeren Zeitraum mit einem nicht fachgerechtem Tränkeregime versorgt werden. Und auch die Natrium-Konzentration in der angebotenen Elektrolyttränke weicht regelmäßig erheblich vom „Sollwert“, also von den Angaben des Herstellers bei korrektem Anmischen, ab“, sagt Prof. Walter Grünberg von der Universität Gießen.
Verschiedene Ursachen kommen infrage
Da sich die Rezepturen für die allermeisten der kommerziell erhältlichen ORT-Tränken auf Nachfrage bei den Herstellern nicht geändert haben, sehen die Tierärzte die Hauptursachen für die Symptome in folgenden Punkten:
- Die Mischanleitungen für die Elektrolyttränken werden vielfach nicht korrekt eingehalten und oft mit zu wenig Wasser angemischt;
- Präparate, zum Beispiel Elektrolyttränke und Bicarbonatpillen, werden kombiniert oder nach eigener Rezeptur angepasst;
- den Tieren steht außer der Elektrolyttränke kein oder zu wenig Wasser zur freien Aufnahme zur Verfügung.
Die Folge: Durch eine zu hohe Salzaufnahme steigt die Natrium-Konzentration im Blut, die beim ohnehin schon dehydrierten Kalb zu einem zusätzlichen Wasserbedarf führt. Dieser zusätzliche Bedarf kann jedoch aus der angebotenen ORT-Tränke allein nicht gedeckt werden, da bei vermehrter Aufnahme die Natrium-Konzentration im Blut noch weiter steigen würde. Das Tier atmet schneller und schwerer, der Saugreflex wird schwächer. Eine Kochsalzvergiftung mit Todesfolge droht.
Was sollte eine Elektrolyttränke enthalten?
- 70 – 140 mmol/l Natrium
- 50 – 90 mmol/l Puffer
- 70 – 400 mmol/l Glukose (Glycin, Laktose)
- Das Glucose-Natrium-Verhältnis sollte zwischen 1:1 und 3:1 liegen. Die Gesamtosmolarität ist zwischen 280 – 700 mosmol/l ideal.
Quelle: Grünberg
Produkte nicht kombinieren
Die kommerziell erhältlichen Elektrolyttränken unterscheiden sich, was ihre Konzentration an Inhaltsstoffen und ihre Osmolaritäten angeht, zum Teil deutlich. Die Mindestwerte an Natrium, Puffer, Energie etc. sind aber durch die Diätfutter-Richtlinie vorgegeben (Kasten).
Auch die Mischangaben auf der Packung unterscheiden sich je nach Hersteller. Mal sind die Angaben für ein Liter, mal für zwei Liter Elektrolyttränke, was leicht zu Missverständnissen führen kann. Das jeweils angegebene Mischungsverhältnis sollte aber auf jeden Fall befolgt werden, raten die Experten. Eine generelle Empfehlung sei kontraproduktiv. „Aus meiner Sicht sollte man die nach Packungsangabe angerührte Mischung aber immer noch mit Wasser strecken, um das Risiko einer Überdosierung auszuschließen“, so Dr. Schmaußer. Um den großen Verlust an Elektrolyten und Puffersubstanzen auszugleichen, braucht ein durchfallkrankes Kalb ständig Flüssigkeit. Unabhängig von der ORT-Tränke im Nuckeleimer muss daher immer ein Eimer mit frischem Wasser zugänglich sein. Die angemischte ORT-Tränke sollte außerdem ständig nachgefüllt werden und dem Tier 24 Stunden zur Verfügung stehen. ORT-Tränken zu drenchen, ist ein No-Go, da ihr hoher Zuckergehalt, der beim Drenchen im Pansen landet, zu Pansenazidose führt und den Zustand des Kalbes noch verschlechtern würde.
Bicarbonat-Pille nie ohne Wasser
Auch beim Einsatz der Bicarbonat-Pille gibt es Besonderheiten zu berücksichtigen: „Ihr Ziel ist ja, durch die Salzgabe Durst auszulösen. Da im Gegensatz zur ORT hier nur Salz ohne Wasser im richtigen Verhältnis verabreicht wird, ist der freie Zugang zu Wasser hier essenziell. Ansonsten ist die Kochsalzvergiftung vorprogrammiert“, betont Prof. Grünberg. Elektrolyttränken und Bicarbonat-Pillen sollte man auch nie gleichzeitig verabreichen. Der Experte warnt: „Bicarbonat-Pillen sind nicht für den Einsatz mit ORT-Tränken vorgesehen, da diese eigentlich schon ausreichend Puffer enthalten sollten. Die Kombination ist also nicht nur sinnlos, sondern potenziell gefährlich, da es zu einer Überpufferung kommen könnte!“
Flüssigkeit und Elektrolyte sind das Wichtigste, was ein durchfallkrankes Kalb braucht. Fehler beim Anmischen können fatale Folgen haben.
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Bei bis zu 60 Prozent der Kälber, die in den ersten zwei Lebensmonaten sterben, ist Durchfall die Todesursache. Daher ist es wichtig bei ersten Anzeichen schnell zu reagieren. Hier einige Tipps!