Von heute auf morgen waren die Probleme im Bestand von Ralf Müller* da: Direkt nach der Kalbung litten sämtliche Kühe an Ketose, bei zwei kam Milchfieber hinzu. Ein Tier starb durch einen akuten Schock. Kotproben legten schließlich die Ursache nahe: Clostridien.
Von toten Kühen innerhalb weniger Tage nach der Kalbung durch Clostridien-Toxine kann auch Alexander Maier* berichten. „Wir haben in den letzten vier Jahren 30 bis 40 Kühe dadurch verloren.“ Die typischen Symptome bei...
Von heute auf morgen waren die Probleme im Bestand von Ralf Müller* da: Direkt nach der Kalbung litten sämtliche Kühe an Ketose, bei zwei kam Milchfieber hinzu. Ein Tier starb durch einen akuten Schock. Kotproben legten schließlich die Ursache nahe: Clostridien.
Von toten Kühen innerhalb weniger Tage nach der Kalbung durch Clostridien-Toxine kann auch Alexander Maier* berichten. „Wir haben in den letzten vier Jahren 30 bis 40 Kühe dadurch verloren.“ Die typischen Symptome bei den Tieren waren dicke Gelenke sowie Gasödeme an den Schenkeln, an den Eutern, am Rücken und am Hals. „Trotz einer zügigen Penicillin-Behandlung verendeten die Tiere oft nach 24 Stunden.“ In erster Linie anhand von Kotproben wurde auch bei Maiers Tieren von einer konkreten Belastung mit Clostridium perfringens und Clostridium botulinum ausgegangen.
Spricht man mit Beratern und Tierärzten, muss man solche Fälle nicht lange suchen. Die Fallzahlen, die bundesweit im Zusammenhang mit Clostridium perfringens stehen, steigen laut Dr. Hans-Jürgen Seeger vom RGD der Tierseuchenkasse Baden-Württemberg aber auch schon allein deshalb, weil man inzwischen gezielter auf Clostridien und ihre Toxine untersucht.
Was man bisher weiß
Von einer Clostridien-Infektion mit tödlichem Ausgang sind oft nur einzelne Kühe im Bestand betroffen. Sie liegen durch eine lokale Vermehrung der Clostridien im Darm meistens erst fest, ihre Gelenke sind verdickt und sie entwickeln an verschiedenen Körperstellen durch Wundinfektionen die beschriebenen Gasödeme. Offene Wunden verheilen schlechter, die Milchleistung geht zurück, die Zellzahlen steigen.
Irgendwann produzieren die Bakterien im Magen-Darm-Trakt dann Toxine. Dieser Toxin-Belastung halten die Kühe anfangs Stand, abhängig von der Körperkondition brechen sie früher oder später aber komplett ein. „Solche Tiere sind vorher vermutlich bereits nah am Kipppunkt ihres Immunsystems, sodass sie anfälliger sind und zum Beispiel schon bei einer schlechteren Futterqualität oder auch nur bei einer Futterumstellung einbrechen“, sagt Dr. Ingrid Lorenz vom Tiergesundheitsdienst (TGD) Bayern. Da dieser Kipppunkt sehr tierindividuell ist, weiß man auch nicht, ab welcher Konzentration die Bakterien tatsächlich Probleme machen. Tendenziell sind eher Herden mit gutem Management, einer hohen Schnittfrequenz bei Gras und viel Wirtschaftsdünger-Einsatz betroffen wie bei Alexander Maier. Seine 400 HF-Kühe geben durchschnittlich ca. 11.000 kg Milch.
Aufwändige Diagnostik
Werden in solchen Fällen dann Clostridien im Futter oder Antikörper im Blut gefunden, ist die Ursache oft schnell benannt. Doch so einfach ist es nicht. Denn Clostridien kommen überall vor, sind Bestandteil der natürlichen Darmflora (siehe Info, S. 48) und nicht alle machen krank. Für Tierärzte sind nur die Symptome gemeinsam mit dem pathologischen Bild der Tiere und mit einem hochgradigen Clostridiennachweis im Kot und im Futter verlässlich. Die Toxine selbst sind dagegen nur für kurze Zeit nachweisbar. Hinzu kommt, dass die Clostridien-Diagnostik teuer ist und Erfahrung im Labor benötigt.
Vorbelastete Tiere kippen irgendwann durch die Toxine um
Dr. Ingrid Lorenz, TGD Bayern
Die Risikofaktoren
Eine eindeutige Ursache für das Krankheitsgeschehen zu finden, gelingt in vielen Fällen nicht. Auch weil sich der Verlauf über Jahre hinziehen kann. Identifizierbar sind bisher allerdings einige Risikofaktoren:
- Hohe Eiweiß-, Zucker- und Stärkegehalte im Darmtrakt begünstigen die Clostridien-Vermehrung. Daher sollte die Ration nicht zu viel Restzucker bzw. zu viel leicht lösliche Kohlenhydrate enthalten, beim Energie-Eiweiß-Verhältnis ausgeglichen sein und ausreichend Struktur bieten.
- Qualitätsmängel in der Silage, wie eine unzureichende Vergärung mit hohen pH-Gehalten oder zu niedrige TS-Gehalte (< 30 %) gehören ebenfalls zu den Risikofaktoren. Der Einsatz von Siliermitteln ist ratsam, auch wenn er keine absolute Versicherung gegen Clostridien ist.
- Bei einer starken Futterverschmutzung, also hohen Rohaschegehalten, nehmen die Tiere generell mehr Clostridien über die Ration auf. Berater und Tierärzte befürchten daher, dass die Clostridienproblematik ab 2025 mit der Pflicht zur bodennahen Gülleausbringung weiter zunimmt: „Wenn die Gülle unsepariert im Schleppschlauchverfahren ausgebracht wird und es danach länger trocken ist, kann sie nicht ausreichend in den Boden eindringen und mit Clostridien belastete Silagen sind vorprogrammiert“, vermutet Felix Wittlinger vom Tierärzteteam Crailsheim. Die Studienlage dazu ist dünn. Eine Untersuchung der LfL Bayern zeigte allerdings, dass ein bei der Ernte noch sichtbares Gülleband nicht bedeute, dass das Futter grundsätzlich verschmutzt sei. Die Schnitthöhe habe einen größeren Einfluss auf die Clostridien-Belastung als die bodennahe, streifenförmige Ausbringung. Zur oft geäußerten Vermutung, dass Biogasanlagen die Gefahr erhöhen, gibt es bisher keinerlei Belege.
- Hohe Temperaturen und Kondenswasser im Futterlager sind genauso ein Risiko wie eine mangelnde Stallhygiene. Nitrat hemmt die Vermehrung von Clostridien, ab einer Gesamtaufnahme von 50 g/Kuh/Tag schadet es aber.
- Sämtliche Stressoren, wie z. B. eine plötzliche Futterumstellung, Endoparasiten oder Hitze, können bei vorbelasteten Tieren zum Auslöser klinischer Symptome werden.
- Einzelne Fälle lassen sich auf einen Clostridien-Eintrag über eine Injektionskanüle in die Muskulatur zurückführen. Die Erreger vermehren sich dann anaerob im Muskelgewebe und es kommt zu den bekannten Gasödemen.
Wie sieht die Therapie aus?
Klinisch erkrankte Tiere können mithilfe von Antibiotika stabilisiert werden, wenn man früh dran ist. Ansonsten bleibt nur die Vorbeugung, indem man die Risikofaktoren vermeidet. Ralf Müller impft seine Kühe und hochtragenden Rinder mittlerweile zur Grundimmunisierung mit einem kommerziellen Impfstoff gegen Clostridien zweimal im Abstand von drei Wochen. Nach einem halben Jahr impft er alle noch mal nach.
Aktuell sind zwei Clostridien-Impfstoffe erhältlich, die mehrere Stämme, unter anderem auch Rauschbrand, abdecken. Das sind Bovilis Bravoxin (MSD) und Covexin 10 (Zoetis). Bei beiden handelt es sich um inaktivierte Impfstoffe. Seit der Impfung sei kein neuer Fall mehr aufgetreten, sagt Müller. Dass belastete Bestände danach schnell wieder „rund“ laufen, berichten auch Tierärzte.
Eine Impfung packt das Problem nicht an der Wurzel.
Dr. Hans-Jürgen Seeger, RGD Baden-Württemberg
Allerdings sind die Impfstoffe nicht immer ausreichend verfügbar. Die Erfahrungen mit Bestandsvakzinen sind gemischt. „Eine Impfung hilft nicht in jedem Fall, vor allem bei chronischen Infektionen nicht und wenn andere Ursachen im Vordergrund stehen. Außerdem wird das Problem damit nicht an der Wurzel gepackt“, mahnt Dr. Hans-Jürgen Seeger, RGD Baden-Württemberg. Kein Wunder ist daher, dass die Betriebe dauerhaft impfen.
Was bleibt, außer zu impfen?
Alexander Maier hat das Problem mit einem Ferment, mit dem er das Getreide in der Ration aufschließt, seit ca. zwei Jahren in den Griff bekommen. Das Ferment ist eine Vormischung mit Silierzusatzstoffen und besteht im Wesentlichen aus verschiedenen Milchsäurebakterien-Stämmen, die Clostridien inaktivieren. „Damit soll die positive Wirkung dieser Stämme verstärkt und der Pansen und Darm entlastet werden“, beschreibt Dr. Dieter Wiesmann von der Fa. Schaumann die beabsichtigte Wirkung.
Durch den Einsatz eines Ferments sind die Zellzahlen wieder gesunken.
Alexander Maier, Milcherzeuger
Maier setzt das Ferment mit 250 g Getreideschrot und 750 ml Wasser gemischt selbst regelmäßig in einem 250 Liter-Fass mit Bodenrührwerk bei 40 °C für 24 Stunden an. Pro Tier und Tag verfüttert er ca. ein Liter Ferment. Ob er jemals darauf verzichten kann, bezweifelt der Betriebsleiter. „Dass dadurch die Zellzahlen gleichzeitig auf 140.000 sanken, ist ein kleiner Trost.“ Die Wissenschaft ist gespalten, ob eine solche „Milieusteuerung“ im Futter oder in der Gülle – die auch andere Produkte, wie z. B. EMs, zum Ziel haben – etwas bringt. Aussagekräftige Studien gibt es nicht. „Fakt ist aber, dass die Betriebe, die Bakterien als Gegenspieler der Clostridien einsetzen, hinterher wieder laufen“, berichtet Thomas Hellmann, Berater vom VRS Nordfriesland. Letztlich gebe es aber wohl kein Patentrezept, das auf alle Betriebe übertragbar sei.
*Namen von der Redaktion geändert
Clostridien sind überall
Clostridien sind anaerobe, gram-positive Bakterien, die überall wie z. B. im Boden, im Wasser, in der Gülle und auch im Darm vorkommen. Es gibt viele unterschiedliche Arten. Am bekanntesten dürfte der Erreger des Botulismus sein, Clostridium botulinum, bei dem das Tier meist über mit Tierkadaver verunreinigtes Futter Toxine aufnimmt. Davon zu unterscheiden sind die Erreger des anzeigepflichtigen Rauschbrands, Clostridium septicum, sowie Clostridien, die sich im Magen-Darm-Trakt vermehren, wie Clostridium perfringens. Cl. perfringens bildet im Darm, in der Muskulatur oder im Nervensystem Toxine, die schnell zum Tod führen können. Diskutiert wird außerdem, ob diese Toxine zum Krankheitsbild des Hämorrhagischen Bowel Syndroms (HBS) führen können. Dabei kommt es zu Blutkoagula im Darm. Häufig findet man Mischinfektionen.
Häufig genutzt, aber selten optimal – der Strohstall ist oft ein Kompromiss aus Kuhkomfort, Hygiene und Arbeitsaufwand. Tipps für funktionale Strohbereiche.
Der Einsatz von Antibiotika kann bei Nutzkälbern drastisch reduziert werden, wenn schon der Geburtsbetrieb bestimmte Risikofaktoren ausschaltet. Das zeigt eine Schweizer Studie mit 2.000 Kälbern.