Je besser die Herdenleistung, desto häufiger stehen Herdenmanagerinnen und Herdenmanager vor einem Problem: Die Kuh müsste dringend trockenstehen, gibt aber noch weit über 30 Liter Milch pro Tag. Was tun? Ihr Wasser oder Futter zu verweigern, funktioniert zwar, ist aber...
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Je besser die Herdenleistung, desto häufiger stehen Herdenmanagerinnen und Herdenmanager vor einem Problem: Die Kuh müsste dringend trockenstehen, gibt aber noch weit über 30 Liter Milch pro Tag. Was tun? Ihr Wasser oder Futter zu verweigern, funktioniert zwar, ist aber tierschutzrelevant. Sie trotzdem trockenzustellen, klappt oft, aber nicht immer: Kühe lassen die Milch laufen oder erkranken während des Trockenstehens an einer Mastitis.
Welche Kuh selektiv trockengestellt wird, entscheidet sich durch die Zellzahl in der letzten MLP. Neue Forschungen zeigen nun: Auch die Milchleistung zählt.
Milchleistung durch frühere Abnahme reduzieren
GEA hat deshalb mit „AutoDry“ ein Verfahren entwickelt, bei dem die Melkzeuge über einen Zeitraum von zwei Wochen automatisch immer etwas früher abgenommen werden. So soll sich bei Kühen in der Spätlaktation kurz vor dem Trockenstellen die Milchleistung reduzieren. Das Melktechnik-Unternehmen möchte das natürliche Verhalten des Kalbes imitieren: Zum Ende der Säugezeit trinkt es immer weniger, der Euter-Innendruck steigt und verringert dadurch die Milchbildung.
In konventionellen Melkständen mit bestimmten Melkstandsteuerungen (Dematron 70, Metatron 21) können Milcherzeuger ein zusätzliches Softwaremodul für die Herdenmanagement-Software freischalten lassen. Der Algorithmus steuert dann die Abnahme des Melkzeugs.
So funktioniert‘s
Der patentierte Algorithmus berechnet auf Basis des Sieben-Tage-Mittels der trockenzustellenden Kühe eine "Ziel-Tagesmilchmenge", die sich jeden Tag um einen bestimmten Betrag reduziert (Reduzierungsfaktor). Aus der Ziel-Tagesmilchmenge wird vor jedem Melken die reduzierte Ziel-Gemelksmenge berechnet und das Melken beendet, bevor das Euter leer ist.
Der Algorithmus berücksichtigt den zeitlichen Abstand zur vorherigen Melkung, in dem er die erwartete Gesamt-Milchmenge zu Hilfe nimmt. Jeden Tag wird die Ziel-Tagesmilchmenge um den gleichen Prozentsatz (meist 5%) reduziert:
Standardmäßig beginnt dieser Zeitraum am 216. Trächtigkeitstag und endet am 230. Tag der Trächtigkeit. Der Prozess lässt sich aber auch individuell einstellen. Bislang lautet die Empfehlung, nur eutergesunde Kühe unter 100.000 Zellen/ml Milch und mit unauffälliger BU mithilfe der AutoDry-Funktion trockenzustellen, weil solche Kühe Teil der Forschung waren (Aussage/Empfehlung möglich).
Forschende haben den Prozess entwickelt
Mithilfe des AutoDry-Algorithmus lässt sich die Milchmenge in den letzten zehn Tagen vor dem Trockenstellen signifikant reduzieren, ohne dass sich z.B. die Milchzusammensetzung oder die Zellzahlen ändern. Insgesamt wurde der Prozess an etwa 100 Kühen wissenschaftlich untersucht (z.B. Dissertation L. Martin, 2020, Uni Bonn; Ruitenbeek et al, 2021).
Auch eine „normale“ Kuh profitiert davon, mit 12 statt mit 18 kg Milchleistung trockengestellt zu werden.
Martin Schnare, Produktmanager GEA
„Die Standard-Einstellungen basieren auf den Ergebnissen der Forschungsarbeiten “, erklärt Produktmanager Martin Schnare. „Bei leichtmelkenden Kühen könnte man Reduzierungsfaktor oder Zeitraum sicherlich variieren.“ Ziel ist dabei nicht eine bestimmte Milchmenge, z.B. 15 kg. Stattdessen ist die Milchmenge der Schlusspunkt, die herauskommt, wenn man 12 Tage lang täglich um fünf Prozent reduziert. „Für mich ist das perspektivisch nicht nur etwas für Hochleistungskühe, weil auch eine ‚normale‘ Kuh davon profitiert, mit 12 statt mit 18 kg Milch trockengestellt zu werden“, sagt er.
Bünger-Bolte GbR: „Ein Baustein auf dem Weg zur besseren Eutergesundheit“
Ansgar und Lennard Bolte führen gemeinsam mit Wilhelm Bünger die Bünger-Bolte GbR in Melle (Niedersachsen). Ihre 165 Holstein-Kühe geben gut 12.300 kg Milch mit 4,1% Fett und 3,65% Eiweiß im Schnitt. Das Steckenpferd der Betriebsleiter ist vor allem die Fütterung: vier Schnitte junge, gute Grassilagen, eine maisbetonte Ration, eine gute Mischung mit ihrem selbstfahrenden Futtermischwagen. Dazu setzen sie auf die Zucht und paaren ihre Kühe anhand der Typisierungsergebnisse an.
In den letzten Monaten haben wir uns darauf konzentriert, die Eutergesundheit zu verbessern.
Lennard Bolte
Weniger zufrieden waren die drei bislang mit der Eutergesundheit ihrer Herde. Die Zellzahlen schwankten lange zwischen 250.000 und 300.000 Zellen/ml Milch. „Das war uns zu hoch, deshalb haben wir uns einige Monate auf die Verbesserung der Zellzahlen fokussiert“, erklärt Lennard Bolte.
Ansgar und Lennard Bolte führen gemeinsam mit Wilhelm Bünger (nicht auf dem Bild) die Bünger-Bolte GbR in Melle (Niedersachsen).
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Eutergesundheit verbessern: Viele kleine Maßnahmen
Problematisch sind vor allem Umwelterreger wie S. Uberis. Gemeinsam mit ihrem Tierarzt haben die drei folgende Maßnahmen umgesetzt:
eine Zellzahl-Gruppe eingerichtet,
die Liegeboxen mehr und häufiger (jetzt jeden zweiten Tag) eingestreut,
die Liegeflächen besser eingeebnet,
ein Kalk-Stroh-Gemisch als Einstreu eingeführt,
die Melkreihenfolge verändert (euterkranke Tiere zum Schluss),
die Melkplätze nach jedem Wechsel gründlich gereinigt,
die Eutergesundheit zum Trockenstellen mit bakteriologischer Untersuchung (BU) und Schalmtest überprüft.
So konnten sie die Zellzahl auf mittlerweile unter 200.000 Zellen absenken.
Mit hohen Leistungen zum Trockenstellen
Daher passte es in ihren Maßnahmenkatalog, dass sie als GEA-Testbetrieb die AutoDry-Funktion seit Oktober 2022 testen durften. Rund 60 Kühe haben sie bislang mit der Software trockengestellt.
Stehen Kühe zum Trockenstellen an, wählt Lennard Bolte sie meist gruppenweise in der Herdenmanagement-Software aus und setzt das Häkchen bei „Begrenzung beginnen“. Der Algorithmus nimmt die Melkzeuge dann 12 Tage lang schon bei Erreichen von 95 % der erwarteten Milchmenge ab. Anschließend werden die Kühe noch einmal einen Tag ohne Begrenzung gemolken, um das Euter vollständig zu entleeren (Tag 13) und am 14. Tag trockengestellt. „Man sieht schon, dass noch Milch im Euter ist“, berichtet Lennard Bolte, „Wir markieren die ‚AutoDry-Kühe‘ während der Milchmengenreduzierung mit einem gelben Band, damit wir sie nicht aus Versehen nochmals ansetzen.“
Früher mussten wir die Kühe in der Trockenstehzeit engmaschiger kontrollieren.
Wilhelm Bünger
Durch die hohe Herdenleistung geben auch in der Bünger-Bolte GbR immer wieder trockenzustellende Kühe noch mehr als 30 Liter. Lennard Bolte: „Gerade im Sommer hat das bei uns auch zu Problemen mit Euterentzündungen geführt. Wir kontrollieren sie natürlich auf der Weide, aber manchmal ist man doch zu spät dran mit der Behandlung und das Viertel leidet.“
Welche Tiere wann beginnen müssen, entnimmt der Milcherzeuger einer Liste in der DairyPlan-Software. In der Bünger-Bolte GbR wird jeden Freitag trockengestellt, sodass die AutoDry-Funktion jeweils am Mittwoch der Vorwoche gestartet wird.
Kühe starten mit niedrigeren Zellzahlen in die neue Laktation
Bislang trauen sich die drei Betriebsleiter noch nicht an das selektive Trockenstellen heran, alle Kühe werden mit antibiotischem Trockensteller und Zitzenversiegler trockengestellt. Die Kühe starten nun aber mit unter 100.000 Zellen/ml Milch in die neue Laktation.
Die Bünger-Bolte GbR musste als Testbetrieb bislang keine Kosten tragen. Ansgar Bolte zieht wie Lennard Bolte bislang ein positives Fazit: „Wir stellen mittlerweile fast alle Kühe mit AutoDry trocken, unabhängig von ihrer Vorgeschichte.“
Eine konkrete Preisangabe gibt GEA uns gegenüber nicht heraus. Wer die Funktion nutzen möchte, tritt an seinen GEA-Fachhändler heran und erfragt dort den konkreten Preis für das Software-Modul, welcher nach Herdengröße gestaffelt wird. Bei Nutzung der Software DairyPlan C21 erhebt das Unternehmen einen einmaligen Betrag, die neue Herdenmanagement-Software DairyNet wird diese Funktion in einem Abo-Modell anbieten. Für die Zukunft ist geplant, dass auch Melkroboter-Betriebe die AutoDry-Funktion nutzen können.
Einschätzung der Redaktion
Endlich nochmal eine Entwicklung, die konventionelle Melkstände in den Fokus nimmt! GEA will die Funktion künftig auch in den automatischen Melksystemen ausrollen, doch bislang sind die Zugangsvoraussetzungen angenehm niedrig. Es braucht lediglich die Melkstandsoftware sowie eine bestimmte Art von Steuerungsmodul, das in vielen Betrieben bereits vorliegt. Positiv anzumerken ist auch die enge wissenschaftliche Begleitung durch mehrere Forschungsinstitute. Es scheint, dass die Milchmengenreduktion durch den der Natur angelehnten Prozess tatsächlich schonend für die Kuh vonstatten geht.
Insgesamt also eine Funktion, von der viele Kühe profitieren könnten. Wie weit sie in der Praxis Anwendung findet, hängt sicherlich nun auch noch vom Preis ab – hier hätten wir uns etwas mehr Transparenz gewünscht. So muss jeder Milcherzeuger diesen selbst beim Fachhändler in Erfahrung bringen.
Wer Tierkomfort und Emissionsminderung im Stall verbinden will, hat bei der Wahl des Laufgangs verschiedene Möglichkeiten. Elite hat eine neue Variante in der Praxis entdeckt.
In der Nessetalmilch GmbH in Thüringen liegen die 800 Kühe seit kurzem in fast keimfreier Einstreu. Eine neue Hygienisierungs-Biozelle macht es möglich.