Aktuelle Vorschläge seitens der Politik könnten die niederländische Kälbermast in Zukunft massiv einschränken. Das würde auch deutsche Milcherzeuger betreffen.
Drei mögliche Zukunftsszenarien, die im Rahmen einer Studie aufgestellt und nun vom niederländischen Nachrichtenportal NOS veröffentlicht wurden, könnten zu starken Einschränkungen für Kälbermäster führen. Die Szenarien fordern unter anderem, dass Bullenkälber mindestens drei Monate auf Milchkuhbetrieben verbleiben, bevor sie in die Mast gehen. Zudem sollen der Kälberimport in die Niederlande sowie Langstreckentransporte reduziert werden.
Laut NOS wurde die Studie im Auftrag der scheidenden Agrarministerien Carola Schouten von privaten Forschungsbüros und einer staatlichen Agentur für Umweltverträglichkeitsprüfung erstellt. Milcherzeuger, Kälbermäster sowie verschiedene politische Parteien reagieren schockiert auf die Äußerungen. Auch für deutsche Milcherzeuger dürften diese Szenarien Folgen haben.
Kälbermast in den Niederlanden:
In den Niederlanden werden jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Kälber geschlachtet. Rund die Hälfte stammt aus der heimischen Milchkuhhaltung, weitere Kälber werden importiert. Mit 77 % nimmt Deutschland den größten Importanteil ein – pro Woche kommen aktuell um die 12.000 Kälber aus Deutschland.
Die monatlich importierte Zahl an Kälber pro Land wird vom „Rijksdienst voor Ondernemend Nederland“ wöchentlich ausgewertet – siehe hier: Statistieken marktinformatie – Kalveren.
Es gibt ca. 1.600 Kälbermäster, von denen 60 % bei der Fleischindustrie unter Vertrag stehen, 40 % sind unabhängig. Etwa zwei Drittel der Mäster produziert helles Kalbfleisch, ein Drittel Roséfleisch.
Der Weltmarktführer in der Kalbfleischproduktion ist das niederländische Privatunternehmen der VanDrie Group, mit einem Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Euro.
Mit einem Marktanteil von 31 % sind die Niederlande der größte Kalbfleischproduzent in Europa. Etwa 10 % des Kalbfleisches werden selbst konsumiert, die anderen 90 % gehen ins Ausland. Hauptabnehmer sind Italien, Frankreich und Deutschland sowie zunehmend China und die USA.
Kälbermast lebt von Im- und Export
Anfallende Wirtschaftsdünger und Emissionen sowie Langstreckentransporte von Kälbern sind Hauptkritikpunkte, die die niederländische Kälbermast zunehmend betreffen. Auch gehäuftes Auftreten von Lungenentzündungen, hohe Kälbersterblichkeit und übermäßiger Antibiotikaeinsatz werden kritisiert.
Laut Forschern habe sich die Situation in den letzten Jahren zwar in vielerlei Hinsicht verbessert, aber noch nicht ausreichend. Auch die Kombination aus zahlreichem Kälberimport und Kalbfleischexport führe dazu, die Zukunft der Kälbermast in Frage zu stellen. Sozialwirtschaftlich habe die Kälbermast keinen Mehrwert.
Für die Zukunft wurden deshalb folgende Szenarien aufgestellt:
Szenario 1: Die Kälber verbleiben ihr Leben lang auf dem Milchkuhbetrieb, Weide sowie eine ad-libitum-Tränke und weiche Liegeflächen werden gefördert und der Transport zum Schlachthof dauert nicht länger als vier Stunden. Werden Kälber importiert, müssen die Herkunftsbetriebe dieselben Bedingungen gewährleistet haben. Die vorhandenen Kälbermäster verschwinden, ebenso wie Sammelstellen und Ferntransporte.
Szenario 2: Die Kälber bleiben mindestens drei Monate auf dem Milchkuhbetrieb. Danach darf das Kalb auf einen Kälbermastbetrieb verbracht werden. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen Milchkuhhalter und Kälbermäster soll die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere verbessern. Auch hier ist der Import von Kälbern nur möglich, wenn das Herkunftsland die gleichen Bedingungen erfüllt.
Szenario 3: Dieses Szenario basiert auf einer “regional ausgerichteten kurzen Kalbfleischproduktion". Die maximale Transportentfernung vom Milchkuhbetrieb zum Kälbermäster darf maximal 100 Kilometer betragen. Die Einstallung von Kälbern erfolgt nicht pro Gruppe, sondern je nach Kälberangebot.
Wirtschaftliche Auswirkungen der jeweiligen Szenarien wurden nicht berechnet. Das liege laut NOS daran, dass die Interessengruppen der Kälbermäster bisher keine Unternehmensdaten veröffentlichen wollten. Der Hintergrund: Bereits im Oktober 2020 hatte Schouten angekündigt, die Kälbermast nachhaltiger zu gestalten. Die Kälbermäster seien aus dem Prozess ausgestiegen, weil sie der Studie skeptisch gegenüberstanden.
Jedes Jahr ein Kalb? Diese Strategie wird aus verschiedenen Gründen zunehmend in Frage gestellt.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck )
Und die Wirtschaftlichkeit?
Der Milch- und Kälbersektor in den Niederlanden ist beunruhigt. Nach gemeinsamer Aussage von LTO, NAJK, NZO, Vee & Logistiek und der Branchenorganisation für den Kälbersektor (SBK) seien die dargelegten Szenarien sehr weit von der Praxis entfernt. Zudem würden nicht nur die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Kälbermast nicht berücksichtigt, sondern vor allem auf die Milchkuhhaltung.
Der Bericht ignoriere außerdem die Frage, was die Gesellschaft für die genannten Lösungen bezahlen würde und was mit den Kälbern aus dem Ausland passiert, wenn diese nicht mehr in die Niederlande verbracht werden. „Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial, nichtsdestotrotz ist die niederländische Kälbermast essenziell für europäische Milchkuhbetriebe, sorgt für eine Verwertung der Kälber und erzeugt ein europäisches Regionalprodukt, dass zu 90 % innerhalb Europas konsumiert wird.“, heißt es.
Aus diesen Gründen sehe man eine Zukunft für die Kalbfleischproduktion. Aufgrund der Transportbeschränkungen, dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, den Stickstoff- und Phosphorgrenzen sowie den Auswirkungen der Coronakrise gehe man aber davon aus, dass die Zahl der Mäster in absehbarer Zeit um rund 20 %, die Zahl der Kälber um rund 10 % sinken wird. Nur, wenn man allen Beteiligten zuhöre, könne man gemeinsam an einer verbesserten Nachhaltigkeit arbeiten.
Kälbermast in Deutschland
Deutsche Milchkuhbetriebe exportieren jährlich mehr als 620.000 Kälber in die Niederlande. Viehhandel-Unternehmen sammeln die zwei bis drei Wochen alten Bullenkälber und vermarkten sie in das Nachbarland. In Deutschland betreiben nur wenige Landwirte Kälbermast – die meisten in NRW und Niedersachsen. Nur noch etwa 70 von ihnen sind freie Kälbermäster, die Mehrzahl, etwa 130 Betriebe, sind Mitglieder der Kontrollgemeinschaft Deutsches Kalbfleisch (KDK). Diese Betriebe sind QS-zertifiziert, hochspezialisiert und ziehen rund 280.000 Kälber pro Jahr auf.
Insgesamt werden jährlich etwa 320.000 Kälber in Deutschland geschlachtet. Der Markt für Kalbfleisch wird jedoch stark vom Ausland behauptet. Vor allem die Niederlande haben eine große Marktmacht bei Kalbfleisch. Ihr Marktanteil liegt in Deutschland bei etwa 50 % und wirkt sich somit auch auf die Preise aus.
Kälbermast in Deutschland – etwa 130 Kälbermastbetriebe sind Mitglieder der Kontrollgemeinschaft Deutsches Kalbfleisch (KDK). Sie sind QS-zertifiziert und hochspezialisiert.
(Bildquelle: Schildmann )
Die Zukunft: Milchproduktion mit weniger Kälbern?
Die Strategie, dass jede Kuh nahezu jedes Jahr abkalbt in Kombination mit steigender Nutzungsdauer und tendenziell rückläufigem Fleischkonsum, führen zunehmend zu einem Überhang an Kälbern, sowohl männlich als auch weiblich, für den es kaum Nachfrage gibt.
Zwar haben sich Fleischrassebesamungen durchgesetzt, doch auch der Markt für Kreuzungskälber zur Jungbullenmast ist irgendwann gesättigt. Beef on Dairy – ganz sicher? – Tipps, damit die Strategie mit Gebrauchskreuzungen erfolgreich sein kann.
Gerät die Kälbermast nun zunehmend in die Kritik, wie aktuell in den Niederlanden, könnte sich die Situation dramatisch verschärfen. Auch die Kritik an weltweitem sowie auch innereuropäischen Viehhandel, den daraus resultierenden Langstreckentransporte und der Trennung von Kuh und Kalb betreffen die Kälberproblematik.
Ist eine verlängerte Zwischenkalbezeit der einzige langfristige Lösungsweg? Zahlreiche Auswertungen zeigen, dass sich das Prinzip vor allem bei hochleistenden Kühen rechnen kann. Neben weniger „heiklen“ Transitphasen kann es vor allem in einem entscheidenden Punkt helfen: die Zahl der (Holstein)Kälber drastisch zu reduzieren, um Wirtschaftlichkeit, Tierschutz und gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern.
Der Umgang mit Kälbern gerät zunehmend in die Kritik. Strategien wie zum Beispiel verlängerte Laktationen könnten die gesellschaftliche Akzeptanz verbessern.
Quellen: Elite NL, Melkvee, Veeteelt, Vfocus, NOS, Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben