In Ostdeutschland stehen – historisch bedingt – die großen Milchkuhbetriebe. Hier gibt es viel Platz, keinen Gülleüberschuss und günstigere Fläche. Das ermöglicht Wachstum und Investitionen in anderen Dimensionen. Man könnte meinen, dass hier die Milch eine Zukunft hat. Insbesondere Gemischtbetriebe mit Ackerbau können sich breit aufstellen. Geld fließt teilweise von großen Investoren auf die Betriebe, die Kosten verteilen sich auf mehrere Teilhaber. Trotzdem vollzieht sich im Osten ein rasanter Wandel.
4,2 % weniger Kühe
Allein im letzten Jahr (2022) haben hier 2,3 % der Betriebe aufgegeben. Es wurden 4,2 % weniger Milchkühe gehalten als im Vorjahr. Der Anteil der Milch aus Ostdeutschland an der Gesamtmilchmenge in Deutschland betrug rund 19 %. Vor fünf Jahren war der Anteil noch 1,3 % höher. Die Leistungssteigerung der bestehenden Betriebe konnte die weggefallene Milch im Zuge von Betriebsaufgaben nicht kompensieren. Innerhalb eines Jahres wurde im Osten trotz Rekordmilchpreisen 2,1 % weniger Milch erzeugt. In Gesamtdeutschland lag der Milchrückgang bei lediglich 0,5 %, im westlichen Bundesgebiet nur bei 0,1 %.
Der Strukturwandel scheint sich hier schneller zu vollziehen. Und der Trend zeigt sich nicht erst seit diesem Jahr. Auch bei Betrachtung von längeren Zeiträumen wird klar: Im Osten geht die Milch schneller zurück (siehe Grafik). Warum verliert der Osten so viel Milch?
Warum trifft es den Osten?
Auf der Fachtagung des
Interessenverbands Milcherzeuger e. V. (IVM) Ende Mai in Brandenburg diskutierte die Branche über Strategien für eine tierwohlgerechte, innovative und rentable Milchproduktion in Ostdeutschland. Neben den zukunftsgerichteten Themen lag auch Frust über die Politik, den Fachkräftemangel, den steigenden bürokratischen Aufwand, fehlenden Genehmigungen und schärferen Gesetze in der Luft. Gründe für Betriebsaufgaben gäbe es genug.
Auf Fremd-AK angewiesen
„Arbeitskräfte zu finden ist schwierig“, sagt Dr. Klaus Siegmund, Geschäftsführer des IVM. „Nur wer gut bezahlt und vernünftige Arbeitsbedingungen bietet, findet überhaupt noch neue Mitarbeiter.“ Natürlich fehlen nicht nur Arbeitskräfte in Ostdeutschland – im gesamten Bundesgebiet ist es schwierig Fachkräfte für die Stallarbeit zu finden. Aber im Osten trifft es die Betriebe härter. Denn hier dominiert in der Landwirtschaft durch die Vielzahl an Personengesellschaften die Zahl der familienfremden Mitarbeiter. Sie machen laut der Landwirtschaftszählung von 2020 rund 81 % der Arbeitskräfte auf den ostdeutschen Betrieben aus. Nur 19 % sind Familienarbeitskräfte. In Westdeutschland sind hingegen lediglich 49 % familienfremd.
Einfache Arbeiten wie das Melken können auch mittels Zeitarbeitsfirmen erledigt werden. Auch wenn das nicht immer reibungslos klappt und die Anstellung ausländischer Arbeitskräfte mit viel Papierkram verbunden ist. Automatisierung zur Einsparung von Arbeitskräften ist mit hohen Investitionskosten verbunden und nicht immer die Lösung. Denn das eigentliche Problem liegt ganz woanders. Viel schwieriger ist es nämlich fachkundige Herdenmanager oder Techniker zu finden, jemanden der Mitarbeiter anleiten kann, Prozesse versteht und das nötige Know-how mitbringt. „Die fehlenden Mitarbeiter sind dann oft der Kipppunkt“, sagt Klaus Siegmund. Die Betriebsaufgaben hängen aber oft von einem großen Komplex vieler Faktoren ab.
Fehlende Mitarbeiter sind oft der Kipppunkt.
Dr. Klaus Siegmund, Geschäftsführer IVM
Weniger Milchgeld
Auch die ostdeutschen Molkereien sind vom Strukturwandel betroffen. Zuletzt traf es die Herzgut-Molkerei in Thüringen, der nicht zuletzt wegen niedrigeren Milchpreisen die Zulieferer absprangen. „Eine kritische Größe im Markt ist sinnvoll, um Verhandlungsmacht zu haben“, erklärt Mathias Hauer, Vorsitzender der Geschäftsführung Sachsenmilch Leppersdorf GmbH, auf der Tagung. Dafür müssten sich Molkereien zukünftig weiter zusammenschließen.
Mit Sorge beobachte man den Wegbruch der Milchmenge. Um Milcherzeuger zu halten, zahle man einen für die Region überdurchschnittlichen Milchpreis aus, erklärt Mathias Hauer auf Rückfrage. Doch reicht das? Zumal die Erzeugerpreise in den neuen Bundesländern in den letzten Jahren im Durchschnitt immer etwas unter den westlichen Preisen lagen.
Mehr Dürren prognostiziert
Neben niedrigen Milchpreisen beeinflussen die Produktionskosten, darunter vor allem die Futterkosten, die Wirtschaftlichkeit der Betriebe. Der Weltklimarat erwartet eine Zunahme der Intensität und Häufigkeit von Dürren – insbesondere im Nordosten Deutschlands, der bereits heute durch niedrige Niederschlagsmengen gekennzeichnet ist. Die Trockenheit sorgt für schlechtere Futterqualitäten und Unsicherheiten. Eine Beregnung ist teuer, treibt die Futterkosten in die Höhe und mindert die Wettbewerbsfähigkeit.
Milch wandert in die Gunststandorte Deutschlands im Norden und Nordwesten ab. Der Trend lässt sich schon heute deutlich an der Statistik ablesen. Ostdeutschland gehört mit nur einem geringen Grünlandanteil nicht dazu. Dann bricht die Struktur. Die verbleibenden Betriebe liegen weiter auseinander. Dadurch werden auch die Anfahrten von Tierärzten, Technikern und Beratern länger. „Da kann es schonmal sein, dass der Tierarzt erst 12 Stunden nach einem Anruf bei der Kuh sein kann“, berichtet Prof. Dr. Alexander Starke, Direktor der Klinik für Klauentiere der Uni Leipzig, auf der Tagung.
Betriebe mit Investitionsstau
Angesichts der fehlenden Planungssicherheit, der Mitarbeitersituation, Klimawandel und strengeren Auflagen entscheiden sich viele Betriebe in Ostdeutschland für den Ausstieg. Man schätzt, dass rund 20 % der Milchkühe noch in den alten, industriellen Großanlagen aus DDR-Zeiten stehen. Zum Teil wurden diese Ställe bereits modernisiert, aber auch dann stößt die alte Bauweise an ihre Grenzen. Es müssten Kühe abgestockt oder Ställe neu gebaut werden. Nur wer tätigt Investitionen in Millionenhöhe, wenn Arbeitskräfte fehlen, in den letzten Jahren mit den Milchpreisen kaum Gewinn gemacht werden konnte? Die Auflagen immer strenger werden und keine Planungssicherheiten gegeben sind? Welche Betriebe haben noch Zukunft?
Großbetriebe setzen sich durch
Schaut man sich die Zahlen genauer an, zeigt sich, dass insbesondere mittlere Betriebsgrößen mit 100 bis 500 Kühen die Milchproduktion im Osten aufgeben. Die Anzahl der Betriebe in dieser Größenordnung ist in den letzten fünf Jahren um rund ein Drittel (siehe Übersicht 2) zurückgegangen. Bei Betrieben mit 500 Kühen und mehr ist die Zahl in diesem Zeitraum hingegen nur leicht gesunken (- 1 %), die Gesamtzahl an Kühen in Ställen mit 500 Tieren und mehr sogar um 2 % gestiegen.
Aufhören, das werden zukünftig noch Betriebe ohne Hofnachfolger. Betriebsleiter von abgeschriebenen Ställen, wo lange Zeit nichts investiert wurde, zum Teil auf eine staatliche Finanzierung der Modernisierung von Altanlagen gewartet wurde. Dort, wo jetzt große Summen für einen Um- oder Neubau aufgebracht werden müssten, um den immer strengeren Auflagen gerecht zu werden.
Es gibt eine Zukunft
Entgegen der Betriebsaufgaben gibt es aber eine Gegenbewegung: Betriebe, die in der Milch im Osten noch eine Zukunft sehen, die den Unsicherheiten trotzen und das Risiko großer Investition eingehen – darunter auch viele holländische Landwirte. Zum Teil kaufen Betriebsleiter gleich zwei, drei, vier Höfe auf. Zukunftsfähige, große Betriebe entstehen.
Große, professionelle Betriebe bleiben!
Dr. Klaus Siegmund, Geschäftsführer IVM
Eine erfolgreiche Betriebsstrategie hat die Agrargenossenschaft Niederpöllnitz für sich gefunden: Sie setzen auf eine breite Diversifizierung mit Biogas, Ackerbau und Mast. Eine interessante Beobachtung des Betriebsleiters: „Die neuen Auszubildenden interessieren sich wieder mehr für die Tierproduktion!“ Lange Zeit sei der Ackerbau und die großen Maschinen zu bedienen interessanter gewesen. Die Ziltendorfer Niederung GbR hat im großen Stil neugebaut. „Dafür mussten wir uns hoch verschulden, aber das Risiko sind wir eingegangen“, erzählt Stefan Rothe, Geschäftsführer der GbR. „Besser man konzentriert sich auf die Produktionskennzahlen und die Weiterentwicklung der eigenen Herde, anstatt immer nur auf den Milchpreis zu schauen.“
Die Milchleistung liegt auf dem Betrieb bei durchschnittlich 12.800 kg Jahresleistung. Damit ist er einer der Spitzenbetriebe in Ostdeutschland. Aber auch das Milchkontrolljahr 2022 zeigte: Die ostdeutschen Betriebe haben bei der Milchleistung deutlich die Nase vorn. Der Bundesdurchschnitt liegt laut LKV-Bericht bei 9.127 kg, die Leistung in Ostdeutschland bei durchschnittlich 9.852 bis 10.318 kg. In Ostdeutschland stehen also Herden mit hohem Leistungspotenzial und es gibt gute Herdenmanager, die dieses auszuschöpfen wissen.
Noch mehr Zukunfts-Betriebe:
Wir haben drei Milcherzeuger gefragt, wie sie ihre Stallanlagen, die noch aus DDR-Zeiten stammen, zukunftsfähig gemacht haben.
Fazit:
Die Zukunft der Milchproduktion in Ostdeutschland liegt in wenigen Händen. Im Zuge des Strukturwandels werden wohl noch ein paar Betriebe aus der Produktion aussteigen. Ganz wird die Milch aus dem Osten aber nicht verschwinden. Das zeigen zukunftsträchtige, professionelle Großbetriebe, die teilweise noch weiter wachsen möchten. Wie auch im Westen werden die Betriebe bleiben, die investieren und in der Milch ihre Zukunft sehen.
Zu Besuch bei der Ziltendorfer Niederung GbR:
Stalleinblicke in fünf Spitzenbetriebe konnten wir auf einer Reise quer durch Deutschland gewinnen. Dieses Mal im Fokus: zwei Großbetriebe in Brandenburg.
Ein Blick nach ganz Deutschland:
3,78 Mio. Milchkühe gezählt – ein neuer Tiefstand. Der Strukturwandel hat sich zwar verlangsamt, aber es gibt große regionale Unterschiede. Ein Überblick.