Kameras und Künstliche Intelligenz können helfen, die Produktionsprozesse im Kuhstall zu verbessern. Neues von der Precision Dairy Farming Conference 2023.
Unser Alltag verlangt uns täglich zahlreiche Entscheidungen ab, die u.a. Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Kuhherden nehmen. Vom Wachwerden bis zum Zubettgehen treffen wir alle drei Sekunden eine Entscheidung, über 20.000 pro Tag! Rund 95 Prozent dieser Entscheidungen werden nach neurologischen Erkenntnissen unbewusst, also automatisch, getroffen. Solche Bauchentscheidungen sind in vielen Fällen richtig, doch Vorsicht: Manchmal ist die Intuition auch falsch. Denn Menschen...
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Unser Alltag verlangt uns täglich zahlreiche Entscheidungen ab, die u.a. Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Kuhherden nehmen. Vom Wachwerden bis zum Zubettgehen treffen wir alle drei Sekunden eine Entscheidung, über 20.000 pro Tag! Rund 95 Prozent dieser Entscheidungen werden nach neurologischen Erkenntnissen unbewusst, also automatisch, getroffen. Solche Bauchentscheidungen sind in vielen Fällen richtig, doch Vorsicht: Manchmal ist die Intuition auch falsch. Denn Menschen neigen dazu, am Bestehenden festzuhalten, sich an der Meinung anderer zu orientieren oder vorrangig Informationen wahrzunehmen, die zu der eigenen, vorgefassten Meinung passen.
Deshalb ist es sinnvoll, u.a. im Herdenmanagement, Daten zur Entscheidungsfindung heranzuziehen. Nicht nur dass Daten objektiv sind („lügen nicht“), anhand von Zahlen lassen sich später auch die Ergebnisse messen. Das Sammeln und Auswerten von Daten ist aber auch noch aus einem weiteren Grund wichtig: Probleme lassen sich frühzeitig aufspüren, es lässt sich schneller gegensteuern.
Kamerasysteme sind groß im Kommen
Hier kommen Kamerasysteme ins Spiel. Warum?
Kameras sind erschwinglich und einfach zu installieren
es besteht die Möglichkeit, viele Rinder und Kühe gleichzeitig zu überwachen
Bilder bieten eine große Menge an Informationen (Standort/Aktion des Tieres, soziale Interaktion)
Computer (Datenauswertung) werden immer leistungsfähiger
Moderne Kameras liefern mittlerweile selbst bei trüben Lichtverhältnissen im Kuhstall zuverlässig hochauflösende Bilder. So lassen sich auch komplexe Anforderungen bearbeiten. Das führt dazu, dass schon sich schon bald die Futteraufnahme per Video bestimmen lässt. Wissenschaftler der Universität Wisconsin haben ein System präsentiert (Cow Mouth Tracking), das mithilfe von Kamera permanent die Position des Kuhmauls bestimmt. Aus der aktuellen Position bzw. der Kopfbewegung lässt sich die Höhe der Futteraufnahme bereits sehr genau abschätzen. Hinzu kommt, dass auch das selektive Fressen (aussortieren von Futterpartikeln) erfasst und bewertet wird. Und natürlich erfasst die KI auch die Anzahl der täglichen Mahlzeiten, die aufgenommene Futtermenge pro Mahlzeit und die dafür benötigte Zeit. Theoretisch lässt sich mit diesen Daten auch die Futtereffizienz einzelner Kühe berechnen. Werden die Bilddaten mit weiteren Parametern wie z.B. dem Wiederkauverhalten, dem Pansen-PH oder Milchinhaltsstoffen kombiniert, dürften auch Rückschlüsse auf die Pansen- und die Stoffwechselleistung möglich sein.
Kameras erfassen die Belegungsdichte am Fressgitter und die Futtermenge. So lässt sich die Futtervorlage steuern.
(Bildquelle: Thomas Ix)
Hitzestress und lahme Kühe …
Weitere Forschungsprojekte, an denen gerade mit Hochdruck gearbeitet wird, ist das Auftreten von Hitzestress in Kälberiglus. Anhand der Bewegungsaktivitäten der jungen Rinder (z.B. Abliegen im Iglu oder außerhalb) lassen sich Rückschlüsse auf eine Belastung durch Wärme ziehen. Aber auch Lahmheiten sollen sich schon bald automatisiert aufspüren lassen, schon deutlich, bevor eine Kuh sichtlich „humpelt“. Ermöglicht wird dies durch im Rücktrieb vom Melkstand, Melkkarussel oder AMS aufgehängte Kameras. Eine KI analysiert in Echtzeit Körperhaltung und Gangbild der Kühe, so dass auffällige Tiere theoretisch sogleich ausselektiert werden können. Erste Prototypen solcher Systeme (Cattle Eye) haben in Praxisversuchen mit mehreren tausend Kühen bereits sehr gute Ergebnisse erzielt – zumindest kann die KI heute schon mit professionellen Klauenpflegern mithalten. Noch besser absichern lassen sich die Ergebnisse, sofern die individuellen Krankenakten der Kühe berücksichtigt werden. Ganz nebenbei fällt bei diesen Auswertungen auch eine Bestimmung der Körperkondition (BCS) ab.
Eine Kamera scannt die Kühe beim Austrieb aus dem Melkkarussel und bestimmt den BCS.
(Bildquelle: CattleEye)
Einer Überwachung des Wohlbefindens von Milchkühen (Kuhkomfort) in Echtzeit hat sich auch das Unternehmen Cainthus verschrieben. Die Tüftler aus Minnesota setzen darauf, dass Kühe - obwohl sie nicht sprechen können – ihren Herdenbetreuern klare Signale senden, ob und wenn ja wann, diese im Stall eingreifen sollten. Bei diesem System beobachten in jedem Stall acht bis zehn intelligente Kameras Verhaltensaktivitäten der Tiere, die sich auf die Produktion auswirken können. KI-Algorithmen wandeln diese visuellen Daten in Echtzeit in KPI‘s (Key Performance Indicators) um. Derzeit stehen zwei Merkmale im Fokus des innovativen Kamerasystems: Liegedauer bzw. Auslastung der Liegeboxen (Cow comfort Index) sowie des Futtertisches (Futterangebot). Angedacht ist u.a., den Futteranschieber an das System zu koppeln. So könnte dieser automatisch an den Stellen auf dem Futtertisch nachschieben, wo sich Lücken auftun.
Wie ordentlich wird gemolken?
Absehbar ist, dass nicht nur schon bald kameragestützte Systeme den Menschen als „Beobachter“ im Stall vollständig ersetzen können, auch die Ausführung der von Arbeitsprozessen lässt sich bereits überwachen. Interessante Einblicke in das Melkzentrum verspricht das System Cattle Care. Kameras erfassen den kompletten Melkprozess, eine KI deckt dabei Schwachstellen bei der Melkarbeit auf, wie z.B. ein Unterlassen des Vormelkens, ein ungenügendes Anrüsten der Euter, der Verzicht auf den Wechsel von Eutertüchern, nicht angepasstes Unterhängen der Melkzeuge, Wegfall des Dippens der leeren Euter oder sogar einen nicht angemessenen Umgang der Melker mit den Kühen beim Ein- und Austrieb (Hinweis: Eine Videoüberwachung am Arbeitsplatz muss immer begründet sein. Es gelten hohe rechtliche Anforderungen).
Beim System CattleCare erfassen Kameras den kompletten Melkprozess, eine KI deckt dabei Schwachstellen bei der Melkarbeit auf.
(Bildquelle: Cainthus)
Erste in der Praxis auf großen Farmen, die beim Melken auf Lohnarbeit setzen, mit diesem Kontrollsystem gewonnenen Ergebnisse lassen aufhorchen: So legte innerhalb der ersten vier Wochen die tägliche Milchleistung um 1,5 bis 4,0 kg pro Kuh zu, der Zellgehalt verringerte sich um 50.000 Zellen/ml, gleichzeitig wurden 25% weniger Mastitis-Fälle registriert. Positiv aufgenommen bzw. als Unterstützung aufgefasst haben scheinbar auch die Melker die Hilfestellung. So verringerte sich deren „Turnover“ um 20% (weniger Kündigungen).
Mastitiserkennung per Kamera
Ein weiteres sehr interessantes Hilfsmittel zur Verbesserung der Eutergesundheit hat das Unternehmen EIO Diagnostics entwickelt. Hier sind eine Bildgebung und maschinelles Lernen kombiniert. Eine Spezialkamera fotografiert dabei das Euter und gleicht die Bilder ab. Veränderungen am Euter können auf eine Mastitis hindeuten. Das zunächst nur für Melkkarusselle entwickelte System kommt mittlerweile auch in Melkständen und AMS zum Einsatz. Zur Mastitiserkennung wird also weder die Kuh berührt noch die Milch untersucht. EIO verspricht mit dieser Lösung den mit der Mastitiserkennung verbundenen Arbeitsaufwand und somit letztlich die Kosten zu reduzieren und gleichzeitig die Milchqualität zu verbessern.
Eine Spezialkamera (vorne links im Bild) fotografiert während des Melken das Euter und gleicht die Bilder ab.
(Bildquelle: EIO Diagnostics)
Wer wissen möchte, welche Mastitis-Erreger im Stall vorherrschen bzw. verantwortlich sind für Euterentzündungen, dem sei das in Neuseeland entwickelte Minilabor Mastaplex empfohlen. Dabei werden einzelne Milchproben in ein Analysegerät (das in der Form an einen Laserdrucker erinnert) gesteckt. Der Analyzer sendet anschließend die Daten per Internet zur weiteren Verarbeitung in eine Cloud. Die Ergebnisse erhält der Herdenmanager nach 24 Stunden per E-Mail. Derzeit kann Mastaplex zwischen den folgenden Befunden unterscheiden: Keine Bakterien, E.coli (unspezifische gram-negative), Klebsiellen, Strep. spp, Staph. Aureus, nicht-aureus Staph., andere gram-positive.
Mastitislabor für den Einsatz im Kuhstall: 24 Stunden nach der Analyse der Milchprobe lassen sich bereits die Ergebnisse am Computerbildschirm ablesen.
(Bildquelle: Mastaplex)
Investieren oder nicht?
Don Niles, einer der innovativsten Milcherzeuger in Nordamerika, empfiehlt, sich vor einer Investition in neue Technik einige Fragen zu stellen:
· Profitieren unsere Kühe von der Investition?
· Ist absehbar, dass sich im Laufe der Zeit die Gesamtarbeitskosten verringern werden?
· Sind wir bereit unser Management anzupassen, wenn die Technologie die Arbeitsabläufe verändert?
· Wo steht das System in seinem Entwicklungsprozess?
· Sind wir bereit, Feedback zu geben und mit dem Support zusammenzuarbeiten?
Alle reden von digitaler Technik im Stall. Doch bis wir die ganzen Möglichkeiten ausschöpfen können, dauert es wohl noch einige Zeit. Das zeigt unsere Praxisumfrage.