Fühlt sich die Kuh im Stall wohl? Geht es dem Tier gut? Auf diese Fragen, die Verbraucher immer häufiger stellen, sollten Milcherzeuger mit Fakten antworten können. Doch das ist gar nicht so einfach, denn einer Kuh sieht man ja nicht auf den ersten Blick an, ob bzw. wie sehr sie sich im Stall wohlfühlt. Einen Erkenntnisgewinn, um ein vollständiges Bild des Wohlergehens der Kühe zu erhalten, wäre die Zusammenführung von umwelt- und tierbezogenen Daten notwendig.
Im September fand in Wien die 10. European Conference on Precision Livestock Farming, gemeinsam mit der 3. International Conference on Precision Dairy Farming, statt. Hier stellten Forschende der Universität Mailand einen Prototypen eines integrierten Systems zur Überwachung des Wohlbefindens von Milchkühen vor.
Das Umfeld der Kuh im Blick
Einen Prototypen solch eines integrierten Systems zur Überwachung des Wohlbefindens von Milchkühen haben Forschende der Universität Mailand vorgestellt (L.M.C. Leliveld, E. Riva, G. Provolo). In das Wohlbefinden-Überwachungssystems, das auf drei Milchviehbetrieben (100 bis 300 Kühe) in Norditalien installiert wurde, sind sowohl umwelt- als auch tierbezogene Parameter eingeflossen.
Erfasst wurden in den Ställen u.a. die Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftgeschwindigkeit, die Gaskonzentrationen (NH3, H2S, CO2), der Schallpegel, die Trinkwassertemperatur und -aufnahme, die Lichtintensität, das Vorhandensein von Fliegen (ein kamerabasiertes System entwickelt, um die Prävalenz von Fliegen im Stall zu überwachen).
Zusätzlich zu den Stallsensoren wurden Beschleunigungssensor-basierte Sensoren entwickelt, um das Verhalten von Kühen zu überwachen. Um einen Algorithmus zur Erkennung mehrerer Verhaltensweisen zu entwickeln, wurden 32 Kühe beobachtet, während sie diese Halsbänder insgesamt 108 Stunden lang trugen. Folgende Verhaltensweisen wurden bewertet: Stehen, liegen, wiederkäuen, fressen, trinken, laufen und anderes Verhalten, das nicht in die anderen Kategorien passte. Die visuellen Beobachtungen wurden mit den Daten des Beschleunigungsmessers kombiniert, um den Algorithmus zu trainieren. Der Algorithmus war letztlich in der Lage, sechs Verhaltenskategorien (liegend, stehend, liegend und wiederkäuend, stehend und wiederkäuend, fressen und andere) mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 85 % zu erkennen. In jedem Stall wurden dann 60 Kühe mit diesen Halsbändern ausgestattet. Vergleiche mit bestehenden kommerziellen Systemen werden durchgeführt, um die Leistung zu validieren.
Alle Daten, die von den verschiedenen Sensoren gemessen worden sind, wurden alle zehn Minuten an ein Gateway gesendet, das dann die Daten in die Cloud übertragen hat. Von dort ließen sich die Daten abrufen (Dashboard). Dieses Dashboard erlaubt auf einen Blick ein vollständiges Bild der Situation des Wohlfahrtsstatus der Kuhherde, erklärten die Forschenden.
Fazit für die Praxis: Die kontinuierliche, automatische Erfassung von umwelt- und kuhbezogenen Indikatoren erlaubt es, das Tierwohl i, Kuhstall in Echtzeit zu erfassen und online zu überwachen. Die Daten können zudem den Herdenmanager bei seiner täglichen Arbeit unterstützen.
Früherkennung von Atemwegserkrankungen bei Kälbern
Die frühzeitige Identifizierung von Kälbern, die drohen an Atemwegserkrankung (BRD) zu erkranken, ist eine Herausforderung. Eine automatisierte Überwachung und in der Folge eine schnelle, einfache Identifizierung kranker Kälber wäre deshalb durchaus wünschenswert.
In einer Studie untersuchten Wissenschaftler der Veterinärmedizinischen Universität Wien (N. Ramezani Gardaloud, C. Guse, L. Lidauer, A. Steininger, F. Kickinger, M. Öhlschuster, W. Aue, M. Iwersen, M. Drillich, D. Klein-Jöbstl), ob es möglich ist an Hand von Verhaltensänderungen auf drohende Erkrankungen zu schließen. Dazu wurden bei entwöhnten Kälbern retrospektiv von sieben Tagen vor bis ein Tag nach der klinischen Diagnose von BRD Akzelerometerdaten analysiert. Die Daten stammten von einem auf Ohrmarken basierenden Beschleunigungsmessersystem (Smartbow). Die Ohrmarke sammelt jede Sekunde Daten. Die Daten wurden alle 4 Sekunden drahtlos an einen Server übertragen, wenn ein Kalb aktiv war, und alle 16 Sekunden, wenn ein Kalb inaktiv war.
Ausgewertet wurde die Aktivitäten inaktiv, aktiv, hoch aktiv sowie die Liege- und Wiederkauzeiten (min/h). Als Referenz wurden alle 508 Kälber in der Studie durch tägliche Beobachtung unter Verwendung eines respiratorischen Scores (McGuirk und Peek; 2014) überprüft. Insgesamt wurden 48 Kälber als erkrankt eingestuft (Gesamtscore ≥ 4 und einer Rektaltemperatur ≥ 39,5 °C an mindestens zwei aufeinanderfolgenden Tagen). Ergebnisse:
Die Datenanalyse zeigte einen signifikanten Unterschied in den Zeiten hoher Aktivität zwischen den Gruppen, wobei die Erkrankten an jedem Tag weniger hohe Aktivitätszeiten zeigten (Übersicht X). Erkrankte Kälber zeigten signifikant mehr inaktive Zeiten sowie längere Liegezeiten.
Schlussfolgerungen für die Praxis: Die Ergebnisse zeigten das Potenzial des Systems, bei Kälbern in Gruppenhaltung Krankheiten frühzeitig (vor dem Auftreten klinischer Anzeichen) zu erkennen. Dennoch sind bis zur Praxisreife des Systems noch weitere Studien mit einer größeren Stichprobengröße erforderlich.
Monitoring von Kälbern mittels kostengünstiger Infrarot-Thermografie
So manche Krankheit äußert sich bei Rindern in Veränderungen der Körpertemperatur (Fieber). Abnormale Temperaturen können auftreten, bevor schwerwiegendere klinische Symptome sichtbar werden. Würden diese Änderungen frühzeitig von Wärmebildkameras erfasst wäre ein rechtzeitiges Eingreifen des Herdenbetreuers möglich.
Die Körpertemperatur lässt sich sehr genau mithilfe von Wärmebildkameras (Infrarot-Thermografie) messen. Die Technik wurde in wissenschaftlichen Studien bereits erfolgreich eingesetzt zur Früherkennung von Atemwegserkrankungen bei Rindern, der Identifizierung von Mastitis und Lahmheit bei Kühen. Allerdings hat die Infrarot-Thermografie wegen der hohen Technikkosten und dem Bedarf an geschultem Personal noch nicht den Weg in die Praxis gefunden. Das könnte sich bald schon ändern, denn Forschende der britischen Universität Bristol stellten einen kostengünstigen Prototypen vor (kostet weniger als 300 €), der eine kontinuierliche und automatische Überwachung des Viehbestands ermöglichen soll. Der Prototyp basiert auf kleinen Einplatinencomputern und kostengünstigen Wärmebildkameras.
Wir demonstrieren das System anhand von Kälbern, die in Einzeltierbuchten aufgezogen werden. Das System besteht aus sensorischen Plattformen und einem Server vor Ort, die drahtlos verbunden sind. Die sensorischen Plattformen sind mit einem passiven Infrarot-Bewegungssensor ausgestattet, der die Wärmebildkamera auslöst, wenn das Kalb zu fressen beginnt oder sich an Stellen bewegt, die für die Wärmeüberwachung relevant sind, d. h. wo Wärme abgebende Bereiche wie Augen, Ohren und Schnauze sichtbar sind. Wärmebilder werden dann vom Server gesammelt. Da günstige Wärmebildkameras jedoch oft sehr ungenau messen (Abweichungen von bis zu ±7 °C sind im Stall nicht selten) wurden die LowCost-Kameras anhand der Augentemperatur von Kälbern validiert. Wie sich in einem auf einem Milchviehbetrieb durchgeführten Praxisversuch herausstellte, ist nach einer Vor-Ort-Kalibrierung eine Genauigkeit von 0,5 °C erreichbar. Im Versuch wurden Wärmebilder von sieben Kälbern aufgenommen, die mit Eimern in Einzelkälberbuchten gefüttert wurden. Sobald sich ein Kalb dem Tränkeeimer näherte, löste der Bewegungsmelder die Wärmebildkamera aus, um acht Bilder mit ungefähr einem Bild pro Sekunde aufzunehmen. Dieser Vorgang wurde solange wiederholt, solange das Kalb im Sichtfeld des Bewegungssensors blieb. Parallel dazu wurde mithilfe eines berührungslosen Infrarot-Thermometers die Körpertemperatur der Tiere gemessen. Die Umgebungstemperatur und die relative Luftfeuchtigkeit des Kälberstalls wurden ebenfalls aufgezeichnet (5-Minuten-Intervalle).
Schlussfolgerungen für die Praxis: Einplatinencomputer, die mit kleinen Wärmebildkameras ausgestattet sind, versprechen eine wirtschaftliche Lösung für ein automatisches und nicht-invasives Früherkennungssystem für Erkrankungen, die im Zusammenhang mit Temperaturänderungen stehen. Ein Raspberry-Pi-basiertes System ermöglicht die zeitgleiche Überwachung von mehreren Tieren durch denselben Sensor und lässt sich sogar mit einer Tierkennung (RFID) koppeln.
Vorhersage chronischer Mastitis
So früh wie möglich zu wissen, ob eine (subklinische) Mastitis einen chronischen Verlauf nimmt, wäre durchaus hilfreich, den so könnte dies womöglich noch rechtzeitig durch eine Behandlung verhindert werden.
Zumindest beim Melken mit einem Melkroboter (AMS) besteht die Chance vorherzusagen, wie sich eine Mastitis entwickelt, erklärten Forschende der Universitäten Upssala (Schweden) und Wageningen (Niederlande). Sie haben ein entsprechendes Vorhersagemodells (Mastitischronizität) entwickelt.
Dazu wurden Sensordaten von 14 Milchviehbetrieben (55 bis 638 laktierenden Kühe) in Belgien, Kanada, Frankreich, Schweden und den Niederlanden verwendet, deren AMS mit einem Online-Zellzähler (DeLaval OCC) ausgerüstet war. Aus den Zellzahl-Daten der einzelnen Melkungen wurde ein täglicher Mittelwert berechnet. Eine Kuh wurde als chronisch eingestuft, wenn der gleitende 20-Tage-Zellzahl-Mittelwert zu keinem Zeitpunkt während der 50 Tage nach dem Vorhersagetag unter 200.000 SCC/ml sank. Somit konnte beurteilt werden (vorherzusagender Status), ob sich die Kuh erholen oder chronisch werden würde.
Schlussfolgerungen für die Praxis: Es ist mit hoher Genauigkeit anhand früherer Zellzahl-Daten möglich, vorherzusagen, ob eine Mastitis einen chronischen Verlauf nehmen wird. In diesem Fall könnten Antibiotikabehandlungen unterbleiben und Kühe frühzeitig (zur Merzung) selektiert werden.
Die Kalbung vorhersagen
Zu wissen, wann genau eine Kuh kalbt, diese Information kann dem Herdenbetreuer von großem Nutzen sein, so kann er sich das „Event“ einplanen und gegebenenfalls die Kalbung überwachen. Eine ziemlich genaue Vorhersage des Kalbetermins erlaubt ein Sensor, der fünf Tage vor dem errechneten Kalbetermin in die Vagina der Kuh eingeführt wird. Das berichtete Ozgenur Kafkas von der Universität Ankara (Türkei). Der Sensor misst den Druck, der bei unterschiedlichem Aktivitätsverhalten der Kühe (stehen bzw. liegen), der auf ihn einwirkt. Wie sich herausstellte, standen die Kühe 36 % länger in den letzten Stunden vor der Kalbung. Die Liegedauer verringerte sich um 45 %, die Anzahl der Liegevorgänge um 21 %.
Schlussfolgerung für die Praxis: Ein Drucksensor, ein paar Tage vor dem errechneten Kalbetermin in die Vagina der Kuh gelegt, kann sehr genau das Aktivitätsverhalten der Kühe abbilden, wodurch sich wiederum der Kalbezeitpunkt bestimmen lässt.
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Mehr Datenaustausch und Schnittstellen!
Immer wieder versuchen Forschungseinrichtungen, die Welt neu zu erfinden. Das ist gut so! Wenn aber Studien durchgeführt werden, deren Fragestellungen schon mehrfach beantwortet wurden, ist das reine Zeit- und Geldverschwendung. Oft liegt das an dem kaum vorhandenen Austausch von Daten, die Unternehmen wie einen Goldschatz hüten. Das ist legitim, doch auf Dauer ist die Milchwelt zu klein, als dass jeder sein eigenes Süppchen kochen könnte. Datenpools und Schnittstellen sollten offengelegt werden. Nur so lässt sich die Digitalisierung optimal nutzen.
Gregor Veauthier