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Das Jahr 2022 mit dem rasanten Anstieg der Milchpreise hat Erzeuger mit einer Festpreisabsicherung über die Börse zum Teil Verluste beschert.
Gefragt sind flexiblere Absicherungsmodelle mit weniger Basisrisiko für die Molkereien.
Ein Mindestpreismodell und die Absicherungsmöglichkeiten von Rohmilch und Käse wurden zur Risikominimierung neu geschaffen.
„Wir haben in der Vergangenheit mit der Festpreis-Absicherung über unsere Molkerei jedes Jahr etwa...
Schnell gelesen
Das Jahr 2022 mit dem rasanten Anstieg der Milchpreise hat Erzeuger mit einer Festpreisabsicherung über die Börse zum Teil Verluste beschert.
Gefragt sind flexiblere Absicherungsmodelle mit weniger Basisrisiko für die Molkereien.
Ein Mindestpreismodell und die Absicherungsmöglichkeiten von Rohmilch und Käse wurden zur Risikominimierung neu geschaffen.
„Wir haben in der Vergangenheit mit der Festpreis-Absicherung über unsere Molkerei jedes Jahr etwa 5.000 € Gewinn gemacht, 2022 dagegen haben wir dort Geld liegenlassen, weil der Kassapreis schneller in die Höhe schoss als der Börsenpreis“, sagt ein Milchkuhhalter aus Hohenlohe. Er hatte regelmäßig 30 % seiner monatlichen 400.000 kg Milch abgesichert. „Unsere Festpreise lagen im Kalenderjahr 2022 zwischen 44 und 56 ct/kg. Die Molkereipreise waren aber gleichzeitig immer 2 bis 3 ct über dem Börsenpreis, das hat über die gesamte Menge betrachtet, mächtig reingehauen.“
Der Hohenloher Milcherzeuger ist mit seinen Erfahrungen kein Einzelfall. „Seitdem haben wir nichts mehr über die Terminmarktbörse abgesichert.“ Das momentane Preisniveau an der Börse von 36 bis 41 ct/kg für Herbst/Winter ist allerdings für eine Absicherung auch relativ unattraktiv. Das war zu Jahresanfang 2022 noch anders. Viele seiner Berufskollegen wollten über die Börse Preise von über 45 ct sichern, doch der Kassamarkt legte schneller zu als erwartet. Die Auszahlungspreise stiegen in einem nie dagewesenen Tempo auf über 55 ct, in der Spitze sogar auf 60 ct an (siehe Übersicht). Da konnte die Börse nicht mithalten. Erzeuger, die ihre Preise zu früh absicherten, fuhren teilweise Verluste ein.
Die Milk Trading Company (MTC) zum Beispiel, ein Zusammenschluss von ca. 200 niederländischen und belgischen Milcherzeugern, die ihre Milchpreise in der Vergangenheit erfolgreich an der EEX in Leipzig abgesichert hatten, berichtet von 150.000 € Verlust im letzten Jahr. Etliche Betriebe sind ausgestiegen und die Verbliebenen konnten die notwendigen Handelssicherheiten nicht beibringen.
Ist ein Update nötig?
Was ist schief gelaufen? Wer sich an die Grundregeln hielt, konnte auch im letzten Jahr durchaus Geld verdienen:
- Der abzusichernde Preis muss über dem betriebsindividuellen Grenzmilchpreis (Break-even) plus 2 bis 3 ct liegen.
- Gleichzeitig müssen an der Börse höhere Preise als am Kassamarkt zu erwarten sein.
- Nach Beginn der Absicherungsphase muss die Absicherung auch im fallenden Markt – selbst wenn es schwer fällt – weiter bis zum eigenen Grenzmilchpreis mit der gleichen Milchmenge diszipliniert durchgezogen werden. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Festpreismodelle über die Börse generell ein Update brauchen bzw. an stark steigende Milchpreise angepasst werden müssen? Fakt ist, dass sich an den Grundregeln auch 2022 nichts geändert hat. Allerdings arbeitet die Branche angesichts der schnellen Preis- und Kostenentwicklung in 2022 intensiv an der Weiterentwicklung und der Bandbreite der Absicherungs-Instrumente.
Das Mindestpreismodell ist eines davon. „Ziel dabei ist, weiter von steigenden Preisen profitieren, sich gleichzeitig aber nach unten absichern zu können“, sagt Prof. Holger Thiele vom ife-Institut in Kiel. Ein Beispiel: Man sichert sich an der Börse einen Festpreis von 38 ct und gleichzeitig über eine sogenannte außerbörsliche Option einen Mindestmilchpreis von 37 ct/kg. „Dieser Preisabschlag von 1 Cent garantiert, dass man später in einem steigenden Markt höhere Preise mitnimmt, aber nicht unter 37 ct/kg abfallen kann“, so Prof. Thiele. Drei deutsche Molkereien würden die konkrete Umsetzung prüfen.
Im EU-Ausland, wie z. B. in Irland, werden laut Florian Hildebrand vom Finanzdienstleister StoneX ähnliche Modelle bereits erfolgreich angewandt. Über Optionen werde hier auch der Kostenentwicklung bei Futter und Energie Rechnung getragen. Die Crux bei den Modellen: Die Prämien für diese Optionen sind gerade in Phasen stark volatiler Milchpreise hoch und können innerhalb von kurzer Zeit stark schwanken. Das schreckt einige Molkereien ab.
Praxisstimme
Peter Manderfeld, Hochwald-Lieferant aus Losheim-Hellenthal:
„Im Schnitt 0,5 ct/kg Gewinn“
„Unterm Strich habe ich bei den ca. sieben Handelsterminen, an denen ich mitgemacht habe, 0,5 ct/kg mehr verdient als ohne die Festpreisabsicherung. Sogar 2022 konnte ich im 3. Quartal bei 60 ct absichern, während der Grundpreis der Molkerei bei 50 ct lag. Mein Hauptfokus dabei ist die Risikovorsorge. Wenn meine Vollkosten durch den Festpreis plus einem gewissen Zuschlag gedeckt sind, mache ich mit. Ich habe bisher immer die vollen 20 % unserer Quartalsanlieferung angeboten, hätte aber gerne mehr Menge in der Absicherung.“
Gearbeitet wird vor allem daran, das Basisrisiko und den Liquiditätsbedarf der Molkereien zu senken. Denn das Geschäft ist für sie sehr kapitalintensiv. So gibt es mittlerweile neben den bekannten Butter- und Pulverkontrakten an der EEX außerbörsliche Rohmilch- sowie Käsekontrakte (sog. OTC-Kontrakte). Das von der BLE geförderte Software-Unternehmen KUHdo zielt mit dem Absicherungssystem „KUHdo Trading“ auf niedrigere Risikokosten für die Molkereien und Landwirte ab und plant ein digitales Ampel- und Schulungssystem zur einfacheren Abwicklung und als Entscheidungshilfe an. Mittelfristiges Ziel sei, gemeinsam mit Finanzdienstleistern ein molkereiunabhängiges Absicherungsangebot – ähnlich dem Ammerländer Modell – auch für weitere Rohstoffe zu entwickeln.
Praxisstimme
Lars Kaper, Ammerland-Lieferant aus Varel:
„Ein Nullsummenspiel“
„Bei der Festpreisabsicherung gleichen sich Gewinn- und Verlustphasen mit der Zeit aus. Wir haben 2022 auch Geld verloren, weil wir bei steigenden Börsenpreisen zu früh abgesichert haben. Wir sind dann aber länger dabei geblieben und profitierten, als die Produktpreise wieder rückläufig waren. Infrage kommt bei uns eine Absicherung von ca. 20 bis 30 % der Menge, ab einem Börsenpreis von 44 ct, das heißt bei einem positiven Deckungsbeitrag. Die subjektive Meinung fallender Preise in der Zukunft ist die Grundlage für eine Absicherung. Gut wäre, wenn man bei weiter steigenden Kassamärkten etwaige Verluste in der Kontraktlaufzeit durch ein Gegengeschäft schließen könnte.“
Wie geht es weiter?
Aktuell ist viel in Bewegung, um die Festpreis-Modelle für die Molkereien und für die Erzeuger attraktiver zu machen. Dazu gehört auch, künftig größere Milchmengen absichern zu können – bei manchen Molkereien sind nur 20 % der monatlichen Menge möglich. „Das lässt kein effektives Risikomanagement zu“, erklärt ein Milcherzeuger. Außerdem beklagen Praktiker die sehr hohen Risikoabschläge der Molkereien (unter anderem für Liquiditätskosten, Gebühren für die Absicherung, Managementkosten), sodass der schließlich angebotene Festpreis deutlich niedriger ausfällt – zum Teil um mehr als 3 ct/kg – als der aktuelle Börsenpreis.
Praxisstimme
Georg Wilsmann, Hochwald-Lieferant aus Seinsfeld in der Eifel:
„Liquiditätslage im Voraus wissen“
„Liegt der Börsenpreis 1 bis 2 ct über meinem betriebsindividuellen Grenzmilchpreis schließe ich immer ab. Unter dem Grenzmilchpreis bin ich aber nicht mehr dabei. Hier gilt es konsequent zu sein. Mir geht es dabei nicht darum, mehr Gewinn zu erzielen, sondern darum, mich abzusichern und Verluste sicher zu verhindern. Ein wesentlicher Vorteil ist für mich auch, dass ich meine Kostensituation und damit meine Liquiditätslage im Voraus berechnen kann. Ich habe für den abgesicherten Teil meiner Milchmenge schon einen Preis, lange bevor die Molkerei den Auszahlungspreis für den jeweiligen Monat festsetzen kann. Ich habe sogar letztes Jahr noch vom System profitiert: 2022 konnten wir von Juli bis September fest mit 60,48 ct/kg und von Oktober bis Dezember beispielsweise mit 57,37 ct/kg rechnen. Von Oktober bis Dezember 23 bekomme ich für 20 % meiner Menge 40,34 ct/kg. Es gab bisher nur ein bis zwei Situationen, wo sich der Markt anders entwickelt hat, als ich erwartet habe. Ich bin von Anfang an dabei und wir haben unterm Strich keinen großen Gewinn gemacht, aber eben sicher auch keinen Verlust. Noch wirksamer wäre das Instrument für uns, wenn wir noch mehr Menge absichern könnten. Dadurch steigt aber wiederum das Risiko.
Dieses Problem haben molkereiinterne Festpreissysteme (Back-to-Back-Geschäfte), wie etwa bei Rücker oder Frischli, nicht. Das Basisrisiko für die Molkerei ist hier deutlich niedriger und der Milcherzeuger muss keine Sicherheitszahlungen leisten. Bei Frischli z. B. leiten sich die Festpreise von konkreten Kassamarkt-Kontrakten mit dem LEH und der Industrie ab. Milcherzeuger können dabei über eine onlinebasierte Kontraktplattform für drei Monate oder für ein halbes Jahr maximal 80 % ihrer jährlichen Menge absichern. Lieferanten, die z. B. im Dezember 2022 für Januar, Februar und März 58 ct/kg abgesichert hatten, profitierten, denn der Molkereipreis sank in dieser Zeit auf 43 ct/kg.
Fest steht: Ob sich die Milchpreisabsicherung breit durchsetzen wird, hängt maßgeblich vom Engagement der Milcherzeuger ab. Laut Börsenexperten fehle es zum Teil an einer intensiven prozessbegleitenden Beratung. Und auch bei einigen Molkereien sei das Interesse an den verschiedenen Risikomanagement-Möglichkeiten noch gering. Denn nach wie vor bietet nur eine Handvoll ihren Erzeugern Festpreis-Instrumente an.
Praxisstimme
Christof Kästner, Nessetal Milch GmbH:
„Flexibler mit Festpreisen ohne Börse“
„Wir verkaufen unsere Milch gemeinsam mit zwei anderen Betrieben an zwei Molkereien. Mit einer davon vereinbaren wir für eine Teilmenge einen Festpreis für ein halbes Jahr, bei der anderen für ein Jahr. 2022 lagen wir zu Anfang über dem Molkereipreis, später darunter. Ein leichter Verlust. Im Oktober 22 konnten wir bis Juli 23 noch 58 ct inkl. Zuschläge (ohne Fett-/Eiweißkorrektur) absichern. Unser Modell ist flexibel, einfach aufgebaut und nah am Markt dran. Beide Parteien tragen ein Risiko. Bisher lagen wir damit im Bundesschnitt immer in der oberen Hälfte.“
Mit einem neuen Risikomodell soll es Milcherzeugern zukünftig möglich sein, ihre Gewinnmarge auch bei steigenden Produktionskosten abzusichern.
Auch das Deutsche Milchkontor bietet seinen Lieferanten jetzt an, einen Teil der Milchmenge über ein Festpreismodell abzusichern. So lassen sich Preisschwankungen abfedern.