Die Klimabilanz von Kuhmilch wird in den Medien stark diskutiert. Aus Klimaschutzgründen entscheiden sich Verbraucher für Milchalternativen. Das einfach hinzunehmen ist für Matthias Everinghoff aus dem Emsland keine Option. Er hält an seinem Standort 159 Milchkühe und möchte den positiven Nutzen der Milchwirtschaft in den Vordergrund rücken.
Betriebsspiegel:
·159 Milchkühe
· Milchleistung: 10.800 kg gleitender Durchschnitt der Herde
·114 ha Futterbaufläche
· Biogasanlage 75 kW und Photovoltaikanlage mit 57 kW
· Standort: Emsland
Was sagt die Klimabilanz?
Vor fünf Jahren hat Matthias Everinghoff bereits eine Klimabilanz erstellt. „Ich war einfach neugierig“, erzählt der Milcherzeuger. „Mir war klar, dass das Klima ein immer größeres Thema werden wird. Ich wollte wissen, wo ich mit meiner guten Milchleistung und der Biogasanlage stehe.“ Von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen ließ er sich den CO2-Fußabdruck mit Hilfe des Klimabilanzierungstools TEKLa kostenlos ausrechnen.
Klimabilanzierung mit TEKLa – so funktioniert‘s:
Anhand von 15 Fragen werden betriebsspezifische Zahlen erfasst, die für die Klimabilanz von Relevanz sind. Diese reichen vom aktuellen Kuhbestand bis zum Energiegehalt der Grundfuttererträge und der Lagerung des Wirtschaftsdüngers.
Der Berechnung liegen aktuelle Forschungsergebnisse nach dem Vorbild der „Berechnungsstandards für einzelbetriebliche Klimabilanzen (BEK)“ zu Grunde. Sobald es neue Erkenntnisse gibt, wird die Berechnung angepasst. Die letzte Anpassung erfolgte im Herbst 2021.
Ein Hofrundgang, das Eintragen von ein paar betriebsspezifischen Zahlen und schon spuckte das Programm den CO2-Fußabdruck in g CO2e/kg ECM (energiekorrigierte Milch) aus. Das Ergebnis war schon damals überdurchschnittlich gut: 827 g CO2e/kg ECM. Im Durchschnitt liegt der Fußabdruck bei 1,1 kg CO2e/kg ECM in Deutschland und 2,4 kg CO2e/kg ECM in Europa. Grund für die gute Bilanz von Matthias Everinghoff waren unter anderem die Biogasanlage und eine gute Leistung seiner Herde.
Klimabilanz verbessert
Im Sommer 2022 lässt Matthias Everinghoff erneut eine Bilanz erstellen. Dafür ist extra Anke Paulsen von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zu ihm auf den Betrieb bekommen. Was hat sich in den fünf Jahren getan?
Mittlerweile liegt die Klimabilanz der Milch bei 747 g CO2e/kg ECM. Eigentlich könnte Matthias Everinghoffs Milch sogar schon unterhalb der 700 g Grenze liegen. Denn der N-Überschuss laut Düngebedarfsermittlung ist um 25 % geringer, es wird 21 % weniger Kraftfutter eingesetzt und der Stromverbrauch hat sich um 37,5 % deutlich reduziert. Doch warum hat er die Grenze noch nicht geknackt?
BHV1 und eine komplett neue Herde
Ausschlaggebend dafür sind die schlechtere Milchleistung, die kürzere Nutzungsdauer seiner Kühe und höhere Abgangsraten. Denn 2017 musste Matthias Everinghoff seine gesamte Herde keulen.
BHV1. Ein kompletter Neustart mit zugekauften Tieren ist der Grund, warum sich die Herdenkennzahlen im Vergleich zu 2017 verschlechtert haben.
„Vorher lagen wir im Schnitt bei 11.700 kg, auch mal ganz knapp unter 12.000 kg. Jetzt hängen wir immer noch 1.000 kg hinterher“, erzählt der Milchprofi. „Ich denke, wir brauchen noch zwei bis drei Jahre, bis wir wieder auf dem Niveau von vorher sind.“ Am Anfang war es ein Desaster, erinnert er sich. In den ersten zwei Jahren nach dem Einbruch hatte er so viele Panaritium-Fälle wie noch nie. Die Nutzungsdauer seiner Milchkühe, welche vorher bei 45 Monaten lag, liegt gerade noch bei 36 Monaten. „Mittlerweile sind wir aber auf einem guten Weg“, ist sich Matthias Everinghoff sicher.
Wäre der BHV1-Einbruch nicht gewesen, könnte er sogar noch klimafreundlichere Milch abliefern. „Mit der Leistung, der Nutzungsdauer und den Abgängen der alten Herde würden wir heute bei 616 g CO2e/kg ECM liegen“, rechnet Anke Paulsen vor. Dann hätte Matthias Everinghoffs Milch einen kleineren CO2-Fußabdruck als Kaffee. Der liegt im Durchschnitt bei 700 g. „Das ist so paradox“, sagt Matthias Everinghoff. „Im Durchschnitt konsumieren Deutsche 47 Liter Milch im Jahr und 164 Liter Kaffee. Da ist doch ein viel größeres Einsparpotential bei Kaffee, aber über die Klimabilanz von Kaffee beschwert sich keiner.“
Entscheidende Faktoren für eine bessere Bilanz
An einigen Punkten sieht Matthias Everinghoff noch deutliches Verbesserungspotential. „Wir könnten eigentlich viel mehr Leguminosen einsetzen. Vor allem Kleegras ist in unserer Region mit viel Ackergrasanbau viel zu kurz gekommen in den letzten Jahren“, erzählt er. „Kleegras bringt mehr Biodiversität, weniger Stickstoffimport und wir sparen deutlich an mineralischen Düngemitteln.“ Dieses Jahr hat er das erste Mal auf einer Fläche Kleegras ausgesät. Anke Paulsen ergänzt noch, dass man damit die Futterqualitäten deutlich anheben könne. Das würde sich dann auch positiv auf die Klimabilanz auswirken.
Kleegras bringt mehr Biodiversität, weniger Stickstoffimport und wir sparen deutlich an mineralischen Düngemitteln.
Matthias Everinghoff
Im Moment wird außerdem noch nicht nach Nachhaltigkeitsstandards zertifiziertes Importsoja auf dem Betrieb gefüttert. „Es ist aber auch schwer an zertifiziertes Soja zu kommen“, gibt Matthias Everinghoff zu Bedenken. Sein Futtermittelzulieferer biete es bisher noch nicht an. Zukünftig könnte das aber immer wichtiger werden. „Einige Molkereien könnten es auf lange Sicht auch von ihren Zulieferern fordern“, hofft Anke Paulsen.
Weniger Verluste durch gasdichte Lagerung
„Gerade die Wirtschaftsdünger-Lagerung ist einer der größten Ansatzpunkte. Denn sobald der Wirtschaftsdünger nicht lange vorgelagert wird und relativ schnell in die gasdichte Lagerung zum Beispiel in Biogasanlagen gelangt, hat man deutlich weniger Ausgasungen und Verluste“, erklärt Beraterin Anke Paulsen. Bei Matthias Everinghoff gelangt ein Teil der Gülle innerhalb von zwei Wochen Vorlagerung in die Biogasanlage. Daher sind die Verluste gering. Ab einer Vorlagerung von einem Monat oder länger, wirkt sich das negativ auf die Bilanzierung aus.
Wenn Matthias Everinghoff noch mehr von seinem Wirtschaftsdünger direkt gasdicht lagern würde und auf den Leistungsstand seiner alten Herde zurück gelangt, würde er eine Klimabilanz von 548 g CO2e/kg ECM erreichen (siehe Ziel-Betrieb auf der ersten Grafik). Das könnte den Betrieb noch weiter in die Richtung einer klimaneutralen Milchproduktion führen.
Keine Vergütung für weniger CO2
Matthias Everinghoff liefert an die Paul Mertens Molkerei in Neuenkirchen. Diese belohnt ihn aber nicht dafür, dass er seinen CO2-Fußabdruck reduziert hat. „Einen Bonus brauchen wir aber auch nicht“, resümiert er. „Für mich gehört das einfach zu unserer Verantwortung einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Und wir produzieren dadurch nicht unbedingt teurer.“ Denn durch Maßnahmen, mit denen sich z.B. Mineraldünger einsparen lassen, würden sich auch die Kosten reduzieren.
Für mich gehört es zu unserer Verantwortung einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten.
Matthias Everinghoff
Anke Paulsen ist da anderer Meinung. Sie findet, dass eine klimaeffiziente Milcherzeugung finanziell nicht ausreichend honoriert wird. Gerade wenn teurer zertifizierter Soja zugekauft wird. Eine zusätzliche Vergütung würde außerdem Anreize schaffen, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen.
Braunviehkühe wichtig für die Öffentlichkeitsarbeit
Matthias Everinghoff spürt den Druck aus der Gesellschaft und der Politik, dass sich auf den Milchkuhbetrieben etwas verändern muss. „Ich schlafe damit ein und stehe damit wieder auf“, erzählt er. Damit sich das Bild und der Blick auf die Betriebe verändert, setzt er sich aktiv ein. Ein wichtiger Punkt ist für ihn, Hofführungen zu machen. „Das ist eine strategische Sache, die wir lange vernachlässigt haben.“ Bei den Führungen geht er offen mit Problemen in der Haltung oder Verbesserungspotenzialen um.
In der überwiegend aus schwarzbunten Holsteins bestehenden Herde laufen auch 20 Braunvieh-Kühe mit. „Einfach weil sie hübsch sind“, sagt Matthias Everinghoff. „Sie erreichen zwar nicht die Kontinuität wie die Holstein-Kühe, aber für die Öffentlichkeitsarbeit sind sie für mich wichtig.“
Für die Zukunft kann sich Matthias Everinghoff außerdem vorstellen, im kleineren Stil mit der kuhgebundenen Kälberaufzucht zu beginnen. Ein klares Konzept dafür hat er zwar noch nicht. Die Idee eines dänischen Betriebes, der schwächere Kühe aus der Herde als Ammenkühe für Bullenkälber nutzt und damit hohe Tageszunahmen erzielt, findet er interessant. Das könnte auch für ihn ein Ansatz sein, um sich an diese Art der Aufzucht heranzuwagen.
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Fehlende Flächen, kein Hofnachfolger, wenig Niederschlag, Arbeitskräftemangel … Die Probleme, mit denen sich Milcherzeuger auseinandersetzen müssen, sind vielfältig. Wir stellen Milcherzeuger vor, die die alltäglichen Herausforderungen angehen.
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Familie Lassen wollten sich nicht länger rechtfertigen, dass sie die Kälber nach der Geburt von den Müttern trennen. Jetzt bleiben die Kälber zunächst bei der eigenen Mutter, dann bei Ammen.