Die Ohren zucken in Richtung des kleinen Laufhofs vor dem Stall. Da tut sich doch was. Aber die beiden leisen Männerstimmen sind den rotbraunen Kühen bekannt. Also bleiben sie in ihren strohgefüllten Tiefboxen liegen, blicken wieder nach vorn und halten ihre wiederkauenden Mäuler in die frostige Ostseebrise, die ihnen durch die offenen Seiten des Stalls entgegenstreicht.
Ein Kopf mit schwarzer Wollmütze taucht im Tor zum Laufhof zwischen den Streifen des Folienvorhangs auf. Es ist Henning Lausen. Er stellt sich in den Durchgang und hält ein paar der Plastikstreifen zur Seite. Den Kopf in den wärmenden Kragen seiner blauen RSH-Jacke geduckt folgt ihm Claus-Peter Tordsen in den Stall. Die beiden haben einen Termin.
International gefragt
Henning Lausen, der gemeinsam mit seinen Eltern Dorlis und Peter sowie einem Auszubildenen den Betrieb mit 150 Kühen, Nachzucht und Futter- sowie Ackerbau bewirtschaftet, zeigt dem Zuchtberater von der Rinderzucht Schleswig-Holstein (RSH eG) heute zwei Färsen, die er verkaufen möchte. Claus-Peter Tordsen, der die Vermarktung der rotbraunen Spezialität aus Angeln organisiert, sucht heute Tiere für den Export nach Italien. Die Milcherzeuger in der Parmaregion können gar nicht genug von den Rotvieh-Kühen aus Deutschland bekommen. Die Milch von Lausens Kühen ist dank 4,65% Fett und 3,57% Eiweiß und einer hohen Käseausbeute ideal für die Produktion der italienischen Hartkäsespezialität. Die Italiener ordern über einen Händler in Südtirol alle paar Wochen Färsen aus der Region Angeln. „Man könnte mehr absetzen als da sind“, sagt Tordsen. Die blauen Augen blitzen hinter den Brillengläsern, wenn er von dem Interesse an „seinen“ Kühen redet.
Das diese Genetik international gefragt und ihre Population klein ist, kommt den Angler-Betrieben zugute. „Es ist nie so, dass man Tiere völlig unter dem Wert verkaufen müsste, wie es bei den Holsteins zeitweise war“, sagt Henning Lausen. Durch ein Ausbildungsjahr auf einem Holstein-Betrieb kann er für sich die Vor-und Nachteile der Rassen abwägen.
Kleine Kuh mit Besonderheiten
Henning Lausen ist leicht im Stall zu finden, er überragt seine 1,45 m großen Kühe um knapp einen halben Meter. Die Männer blicken sich suchend nach der ersten Färse um. Das orangegelbe Licht im Stall lässt alles goldbraun schimmern, das Fell der Kühe, die Haut und die Holzvertäfelung. Doch der Hautton der Angler ist auch bei Tageslicht bronzefarben und ein besonderer: Haut und Augen sind unempfindlicher gegen Sonneneinstrahlung als die anderer Kühe.
„Die Australier kreuzen deswegen gerne mit Rotvieh ein“, sagt Tordsen. Auch die östlichen Länder schätzen die robusten Kühe. Erst kürzlich wurden 17 Zuchtbullen nach Usbekistan exportiert. Der Spermaexport ist heute außerdem genauso hoch wie die Menge, die in Deutschland gebraucht wird.
Die Kühe in ihrer Heimat konnte sich das internationale Publikum 2013 im Rahmen der Angler-Schau in Süderbrarup anschauen. Auch das Treffen des Welt-Rotviehverbandes fand damals statt. Einer der Betriebsbesuche war bei Lausens. „Das die Gäste die Kühe in ihrem Arbeitsumfeld anschauen können, entscheidet mit darüber, wie die Vermarktung läuft“, merkt Tordsen an. Dass sie läuft, zeigen die Zahlen: Der Rassenanteil der Angler beträgt bei der RSH 4% – ihr Anteil an der Vermarktung 15%!
Nicht unrelevant war für die Gäste, dass die Herde von Lausens automatisch gemolken wird. Denn wenn Angler eine Schwäche haben, ist es die Festigkeit des Euters. Dass sie dennoch robotertauglich sind, ist daher für manch einen beruhigend zu sehen. Probleme mit gekreuzten Strichen an den Hintervierteln gibt es dafür gar nicht!
Eine Produktionsherde
Mit einer Milchleistung von über 10.000 kg energiekorrigierter Milch haben die Lausens die zweitbeste Angler-Herde unter ihren Fittichen. „Wir sind ein Produktionsbetrieb“, sagt Henning Lausen. Angler-Betriebe betreiben nicht bloß eine züchterische Liebhaberei und so wollen sie auch nicht wahrgenommen werden. In der Region Angeln, eine Halbinsel umgeben von der Schlei, der Ostsee und der Flensburger Förde, gibt es noch 100 Betriebe, die Angler-Kühe melken. Die größten Herden umfassen 250 Kühe. Claus-Peter Tordsen übernimmt für die Hälfte aller Betriebe die Anpaarungsplanung. Auch für die Lausen GbR. „Wir vertrauen Claus-Peter da total“, sagt Henning Lausen. „Und sicherlich sind die Kühe durch die Anpaarungsberatung auch insgesamt einheitlicher. Unvorstellbar, dass er das mal irgendwann nicht mehr machen könnte!“
Ein Grund dafür, dass die Anpaarung oft aus der Hand geben wird ist, dass durch die kleine Population ein nicht unerhebliches Risiko der Inzucht besteht. 2016 wurden bundesweit 11.000 Deutsche Rotviehkühe in der Milchleistungsprüfung erfasst – Angler, so werden sie nur in ihrer Heimat genannt. „Es ist wichtig über 10.000 Kühe in Deutschland zu haben. Auch für die genomische Selektion“, sagt Tordsen. Seit gut einem Jahr kooperiert Deutschland bei der genomischen Selektion für Rotvieh mit Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern. In Deutschland werden bereits fast zu 50% genomische Bullen eingesetzt.
Um den Inzuchtgrad zu verringern wurden immer wieder fremde Blutlinien in die Angler eingekreuzt. Dazu gehörten zwei kanadische Ayrshire, die vor sechs Jahren für Bullenmutteranpaarungen eingesetzt wurden. Dann gibt es den Austausch mit Skandinavien. Hier profitieren die Züchter von der Arbeit, die die Nordländer bereits seit Jahrzehnten in die Verbesserung der sekundären Merkmale gesteckt haben!
Und die Gefleckten?
Lausen und Tordsen haben die Färse von Interesse gefunden. Mit einer starken Vorhand, guten Fundamenten und schwarzen Klauen verkörpert sie wesentliche Vorzeigeeigenschaften einer echten Angler. Soweit nichts auszusetzen. Aber sie ist ja gar nicht durchgängig rotbraun! Das vor 20 bis 30 Jahren rotbunte Holsteins in die Rasse eingekreuzt wurden, hat Spuren hinterlassen. „Ihre Leistung ist nicht schlechter als die der typisch gefärbten“, sagt Henning Lausen, „für den Verkauf in den Export ist die Farbe auch kaum relevant. Problematisch ist es, wenn Leute eine Liebhaber-Angler-Kuh kaufen wollen oder auf der Auktion. Da erzielen die durchgefärbten Kühe meist den höheren Preis.“ Heute ist man wieder bemüht den Holstein-Anteil zurückzudrängen. „Die fährt mit nach Italien“, Claus-Peter Tordsen nickt Henning Lausen zu.
Leichte Geburten, gute Zunahmen
Henning Lausen beugt sich in eins der Kälberiglus, mit einer Hand stupst er das zwei Tage alte rotbraune Kalb zum Aufstehen an. Die Angler-Kälber sind etwas kleiner als die der Holsteins. Probleme bei den Abkalbungen gibt es laut Lausens daher selten. Neben ca. 10 Färsen verkaufen sie jährlich auch 15 Kuhkälber. Aktuell für 100 bis 120 € pro Kalb. Pro Jahr wird zudem ein genetisch interessantes Bullenkalb als Deckbulle für die Rinder in der Weidesaison mit aufgezogen. Ein Iglu weiter steht eine Weiß-Blaue-Belgier-Kreuzung.
Es ist das hell- bis dunkelbraune Flotzmaul, was die Lausens dazu veranlasst hat, keine Limousin mehr bei Fleischrassenanpaarungen zu besamen. „Die Käufer meinen dann, dass es genauso gut ein reines AnglerKalb sein könnte“, erklärt Henning Lausen. Doch auch die Zunahmen der reinen Angler-Kälber sind etwas besser als bei den Holsteins.
Kaum Unterschiede im Management
Bei den Kühen merkt man die Veranlagung zu höheren Zunahmen ebenfalls. „Zum Ende der Laktation muss man schon etwas aufpassen, dass sie nicht zu fett werden“, Henning Lausen legt den Kopf schief – ob das jetzt deutlich auffälliger ist, als bei den Holsteins, kann er nicht sagen. Da sie in ihren zwei Robotergruppen Teil-TMR füttern, können sie die Kondition der Kühe recht gut steuern. Betriebe, die Voll-TMR füttern, haben schon eher Probleme. Lausens Teil-TMR setzt sich aus 55% Mais- und 45% Grassilage sowie 4,3 kg Ausgleichsschrot zusammen. Am AMS werden zwei Kraftfutter bis maximal 7,2 kg gefüttert sowie 200 bis 250 g Glycerin-Propylengemisch pro Tag in den ersten 65 Laktationstagen.
Beide Herden werden gleich versorgt und möglichst konstant im Herdenverbund gehalten. Es gibt je Gruppe einen Vorbereiter- und Abkalbebereich. Nur in der ersten Phase der Trockenstehzeit werden die Kühe beider Herden zusammengestellt. Es wird versucht die Gruppen jeweils nur mit Färsen zu ergänzen. „Den Kühen fällt es sehr schwer sich an eine andere Seite zu gewöhnen. Wenn sie immer rechts rum in die Roboterbox gelaufen sind, dann gehen linksseitig die Melkungen merklich zurück“, sagt Henning Lausen. Diesen zusätzlichen Stress will er den Kühen nicht zumuten. Kuhkomfort wird bei Lausen großgeschrieben. „Der beste Vorteil am AMS ist, dass sich der Stall einfach gar nicht wie bei einem konventionellen Melksystem überbelegen lässt!“
Im Sommer stehen Trockensteher und Rinder auf der Weide, aber nur auf kaliumarmen Flächen, also ohne Gülledüngung, um nicht in Milchfieberprobleme zu geraten.
Holsteins standen nie zur Debatte!
Lausens sind sehr mit ihren Anglern zufrieden. Sie gehören zur Region und wurden immer im Betrieb gezüchtet. Umstellen auf Holsteins, wie manche Betriebe es tun, stand nie zur Debatte. Warum auch? Herde und Betrieb sind gut für die Zukunft aufgestellt, sie tragen sich wirtschaftlich. Bleibt zu hoffen, dass die Angler nicht weniger werden. Doch die genomische Selektion hat neuen Schwung gebracht, es gibt bereits einige Neueinsteiger.
Martin Mühlinghaus schätzt farbige Muster nicht nur auf der eigenen Haut, sondern auch bei seinen Kühen: Mit der Drei-Rassen-Kreuzung arbeitet er an einer unkomplizierten Herde!