Jede vierte Abgangskuh verlässt wegen Euterproblemen die Herde. Die Entzündung der Milchdrüse (Mastitis) ist eins der therapieintensivsten Probleme in der Milchkuhhaltung. Das zeigen auch die aktuellen Antibiotika-Verbrauchsmengen: Die meisten antibiotischen Anwendungen im Milchkuhstall werden zur Therapie von Euterentzündungen eingesetzt. Und das ist nicht mehr zeitgemäß, denn nicht nur die Verbraucher, sondern auch das neue Tierarzneimittelgesetz (TAMG) fordert weitere Einsparungen von...
Jede vierte Abgangskuh verlässt wegen Euterproblemen die Herde. Die Entzündung der Milchdrüse (Mastitis) ist eins der therapieintensivsten Probleme in der Milchkuhhaltung. Das zeigen auch die aktuellen Antibiotika-Verbrauchsmengen: Die meisten antibiotischen Anwendungen im Milchkuhstall werden zur Therapie von Euterentzündungen eingesetzt. Und das ist nicht mehr zeitgemäß, denn nicht nur die Verbraucher, sondern auch das neue Tierarzneimittelgesetz (TAMG) fordert weitere Einsparungen von Antibiotika in der Tiermedizin.
Außerdem reduzieren hohe Zellzahlen die Milchleistung und mindern so den betriebswirtschaftlichen Gewinn. Gute Gründe dafür, bei diesem Thema gründlich zu forschen und das passiert seit vielen Jahren an der Hochschule Hannover in der Arbeitsgruppe von Prof. Volker Krömker. Wir haben den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst, der bei der diesjährigen Mastitistagung mit 250 Teilnehmern aus sechs EU-Ländern vorgestellt wurde.
Management wichtiger als Genetik
Wissenschaftlerin Dr. Anke Römer von der Landesforschungsanstalt (LVA) Mecklenburg-Vorpommern ging der Frage nach, ob hohe Milchleistung und gute Eutergesundheit einander ausschließen. Sie hat Zugriff auf Daten von 500.000 Kühen, den sogenannten Testherden der Rinderallianz Mecklenburg-Vorpommern, mit einer überdurchschnittlichen Milchleistung von 11.000 kg.
Blickt man auf den Verlauf der letzten 20 Jahre, so ist die Milchleistung um rund 1000 kg gestiegen und der Anteil euterkranker Kühe um 7% zurückgegangen. Auch die Merzungsrate wegen Eutergesundheitsstörungen verringerte sich in den letzten Jahrzehnten um 2 %-Punkte (von 6,5 auf 4,5%).
Trend: Mehr gesunde Kühe und höhere Milchleistung
Die Daten zeigen weiterhin, dass mit steigender Milchleistung, der Antibiotikaeinsatz um den Faktor drei zurückgeht. So erhielten Kühe mit einer niedrigen Milchleistung (6.000 bis 9.000 kg/Jahr) durchschnittlich drei Euterbehandlungen je Kuh und Laktation. Ab einer Leistung von 10.000 kg sank die Behandlungshäufigkeit auf etwas über eine Behandlung je Kuh und Laktation.
Im Jahr 2021 waren 77% der untersuchten Kühe eutergesund. Das ist vorbildlich! Gründe dafür sind
- die bessere Genetik. Hier wird inzwischen mehr Gewicht auf die Gesundheitszuchtwerte gelegt.
- die regelmäßige Datenerfassung und -auswertung und der Vergleich mit anderen Herden (Benchmarking) in der Beratung
- die kontinuierliche Verbesserung des Herdenmanagements.
Hochleistende Kühe sind anspruchsvoller an ein gutes Management, können aber gesünder und leistungsfähiger sein.
Dr. Anke Römer
Trockenstellen weiterentwickeln
Die Daten zeigen, dass sich die Herden-Eutergesundheit verbessert hat. Das sind gute Voraussetzungen dafür, noch mehr Antibiotika einzusparen. Tierärztin Stefanie Müller, Hochschule Hannover, fragte sich, wie groß ist der Einfluss des Antibiotikums auf die Heilungsraten beim selektiven, antibiotische Trockenstellen ist. Und welche Rolle die Selbstheilungsrate der Euterviertel spielt?
Denn seit Februar 2022 ist die prophylaktische Anwendung von Antibiotika nicht mehr erlaubt (TAMG), d.h. mindestens eine Kuh muss im Bestand selektiv (ohne Antibiotikum) trockengestellt werden. Um erfolgreich vor Neuinfektionen zu schützen, ist die Anwendung eines Zitzenversieglers für alle Kühe ratsam. Aber wie hoch ist die Selbstheilungsrate erkrankter Viertel in der Trockenperiode? Dazu untersuchte sie gründlich das Trockenstellen auf Biobetrieben (geringerer Antibiotikaeinsatz) . Daten von knapp 3000 Eutervierteln zeigten, dass
- die Selbstheilungsrate infizierter Viertel in der Trockenperiode mit über 70 % hoch ist.
- die Wirksamkeit des eingesetzten Antibiotikums vom Erregertyp abhängig ist.
- im Durchschnitt bringt das Antibiotikum in der Trockenperiode 10 % mehr Heilung. Bei Streptokokken erhöht das Antibiotikum die Heilungsrate um 15 bis 20 %. Geringere Erfolge zeigen Staphylokokken (S. aureus, NAS). Kein signifikanter Einfluss auf die Heilungsrate ist bei Gram-negativen Erregern messbar.
- die Laktationszahl der Kuh und ein massiver BCS-Abbau zwischen Trockenstehen und Kalbung haben einen negativen Einfluss auf die Heilungsrate.
Selbstheilungsrate versus Antibiose
Die Auswertungen zeigen, dass die antibiotische Wirksamkeit in der Trockenperiode bisher überschätzt wurde. In Zukunft ist die Vordiagnostik mit einem Schnelltest (z.B. Mastdecide) denkbar, um nur die Viertel antibiotisch trockenzustellen, die mit Streptokokken (Gram-positiv) infiziert sind. Das würde den Einsatz von Antibiotika in der Trockenperiode deutlich reduzieren.
Antibiose bei Coli-Mastitis
Auch der Einsatz von systemisch wirksamen Antibiotika zur Soforttherapie der schweren toxischen Mastitis (M3-Mastitis) steht auf dem Prüfstand und wird im Zuge der Antibiotikaeinsparungen kritisch hinterfragt. Tierärzte greifen bei dieser lebensbedrohlichen Infektion gern zu Breitbandantibiotika aus der Kategorie Reserve-Wirkstoffe. Ob dieses Vorgehen sinnvoll ist oder nicht, diskutieren Wissenschaftler und Praktiker seit vielen Jahren. Befürworter argumentieren, dass das Antibiotikum gegen die Bakterien, die vom Euter ins Blut übergetreten sind (Bakteriämie), eingesetzt werden sollte.
Tierärztin Isabel Krebs hat das Auftreten der Bakteriämie bei schweren Mastitiden untersucht. Für ihre Studie in 2021 standen 65 Fälle einer Grad 3-Mastitis (M3) aus 13 Herden zur Verfügung. Ziel war es herauszufinden, welche Erreger eine Bakteriämie (Nachweis identischer Bakterien in Blut und Milch) auslösen und ob die systemische Gabe von Breitbandantibiotika ins Blut bei schweren Mastitiden medizinisch sinnvoll ist. Dafür wurden von jeder Kuh jeweils die Blut- und Milchprobe bakteriologisch untersucht.
Das waren die Ergebnisse:
- E. coli war der häufigste Erreger (49%) schwerer Mastitiden. Es folgten Streptokokken (18%) und Klebsiellen (15%)
- Die Bakteriämie konnte nur in ca. 15% der Mastitis-Fälle nachgewiesen werden.
- E. coli und Klebsiellen sind die häufigsten Verursacher einer Bakteriämie.
Tierarzt Dr. Christian Fidelak kommentierte die Ergebnisse so: „Wenn nur bei 15 % der euterkranken Kühe eine Bakteriämie vorkommt, halte ich eine systemische Antibiose für nicht gerechtfertigt , v.a. weil sie ja oft mit kritischen Wirkstoffen erfolgt.
Verzicht auf Reserveantibiotika bei Coli-Mastitiden.
Dr. Christian Fidelak, Bovicare, Bernau
Mastitis-Schweregrad beeinflussen
Akute, toxische M3-Mastitiden haben schwere Verläufe, lassen die Milchleistung einbrechen und enden schlimmstenfalls trotz umfangreicher Therapie tödlich. Tierarzt Frederik Fredebeul-Krein hat untersucht, welche Kühe ein besonderes Risiko haben, schwer an Mastitis zu erkranken. Für die Untersuchung im vergangenen Jahr standen 850 Mastitisfälle aus 65 Betrieben in Norddeutschland zur Verfügung. Davon war jeder fünfte Fall eine schwere M3-Mastitis. Der Schweregrad der Mastitis wird beeinflusst vom:
- Laktationsstadium: In der Frühlaktation sind die Mastitisfälle schwerer (2,6 mal) als im späteren Verlauf.
- Vorerkrankungen (Gebärmutterentzündung, Ketose) innerhalb von zwei Wochen vor dem Auftreten der Mastitis gehen mit schweren Mastitisverläufen einher .
- Behandlung mit Kortikosterioden (z. B. Dexamethason bei der Ketose-Therapie) innerhalb von zwei Wochen vor dem Mastitisfall, gehen mit schweren Mastitisverläufen einher. Hier besteht der Verdacht, dass das Immunsystem in der Funktion behindert wird.
- Umweltkeime: Viele coliforme Keime im Umfeld der Kuh verstärken den Schweregrad der Mastitis)
Risiko Sauberkeit
Blickt man auf die herdenspezifische Risikofaktoren, dann führen die folgende Punkte zu einer Verschlimmerung der Mastitissymptome:
- Niedrige Neuinfektionsrate (NIR): Überdurchschnittlich gute NIR (unter 28%) in der Trockenperiode führen zu schwereren Mastitisverläufen.
- Dreimal Melken: Mehr als zwei Melkungen pro Tag. Es wird vermutet, dass der Zitzenkanal beanspruchter ist und länger offen steht. Das macht es für Keime leicht, in das Euter vorzudringen.
- Saubere Euter: In sauberen Herden gibt weniger subklinische Vorerkrankungen und viele gesunde Euterviertel. Das macht die Euter anfälliger für Bakterien. Wenn mehr als 80% der Kühe in der Herde sauber sind, dann verdoppelt sich der Prozentsatz der schweren Mastitisfälle.
Ansteckung unterbinden
Zitzengummis können Erreger von Kuh zu Kuh weitergeben. Vor allem, wenn die Zitzengummis älter und rissig sind, können Mikroorganismen gut haften und mit einem Melkzeug können sechs bis acht Kühe angesteckt werden. Wichtig für die gute desinfizierende Wirkung ist das Einhalten der Desinfektionszeit und die Melkreihenfolge (Eutergesunde Tiere und Färsen zuerst). Auch die Sauberkeit der Euter und die Zahl mit einem Melkzeug gemolkene Tiere ist ein wichtiger Einflussfaktor. Das hat Tierärztin Sabrina Schreib, HS Hannover, herausgefunden. In Ihrer Studie hat sie Melkzeuge mit einem Tupfer und Nährmedium bakteriologisch untersucht und herausgefunden, dass die Zitzendesinfektion als Spray mit Peressigsäure Lösung (1000 ppm) nach mindestens 30 Sekunden. Einwirkzeit zu einer signifikanten Reduktion von Mastitiserregern führt.
Jede dritte Kuh ist gesund
Auswertung der Krankheitshäufigkeit (Erstdiagnosen) im letzten Jahr zeigen: 34 % der Kühe waren im letzten Jahr gesund. Wurden Gesundheitsstörungen diagnostiziert, waren das Fruchtbarkeitsstörungen (32%), Klauenprobleme (26%), Eutererkrankungen (23%), Stoffwechselstörungen (11%) oder Andere (11%).
Wertet man die Daten für einige ausgewählte Krankheiten (Mastitis, Gebärmutterentzündung, Sohlengeschwür, Milchfieber) retrospektiv (Jahr 2005-2006 vs 2021) aus, wird ein deutlicher Rückgang von mehr als 50% der Krankheitsfälle sichtbar.
Retrospektive: Entwicklung der Krankheitshäufigkeit
Die Behandlung von Mastitis ist oft nicht von Erfolg gekrönt. Wie sich das ändern lässt, wurde beim NMC-Kongress diskutiert.