Steigt die Totgeburtenrate im Bestand deutlich über fünf Prozent, muss ein kritischer Blick auf die Geburtshilfe gelegt werden. Aus Angst vor toten Kälbern neigen Tierhalter oft dazu, unnötig und zu früh an den Kälbern zu ziehen. Das führt dann erst recht zu Schwergeburten. Was hilft, ist Ruhe zu bewahren. Denn nur dann kann man das Geburtsproblem zügig und exakt erkennen und helfen.
Die 10 häufigsten Geburtsprobleme in der Praxis:
1. Fehldiagnosen
Bevor Geburtshilfe geleistet wird, muss man sich in der Kuh orientieren. Wichtig ist es, sich für die Diagnose des Lage-Stellungs- oder Haltungsfehlers (Zwillinge?) etwas Zeit zu nehmen. Denn jede Fehleinschätzung zu Beginn der Geburtshilfe kann das Leben von Kuh und Kalb gefährden.
2. Weicher Geburtsweg ist zu eng
Das Problem tritt häufig bei Färsen und Kühen auf, die unzureichend angefüttert wurden. Oft ist der innere Muttermund noch als Ring um den Kopf des Kalbes fühlbar. Die Gefahr, dass Zervix und Scheide einreißen können, ist dann groß. Das kann zu akuten Bauchfellentzündungen oder dauerhafter Unfruchtbarkeit führen. Helfen kann hier eine Injektion mit einem Arzneimittel (Sensiblex). Die weitende Wirkung tritt nach circa 20 Minuten ein und kann durch das Auflegen von nassen, sehr warmen Handtüchern auf das mütterliche Becken unterstützt werden. Tritt der Kopf durch die Scheide, kann ein Dammschutz über dem Kopf des Kalbes oder mit zwei Händen im Bereich zwischen After und Scheide durchgeführt werden. Der Tierarzt hat im Notfall die Möglichkeit, einen oder zwei Dammschnitte in die äußere Scheidenhaut zu setzen, um zu verhindern, dass die Scheide an einer ungeeigneten Stelle einreißt. Ist der knöchernde Geburtsweg (innerer Beckenring) zu eng, darf kein Auszugsversuch durchgeführt werden!
3. Ein Bein fehlt
Wenn Vorder- oder Hinterbeine gebeugt sind, ist es ideal, mit zwei Personen zu arbeiten. Der eine schiebt das Kalb am Kopf oder dem Becken wieder in die Kuh. So entsteht mehr Raum für die Korrektur der Gliedmaße durch die zweite Person. Hat man die Klaue mit einer Hand erreicht, sollte diese mit der Hand umschlossen werden und so gebärmutterschonend Richtung Scheide vorgezogen werden. Bei diesem Haltungsfehler niemals an Gleitgel sparen.
4. Ein zweites Kalb
Zwillinge sind in der Regel etwas kleiner als Einlinge und kommen drei bis vier Wochen früher zur Welt. Bei verschiedengeschlechtlichen Zwillingen ist das weibliche Kalb oft eine Zwicke und unfruchtbar. Ein Bluttest kann das bestätigen. Bei der Orientierung in der Gebärmutter hilft es, zuerst den Kopf zu suchen und mithilfe einer Kopfschlinge (1,50 m lang) zu fixieren. Danach sucht man die Beine und lagert das erste Kalb für den Auszug vor.
5. Kalb steckt fest
Kopf und Vorderbeine sind geboren, doch das Kalb scheint festzustecken. Möglich ist, dass die Kniegelenke vor dem Beckenkamm klemmen. Nachdem Kopf und Schulter geboren sind, muss die Zugrichtung zum Sprunggelenk verlagert werden. Steckt das Kalb immer noch fest, kann man mithilfe eines Hebels körpernah (mit je einem zusätzlichen Helfer) zwischen den Vorderbeinen das Kalb wie eine Schraube hin und her drehen und dabei mit Gefühl ziehen. Idealerweise verringert sich der Durchmesser des Kalbes im Verhältnis zum mütterlichen Becken, sodass das Kalb geboren werden kann.
6. Trockene Geburtswege
Nach dem Blasensprung fehlt naturgemäß Gleitmittel in der Gebärmutter. Das Gewebe kann daraufhin reißen und das Kalb ersticken. Bevor Zughilfe möglich ist, muss Fruchtwasserersatz angemischt werden: Ein Liter Gleitgel und fünf Liter lauwarmes Wasser mischen und mithilfe einer Pumpe über das Kalb in der Gebärmutter (unter Handschutz) einlaufen lassen. Sobald das Kalb gut „geschmiert“ ist, kann umgehend mit der Zughilfe begonnen werden.
7. Torsio nicht übersehen
Wenn die untersuchende Hand sich in der Scheide in eine Richtung dreht und das Kalb schlecht oder gar nicht mehr erreichbar ist, liegt der Verdacht nahe, dass sich die Gebärmutter verdreht (Torsio) hat. Das Risiko, das Geburtsproblem zu übersehen, ist groß. Das liegt daran, dass die Kuh erfolglos presst und die Geburt dann stoppt. Wird diese Diagnose gestellt, muss umgehend der Tierarzt angerufen werden.
8. Tempo bei Hinterendlage
Die Rückwärtsgeburt von Kälbern ist seltener, denn nur zehn Prozent der Geburten sind Hinterendlagen. Jedoch brauchen Färsen bei dieser Lage häufiger Geburtshilfe. Wichtig ist hierbei der schnelle Auszug, da die Nabelschnur früh abreißt bzw. einklemmt und das Kalb aufgrund von Sauerstoffmangel stirbt.
9. Viel Gefühl am Kopf
Ist der Kopf seitlich abgeknickt, ist es sinnvoll, zuerst den Unterkiefer mit einer Kopfschlinge (ca. 1,50 m langer Strick) zu fixieren. Nicht ziehen, denn der Unterkiefer bricht schnell. Anschließend kann man den Kopf mit einer Schlinge ebenfalls fixieren und vorsichtig nach vorne ziehen.
10. Erst das Kalb, dann die Kuh
Nach jeder Geburtshilfe geht es zuerst darum, wie es dem Kalb geht. Fruchtwasser kann mithilfe einer Absaugpumpe entfernt werden. Anschließend hilft der Kaltwasserguss auf den Hinterkopf, das Kalb zu stimulieren. Bei der Kuh dagegen sollte nach jeder Geburtshilfe eine Nachuntersuchung der Gebärmutter erfolgen. Dabei geht es darum zu klären, ob weitere Kälber da sind und ob die Gebärmutter, Zervix und Scheide unverletzt sind. Bei der Geburtshilfe ist es immer ratsam, mit mehreren Personen zu arbeiten. Es ist insgesamt günstiger, den Tierarzt einmal zu viel zu rufen, als den großen wirtschaftlichen Schaden durch schwerverletzte oder tote Muttertiere und Kälber in Kauf zu nehmen.
Wann muss der Tierarzt kommen?
Nicht immer reicht die Hilfe des Herdenmanagers oder Landwirts allein aus. In manchen Fällen muss der Tierarzt gerufen werden, um sich um die Kh und das Kalb während der Kalbung zu kümmern. Typische Fälle für den Tierarzt sind:
- Lage-, Stellungs- und Haltungsanomalie, die nicht in kürzester Zeit zu berichtigen sind.
- Verletzungen oder Blutungen beim Muttertier oder wenn das mütterliche Becken zu eng oder das Kalb zu groß ist.
- Bei stinkendem Ausfluss.
- Bei Verdacht auf ein totes Kalb.
- Wenn ein Kalb in unterer Stellung (Rücken ist unten) vom Tierarzt gedreht werden muss.
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