Nachdem die Ziele der Borchert-Kommission erst einmal an der Unentschlossenheit der Politik gescheitert sind, hat nun der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) Nägel mit Köpfen gemacht. Ab 2022 plant der LEH auf Milch und Milchprodukte mit der Haltungsform, in der sie produziert wurde, zu werben. Dieser Schritt war zu erwarten. Denn seit der Ankündigung von Aldi, deutsches Frisch-Fleisch bis 2030 nur noch aus Haltungsform 3 (Außenklima) und 4 (Bio) zu verkaufen und damit über die gültigen...
Nachdem die Ziele der Borchert-Kommission erst einmal an der Unentschlossenheit der Politik gescheitert sind, hat nun der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) Nägel mit Köpfen gemacht. Ab 2022 plant der LEH auf Milch und Milchprodukte mit der Haltungsform, in der sie produziert wurde, zu werben. Dieser Schritt war zu erwarten. Denn seit der Ankündigung von Aldi, deutsches Frisch-Fleisch bis 2030 nur noch aus Haltungsform 3 (Außenklima) und 4 (Bio) zu verkaufen und damit über die gültigen gesetzlichen Standards zu gehen, konnte die Milchbranche ahnen, wo die Reise hingeht.
Die vier Stufen der Haltungsform-Kennzeichnung
Doch was bedeutet die Haltungsform-Kennzeichnung der Initiative Tierwohl (ITW)? Die Kennzeichnung ist eine vierstufige Siegel-Klassifikation. Das bedeutet, dass der LEH nicht selbst Programme entwickelt, sondern dass (bestehende) Siegel einer Stufe (Übersicht 1) zugeordnet werden.
- Haltungsform 1 entspricht dem gesetzlichen Standard.
- Haltungsform 2 (Stallhaltung plus): Die Standards gehen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Eine ganzjährige Anbindehaltung ist nicht mehr möglich, jedoch ist eine Kombinationshaltung mit Weide bzw. Laufhof erlaubt.
- Haltungsform 3 (Außenklima): Tiere müssen Zugang zum Außenklima haben, sei es über einen Laufhof oder Weide. Auch Offenfrontställe fallen unter diese Stufe. Tiere erhalten GVO-freies Futter.
- Haltungsform 4 (Premiumstufe): Hier werden Haltungsformen einsortiert, die den Anforderungen der europäischen Öko-Verordnung oder Vergleichbarem entsprechen.
Die Haltungsform-Kennzeichnung kommt
Ob es bei der Milch im Jahr 2022 mit der Kennzeichnung bereits im Frühjahr los geht, steht noch nicht fest. Dass sie kommt, ist jedoch sicher. Denn der Eigenmarkenanteil (Handelsmarken) bei Molkereiprodukten beträgt bei den LEH-Unternehmen bis zu 80 %. Damit ist der Druck für die Molkereiunternehmen groß, Milch der gewünschten Haltungsform zu liefern.
Branchenkenner gehen davon aus, dass der Handel schnell Stufe 2 verlangen und damit ein mögliches Aus für die ganzjährige Anbindehaltung einläuten könnte. Das geplante, mit zusätzlichen Kriterien versehene Zusatzmodul (zusätzlich zu QM Standard „QM Tierwohl“), wird dann sehr wahrscheinlich als Grundlage für die Einstufung in Haltungsform 2 dienen. Dazu gibt es bereits (weit fortgeschrittene) Verhandlungen. In punkto Finanzierung wird für die Stufe 2 von zusätzlichen 1 bis 1,5ct/kg gesprochen.
Ende bleibt offen
Denn neben den steigenden Kosten für die Milcherzeuger müssen auch die höheren Aufwendungen der Molkereien für das Erfassen und Verarbeiten unterschiedlicher Milchströme gedeckt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass diese Kosten auf die Auszahlungspreise abgewälzt werden. „Insgesamt muss sichergestellt werden, dass die gezahlten Zuschläge zu den Kriterien und Auflagen der jeweiligen Haltungsform passen und als tatsächliche Zuschläge auch ausgewiesen sind“, so Dr. Klaus Hein (DMK). Das Problem ist, dass der LEH nicht unbedingt auf QM-Milch angewiesen ist. Auch andere Programme (z. B. Tierschutzmilch, DLG Milchviehhaltung) könnten in die Kennzeichnung einsortiert werden. Neben der Finanzierung wird auch um die Frage gerungen, wie mit ausländischer Milch verfahren werden soll.
Für den LEH dürfte die Haltungsstufe 2 nicht der letzte Schritt sein. Denn die Aldi-Ankündigung, bei Fleisch Stufe 3 und 4 anzustreben, bringt die Milchbranche in Zugzwang. Der Grund: Rindfleisch stammt zu einem großen Teil von Schlachtkühen, die dann wiederum in Stufe 3 oder 4 gehalten werden müssten.
Feste Absprachen bezüglich der Haltungsform 3 bei Milch gibt es noch nicht, es laufen aber erste Gespräche. Für Stufe 3 sei es für QM-Milch aber denkbar, ein Programm zu entwickeln.
Außenklima wird großes Thema
Was bedeuten die Ankündigungen für Milcherzeuger? Die Absichten des LEH könnten schneller als gedacht zu einem Aus der ganzjährigen Anbindung führen. Die meisten Betriebe könnten sicherlich für die Stufe 2 produzieren (mit höherem Kostenaufwand). Ein Schritt in die nächsten Stufen (3 und 4) wird in vielen Fällen mit einem deutlichen Kostenanstieg (Produktionskosten) verbunden sein.
Sicher ist, die Milchkuhhaltung wird sich mehr und mehr Richtung Außenklima orientieren müssen. Daher sollte man sich früh Gedanken über die betrieblichen Möglichkeiten (Laufhöfe, Weide, Umbaulösungen) machen.
Die Redaktion meint
Die Ziele der Borchert-Kommission waren klar: Tierwohl fördern und die Gesellschaft an den Kosten beteiligen. Leider hat die Politik ihre Chance vertan, der LEH hat sie nun rechts überholt. Mit der Ankündigung auch Milch mit der Haltungsform auszuflaggen, hat der Handel Tatsachen geschaffen. Wer bezahlt für die höheren Standards? Der Kunde an der Ladentheke? Schwer vorstellbar, denn es werden nicht nur höhere Produktionskosten für Milchkuhhalter entstehen. Auch die Logistik der Molkereien (Abholung und Verarbeitung der Warenströme) wird aufwändiger und damit teurer. Eine Studie (ife) geht von Mehrkosten im Schnitt von 9 ct je kg Milch aus. Was bleibt? Ein Appell an die Beteiligten bei den Verhandlungen nicht locker zu lassen und die Zukunft der Milchkuhhaltung aus Marketing-Gründen nicht weiter zu gefährden.
Einen Kommentar zu diesem Thema finden Sie hier:
Der Lebensmittelhandel will künftig nur noch Milch aus Tierwohlställen anbieten. Die Politik lässt sich mal wieder von Aldi, Lidl und Co. vorführen!