Kommentar

Das kolossale Versagen der Politik

Der Lebensmittelhandel will künftig nur noch Milch aus Tierwohlställen anbieten. Die Politik lässt sich mal wieder von Aldi, Lidl und Co. vorführen!

Mehr Tierwohl in Deutschland – der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) knöpft sich gerade die Milchproduktion vor. Der gesetzliche Standard (Haltungsform Stufe 1) reicht dem LEH nicht mehr. Schon bald, spätestens jedoch ab 2030, sollen auf Milchprodukten ausschließlich die Label von Haltungsform 3 (Außenklima) und 4 (Bio) zu finden sein. Damit wären nicht nur die Anbindestall-Betriebe in Deutschland raus, es würde auch ältere Laufstallbetriebe und überbelegte Ställe treffen.
Die Umstellung von Milch Stufe 1 (entspricht QM Standard) auf Stufe 3 (Außenklima) könnte viele Milcherzeuger mehrere Cent/kg Milch kosten. Problematisch ist zudem, dass nach derzeitigem Baurecht viele Landwirte überhaupt keine Genehmigung bekommen, ihre Ställe umzubauen, da völlig unklar ist, wie sich die höheren Tierwohlstandards (Außenklima und Auslauf) mit dem Baurecht vereinbaren lassen.
Droht am Ende ein niedriger Milchpreis?
Die Frage ist, wer letztlich für die neuen Haltungsform-Anforderungen des Handels zahlt: Auch wenn augenscheinlich viele Verbraucher großen Wert auf die Nachhaltigkeit von Fleisch- und Milchprodukten legen, kaufen doch noch viele Menschen immer noch sehr preisbewusst. Benötigt wird künftig also sowohl Milch aus Haltungsstufe 1 (z.B. für 69 Cent) für die preisbewussten Käufer und daneben Milch aus Haltungsstufe 3 (z.B. für 99 Cent) für die nachhaltig orientierten Käufer.
Eigentlich sollten sich Milcherzeuger ja dann aussuchen können, welche Produktionsschiene sie künftig bedienen: Gesetzlicher Standard oder Tierwohl! Doch so einfach scheint es nicht zu sein, denn wenn Fleisch („Gehacktes“) und Wurst ab 2030 mindestes aus Haltungsform 3 kommen sollen, müssen auch die Schlachtkühe in Stufe 3 stehen. Zudem lassen sich die Milchströme nicht so ohne weiteres aufsplitten! Viele Molkereien wären mit den logistischen Anpassungen überfordert oder die Milch-Trennung würde so teuer, dass sie sich erst gar nicht mehr rechnet. Zu befürchten ist deshalb, dass – ähnlich wie bei der Einführung der GVO-freien Milch – die Haltungsstufe 3 auf die gesamte deutsche Milchproduktion ausgerollt wird. Damals hat der LEH die höhere Qualität einfach durchgedrückt. Zahlen die Einkäufer auch künftig nicht für die neue Premium-Milch, führt das unweigerlich dazu, dass die Molkereien die höheren Kosten durch eine Absenkung des Milchpreis kompensieren.

Auch Laufställe mit geöffneten Seitenwänden (Curtains) in Haltungsstufe 3 (Außenklima) wiederfinden. (Bildquelle: Veauthier)

Wenig tröstlich ist, dass die Anhebung des Produktionsstandards Milch auf die Haltungsstufe 3 nicht die Ganz so „teuer“ werden wird wie ursprünglich befürchtet. So sollen sich z.B. moderne Laufställe mit geöffneten Seitenwänden (Curtains) in Haltungsstufe 3 (Außenklima) wiederfinden. Anscheinend hat man beim man LEH bzw. bei der ITW erkannt, dass bei einer sehr restriktiven Auslegung der Haltungskriterien (Laufhof und/oder Weidegang) am Ende der Rohstoff fehlen könnte.
Die Politik hat mal wieder völlig versagt!
Das Ärgerlichste ist jedoch das Versagen der Politik! Aldi und Co machen der Politik kurzerhand vor, was diese jahrelang nicht hinbekommen hat: Einen Plan für eine nachhaltigere Nutztierhaltung zu entwickeln. Das Versagen der Agrarpolitiker ist kolossal. Besonders negativ hervorgetan hat sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Anstatt die Steilvorlage ihres Vorgängers und Parteifreundes Jochen Borchert zu nutzen und ein staatliches Tierwohllabel einzuführen - flankiert mit einem Finanzplan zum Umbau der Tierhaltung - hat sie es (erneut!) dem LEH überlassen, die neuen Produktionsstandards zu setzen. Das reiht sich leider in das Gesamtbild der letzten Jahre ein: Immer wieder mussten Milcherzeuger (Landwirte) sich mit warmen Worten und vagen Absichtserklärungen zufriedengeben. Die Regierenden in Berlin haben ein weiteres Mal unter Beweis gestellt, dass sie nicht in der Lage sind, einen Gesellschaftsvertrag zu erarbeiten. Es ist ihnen nicht gelungen, das Marktumfeld und die Produktionsbedingungen so zu gestalten, dass ein vernünftiges Verhältnis zwischen Aufwand und Entlohnung besteht und somit genügend Motivation geschaffen wird, dass gegenwärtige und künftige Generationen von Milcherzeugern weiterhin mit Freude melken möchten.
Nicht nur die „Großen“ der Politik, sondern auch die Vertreter der Berufsverbände und der Molkereien haben die Zeichen der Zeit viel zu spät erkannt oder sich mal wieder in endlosen Diskussionen versucht gegenseitig auszubremsen. Bestes Beispiel ist die AG Rind der Borchert-Kommission: Bis heute konnten sich die Experten (noch) nicht endgültig auf die Tierwohlkriterien verständigen (Hintergrund sind wohl viele regionale „Befindlichkeiten“).
Retten was noch zu retten ist!
Jetzt müssen die Milcherzeuger versuchen, in Verhandlungen mit dem LEH bzw. der ITW zu retten, was noch zu retten ist. Klar ist: Die allermeisten Milcherzeuger sind durchaus bereit, die neuen Anforderungen umzusetzen – sofern sie sicher sein können, dass sie für ihren Mehraufwand, den sie durch die Umstellung in der Tierhaltung haben, langfristig honoriert werden.
Wie es am Ende ausgeht, vermag derzeit niemand abschätzen. Klar ist nur: Wer mehr Tierwohl zum Nulltarif fordert, wird nur den Strukturwandel weiter kräftig anheizen. Irgendwann wird dann nicht mehr in Deutschland gemolken! Fraglich, ob die Verbraucher sich Milch aus osteuropäischen Ställen wünschen?

Weitere Infos zu diesem Thema:

Der Lebensmitteleinzelhandel plant ab dem nächsten Jahr auch auf Milch die Haltungsform auszuflaggen. Welche Konsequenzen hat das für die Milchbranche?

 
 


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