Frauen und Männer, die einen Milchkuhbetrieb bewirtschaften, beschäftigen sich mit vielen unterschiedlichen Dingen: Von der Produktionstechnik über Vermarktung und Büroarbeit bis zu Emissionsminderung oder Vertragsnaturschutz – es gilt, in allen Bereichen auf dem Laufenden zu bleiben.
Tipps aus der Praxis
Da passiert es leicht, dass aus einem „Man müsste eigentlich mal…“ ein „Passt schon“ wird. Das ist okay, wenn es ums Werkstattaufräumen oder den Kauf eines neuen Schreibtischstuhls geht. Das ist nicht mehr okay, wenn auf einmal die Krankheitsraten im Stall in die Höhe schnellen und die Kühe darunter leiden. Denn Tiergesundheit schwindet schleichend: Hier eine lahme Kuh übersehen, erst zwei Tage später in den Klauenstand geholt, dort eine Frischmelkende mit Ketose nicht beachtet.
Je größer die Betriebe, desto hilfreicher sind technische Hillfsmittel, die Aktivität, Wiederkautätigkeit oder Fresszeiten aufzeichnen.
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano)
Nur, wenn sich Routinen möglichst einfach umsetzen lassen, werden sie auch durchgeführt!
Dr. Andrea Rütz, Tierärztin
Wir haben mit Tierärzten und Betriebsleitern gesprochen und sie nach ihren Tipps gefragt:
1. Routinen einfach halten: „Nur, wenn sich Routinen möglichst einfach umsetzen lassen, werden sie auch durchgeführt“, ist Dr. Andrea Rütz, Tierarztpraxis Kuh-Konzept aus Bayern, überzeugt. Besser, man entscheidet sich für einfache Kontrollen, als dass man sie nach kurzer Zeit entfallen lässt. Instrumente, Medikamente und Werkzeug brauchen ihren festen Platz, sollten schnell zur Hand und leicht sauber zu halten sein. Eine Stalltafel, eine gemeinsame Listen-App oder WhatsApp-Gruppe hilft, dass alle, die im Stall mitarbeiten, informiert sind.
2. Ställe gut einsehbar gestalten: Insbesondere „Risikotiere“ sollten dort untergebracht sein, wo häufig jemand vorbeikommt. Auch Kälber profitieren von gut einsehbaren offenen Boxen, ergänzt Tierarzt Mattias Tepferd (NRW).
3. Kontrolle von anderen Arbeiten abkoppeln: Multitasking ist ein Gerücht. Führt man Aufgaben gleichzeitig durch (z. B. Futter vorlegen und auf Kühe achten, die nicht zum Fressen kommen), wird die Aufmerksamkeit zwangsläufig aufgeteilt. Besser ist es, z. B. die Lahmheitserkennung als festen Termin in den Kalender zu integrieren: „Wir empfehlen, die Tiere alle zwei Wochen in ruhiger Bewegung zu beurteilen, z. B. am Melkstandausgang”, rät Dr. Katharina Grimm, Praxisgemeinschaft für Klauengesundheit.
4. Dreistufiges Handlungsschema nutzen: Ziel ist, auffällige Kühe so schnell wie möglich aufzuspüren und tatsächlich anzuschauen, sagt Dr. Grimm. „Aus jeder Beurteilung muss eine Konsequenz erfolgen. Dazu dient ein einfaches, dreistufiges Schema, das sich neben der Lahmheitserkennung auch auf viele andere Bereiche anwenden lässt“ (Übersicht 1. Die Einteilung mit einer Zwischenstufe verhindert, dass Beobachtende bei Unsicherheit lahme Tiere als „nicht lahm“ deklarieren, um einen höheren Arbeitsaufwand zu umgehen.
Übersicht 1
5. Technische Hilfsmittel nutzen: Je größer die Milchkuhherde, desto hilfreicher sind technische Hillfsmittel, die Aktivität, Wiederkautätigkeit oder Fresszeiten aufzeichnen. Der große Vorteil: Auffälligkeiten werden direkt als Alarmliste ausgespielt und müssen „nur noch“ täglich überprüft werden. „Wir schauen jeden Morgen zu festen Zeiten und sehr konsequent die Listen mit Gesundheitsalarmen und frischmelkenden Kühen durch“, erklärt Fiete Strodthoff-Schneider, Milcherzeuger mit 370 Kühen aus der Wesermarsch (Niedersachsen), „auffällige Kühe werden entsprechend selektiert und systematisch untersucht.“ Als Lohnarbeitsbetrieb ist ihm zudem wichtig, dass ebenfalls klar geregelt ist, wer die Tätigkeiten jeweils ausführt.
6. Risikogruppen unterbelegen: Für eine bessere Übersicht stallt Fiete Strodthoff-Schneider Frischmelker in den ersten 21 Tagen nach der Kalbung in eine eigene Gruppe auf. Diese belegt er lediglich zu 80%.
7. Mitarbeiter schulen: Bei der Arbeit mit Angestellten sind Schulungen, die sofort in der Praxis umgesetzt werden können, ein wichtiges Hilfsmittel, um alle Beteiligten auf dem gleichen Stand und „wach“ zu halten. Dabei helfen einfach verständliche Arbeitsanweisungen (und gutes Vorleben). Tipp: Den Nutzen (z. B. sorgfältig Einstreuen = bessere Kälbergesundheit = weniger Arbeit) für die Mitarbeitenden herausstellen!
Ist der Klauenstand rasch und einfach zur Hand, werden lahme Kühe viel schneller kontrolliert!
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano)
Wir schauen jeden Morgen zu festen Zeiten die Listen mit Gesundheitsalarmen und frischmelkenden Kühen durch.
Fiete Strodthoff-Schneider, Betriebsleiter
8. Genügend Augenpaare vorhalten: Ein ähnliches Konzept wie der größere Lohnarbeitsbetrieb fährt Anton Scheidl (Landkreis Rosenheim, Bayern) auf seinem Familienbetrieb mit 50 Fleckviehkühen. Auch bei ihm besteht die Tiergesundheitskontrolle aus einer Mischung aus festen Abläufen, dem Kennen seiner Kühe und der Datenanalyse seiner Pedometer. „Schwieriger als das tatsächliche Entdecken kranker Kühe ist es manchmal, die Behandlung sofort in die Tat umzusetzen; da stört der innere Schweinehund“, sagt Scheidl und schmunzelt, „aber der Druck der anderen Familienmitglieder, denen das Problem auch auffällt, hilft einem meist schnell auf die Sprünge.“ Bei Familie Scheidl arbeiten neben dem Betriebsleiter- auch das Altenteilerehepaar fest auf dem Betrieb mit, sodass genug Kapazität für „Sonderaufgaben“ zur Verfügung steht.
9. In Vorbeugung investieren: Wichtig ist Anton Scheidl zudem, möglichst vielen Problemen prophylaktisch aus dem Weg zu gehen, z. B. mit einer zusätzlichen Vitamin-D3- und Selengabe an die Frischmelker.
Extra-Tipp: Fakten sammeln!
Wirklich einschätzen, wie es um den eigenen Betrieb steht, lässt sich nur, wenn die Dokumentation stimmt!
„Ich höre häufig: ‚Milchfieberkühe haben wir nicht viele‘“, berichtet Tierarzt Reinhard Burfeindt, kuh-control, „aber auf meine Nachfrage nach der genauen Zahl gibt es dann auch keine Antwort. Besser ist es, Fakten zu sammeln, um dann klare Diagnosen und Entscheidungen zu treffen!“
10. Trockensteher und Jungvieh ebenfalls berücksichtigen: Nicht-melkende Kühe sind manchmal außerhalb aufgestallt. Bewusst in Kontrolle und Prophylaxe einbeziehen!
11. Der neutrale Blick von außen: Im Rahmen einer tierärztlichen Bestandsbetreuung oder durch die Zusammenarbeit mit einem externen Herdenmanagement-Berater ist es möglich, regelmäßig mit einem neutralen Blick auf die eigenen Abläufe zu schauen. „Genauso ‚augenöffnend‘ kann auch der Austausch mit Berufskollegen in Form von Arbeitskreisen sein“, berichtet Herdenmanagement-Berater Matthias Brockmann (Masterrind). „Wir haben z. B. jährlich wechselnde Gruppen von je vier Betrieben. Wir treffen uns quartalsweise, jeder Betrieb ist einmal Gastgeber. Dann vergleichen wir die Kennzahlen und machen einen Betriebsrundgang. Super gegen Betriebsblindheit!“
CHECKLISTE: Was den Praktikern wichtig ist (Auswahl)
| Fütterung: den Kühen homogene, gut gemischte Rationen vorlegen
| Trockensteher-Ration sehr gut durchdenken (evtl. Einsatz saurer Salze, Mengen- und Spurenelementversorgung, …)
| Haltung optimieren (gut gepflegte Liegeboxen, Maßnahmen gegen Hitzestress, …
| Kritische Gruppen unterbelegen (z. B. Transitkühe)
| Einfaches Kontrollschema für auffällige Kühe (z.B. Pansenfüllung, lockere Bauchdecke, Augen und Ohren, Belastung der Klauen und Rückenkrümmung; in den ersten 10 Tagen Fieber messen
| Klares Tränkemanagement bei Kälbern – inklusive Kontrolle, ob die Tiere wirklich ausgesoffen haben (10 Minuten nach Milchgabe), plus Reinigung der Eimer
Tierarztbesuche kosten Geld. Intensive Prophylaxe-Maßnahmen können Geld sparen. Die Zusammenarbeit mit der Tierarztpraxis spielt dabei eine große Rolle.