Deutschlands Moore gehören zu den größten Klimakillern: Sie stoßen mancherorts mehr Treibhausgase aus, als die Industrie. Welche Zukunft hat da die Milcherzeugung?
„Warum muss das Land, das unsere Vorfahren über Jahrhunderte mühsam trockengelegt und in Nutzfläche umgestaltet haben, wieder geflutet werden?“ Der Vorstoß von Umweltpolitikern, die eine Wiedervernässung der Moore fordern, bringt zunehmend mehr Milcherzeuger in Rage – besonders im Nordwesten Deutschlands – dem Nukleus der deutschen Milchproduktion.
Klimaschädliche Moor-Milch?
Die Antwort ist einfach: Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, müssen die Moore einbezogen werden. „Wir haben eigentlich schon jetzt keine Zeit mehr“, erklärte unlängst Bärbel Tiemeyer, Moorforscherin am Johann Heinrich von Thünen-Institut im Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Denn aus deutschen Mooren entweichen jährlich 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Das sind rund 7 % der Treibhausgasemissionen des Landes. In Mecklenburg-Vorpommern soll laut „Spiegel“ mehr als ein Drittel aller Emissionen aus Moorflächen kommen.
Grund für den hohen CO2-Ausstoß ist die Entwässerung. Denn eigentlich sind Moore Kohlenstoffspeicher. Doch seit dem 17. Jahrhundert wurden rund 92 % der Moorböden trockengelegt. Zum einen, um den Torf abzubauen (Brennstoff), aber vor allem, um die Flächen landwirtschaftlich nutzen zu können. Das führt zu weiterer Torfzersetzung und dem Absacken der Moore. „Es ist quasi unmöglich, Milch klimaschädlicher zu produzieren, als auf Moorböden“, glaubt Bärbel Tiemeyer.
Das Problem Moor
Moore sind Feuchtgebiete, in denen sich aus nicht verrottendem Pflanzenmaterial über Jahrtausende eine dicke Torfschicht gebildet hat. Die Moore enthalten genauso viel Kohlenstoff wie die Biomasse in deutschen Wäldern. Intakte Moore sind treibhausgasneutral. Kommt jedoch Torf in Berührung mit Luft (Entwässerung), fangen Mikroorganismen an, ihn zu zersetzen. Dabei werden Treibhausgase frei, die Moorböden lösen sich buchstäblich in Luft auf.
25 % der Milch fallen weg
Die Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten Moorböden ist eine wichtige unverzichtbare Klimaschutzmaßnahme, stellte zuletzt erst Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke klar: „Moorschutz ist ein Kernbereich des natürlichen Klimaschutzes. Hier brauchen wir dringend Fortschritte, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.“
Forscher der Universitäten Greifswald, Rostock sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München haben vor Kurzem berechnet, wie das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens noch zu erreichen ist. Demnach müssten bis 2050 alle deutschen Moorböden komplett wiedervernässt werden, schon bis 2040 über die Hälfte. Unlängst haben sich der Bund und alle 16 Bundesländer darauf verständigt, bis zum Jahr 2030 die jährlichen Mooremissionen um fünf Tonnen CO2-Äquivalent zu senken.
Wir sehen unsere Existenz gefährdet!“
Kristian Schmidt
Direkt davon betroffen ist Kristian Schmidt (59) aus Bad Bederkesa. Die kompletten Grünlandflächen für seine 130 Milchkühe liegen im Moor. „Wir sehen unsere Existenz gefährdet“, berichtet er. Denn bei einer kompletten Vernässung der Flächen wäre keine Bewirtschaftung mehr möglich. Und er ist nicht alleine. Laut Hochrechnungen könnte durch eine Wiedervernässung – wie angedacht – bis zu 25% der deutschen Milcherzeugung wegfallen.
Nur ein bisschen vernässen?
Im Fall einer vollständigen Wiedervernässung würde das, was sich Milchbauern über Generationen aufgebaut haben, buchstäblich ins Wasser fallen. Laut bisherigen Berechnungen müsste mit jedem Hektar wiedervernässtem Moor eine Milchkuh gehen.
In einigen Pilotprojekten wird deshalb untersucht, wie weit die Wasserstände im Moorboden kontrolliert angehoben werden können, damit die landwirtschaftliche Nutzung noch wirtschaftlich ist und ein ausreichender Klimaeffekt erzielt wird. „Die freiwillige Beteiligung der Landwirte in unserem Projekt war zum Start hin eng verbunden mit der Aussicht, die bisherige Bewirtschaftung über Milchkuhhaltung fortzusetzen bzw. mit der Erwartung von Ausgleichszahlungen“, weiß Heike Kruse-Dörgeloh, Geschäftsführerin Kooperation Modellprojekt Gnarrenburger Moor. Doch Forschung braucht Zeit und die Landwirte werden langsam ungeduldig. Seit sechs Jahren läuft das Projekt. Abschließende Ergebnisse zur Klimaschutzrelevanz gibt es bislang leider immer noch nicht.
„Das Problem bei einer Teilvernässung ist außerdem, dass die Futterqualität und -menge auf den Flächen für hochleistende Kühe und eine wirtschaftliche Milchproduktion nicht ausreicht“, weiß Kristian Schmidt. „Der Kompromiss wären nur noch extensive Mutterkühe – aber wer soll das ganze Fleisch dann essen?“ Bei einer Anhebung des Wasserstands bis zur Grasnarbe wäre hingegen nur noch der Anbau von nässetoleranten Kulturen wie Schilf, Rohrkolben oder Torfmoos möglich (Paludikultur). Ob sich geeignete und wirtschaftliche Verfahren zur Ernte, Abtransport sowie Veredelung und Vermarktung des Ernteguts finden, ist völlig ungewiss.
So einfach geht das alles nicht!
Und jetzt? Sicher ist, dass in den deutschen Moor-Regionen nicht alles so bleibt wie es ist. Aber wie eine großflächige Wiedervernässung umgesetzt werden kann, ist noch unklar. Es ist nämlich gar nicht so einfach.
Oftmals gibt es dutzende Eigentümer und Pächter, weil die historischen Siedlerstellen stets nur wenige Hektar umfassen. Während ein Teil mit ausreichender Entschädigung wiedervernässen würde, wehren sich andere dagegen. Ohne ein aufwendiges Flurbereinigungsverfahren scheinen sich die ambitionierten Ziele der Umweltbehörden nicht realisieren zu lassen.
Hinzu kommt, dass standardisierte Methoden fehlen, um entwässerte Feuchtgebiete zu renaturieren. Denn z. B. Hochmoore brauchen regelmäßige Niederschläge. Wo soll das ganze Wasser herkommen? Außerdem muss gewähreistet werden, dass das Wasser nicht abfließt. Erst eine Wasserübersättigung führt zur Vernässung der Moore.
Zudem gibt es unterschiedliche Richtlinien für Naturschutz wie Natura2000 oder die FFH-Richtlinie. Denen zufolge sind bestimmte Arten geschützt – ausgerechnet in Gebieten, die wiedervernässt werden sollen, die ursprünglich in Mooren aber nicht heimisch waren. Der Teufel steckt im Detail.
In Berlin klammert man sich dennoch fest an die Vorstellung, mithilfe der Wiedervernässung den Klimawandel – wenigstens ein bisschen – aufhalten zu können. So hat das Bundesumweltministerium (BMUV) einige Pilotprojekte ins Leben gerufen, die darauf abzielen, trotz Wiedervernässung eine nachhaltige Bewirtschaftung zu ermöglichen. Insgesamt stellt das BMUV 48 Millionen Euro für Pilotprojekte zur Verfügung (2021 bis 2031).
Aber auch wenn Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Pilotvorhaben als klare Bekräftigung der Zusage versteht, dass die landwirtschaftlichen Betriebe mit den Herausforderungen des Moorschutzes nicht alleine gelassen werden, ist absehbar, dass alles auf eine Paludikultur hinausläuft, die Milchproduktion wird verschwinden! Pilotprojekte hin oder her.
Die moorreichen Regionen sind zumeist auch die mit den höchsten Milchkuhdichten.
(Bildquelle: Simon)
Umbau ist gesellschaftliche Aufgabe
Wenn es das erklärte umweltpolitische Ziel der Bundesund der Länderregierungen ist, möglichst viele Moorböden wiederzuvernässen, dann wird es höchste Zeit sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für die Milcherzeuger in den betroffenen Regionen abfedern lassen. Denn die moorreichen Regionen sind zumeist auch die mit den höchsten Milchkuhdichten. Allein in der Wesermarsch werden mindestens zehn Prozent der (zumeist Grünland) Flächen verloren gehen.
Das nimmt einigen Tausend Milcherzeugern ihre Lebensgrundlage. Im Moor stellen sich die großen Fragen der Klimapolitik noch einmal neu. Wie weit soll der Staat beim Klimaschutz gehen? Klar ist auf jeden Fall, dass die Landwirte nicht alleine den Umbau stemmen können; das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! In diesem Sinne ist die Moorwiedervernässung vergleichbar mit dem Kohleausstieg. Dort handelte die Kohlekommission einen Kompromiss aus. Man einigte sich auf einen Ausstiegspfad bis 2038, verbunden mit Entschädigungen und Hilfen für die betroffenen Regionen, die neben Wirtschaftlichkeit auch ein Stück ihrer Identität verlieren.
Die große Unsicherheit
Auch wenn es noch keine konkreten Umsetzungspläne für die Wiedervernässung gibt, hat die Diskussion darum schon Auswirkungen. „Große, zukunftsträchtige Milchkuhbetriebe auf Moorstandorten investieren nicht mehr“, merkt Schmidt an. Die Unsicherheit wie es weiter geht, ist für ihn das Schlimmste. „Arrangieren kann ich mich damit nicht“, erklärt Schmidt resigniert. „Nachdem über Generationen die Flächen gepflegt und nachhaltig bewirtschaftet wurden, kann ich mich nicht damit abfinden, dass da zukünftig nur noch Binsen stehen sollen.“
Deutlich weniger Milch und im Gegenzug höhere Milchpreise – dazu könnte der Green Deals führen. Doch davon profitieren werden am Ende nur einige wenige Milcherzeuger.