Siegfried Pöchtrager ist Professor am Institut für Marketing und Innovation der Universität für Bodenkultur Wien und sagt: Milchbauern haben in den vergangenen Jahren die hohen Einkaufspreise, welche die Futtermühlen durch Corona und den Ukraine-Krieg zu stemmen hatten, mitgetragen. Die sinkenden Preise dieses Frühjahrs wurden aber nur sehr langsam an die Milcherzeuger weitergegeben. Er fordert daher, die Preise für Misch- und Mineralfutter an einem Index, z.B. den Börsenpreisen, zu...
Siegfried Pöchtrager ist Professor am Institut für Marketing und Innovation der Universität für Bodenkultur Wien und sagt: Milchbauern haben in den vergangenen Jahren die hohen Einkaufspreise, welche die Futtermühlen durch Corona und den Ukraine-Krieg zu stemmen hatten, mitgetragen. Die sinkenden Preise dieses Frühjahrs wurden aber nur sehr langsam an die Milcherzeuger weitergegeben. Er fordert daher, die Preise für Misch- und Mineralfutter an einem Index, z.B. den Börsenpreisen, zu orientieren.
„Ein partnerschaftliches Modell kann für sinkende, oder wenigstens berechenbare, Preise sorgen“
Elite: Herr Pöchtrager, wie genau haben sich Corona und der Ukraine-Krieg auf die globalen Rohstoffmärkte ausgewirkt?
Pöchtrager: Auch die Futtermühlen leiden unter der hohen Inflation. Gerade Energie ist in einem Futtermittelwerk wichtig, um die großen Mischer, Schnecken und Mühlen anzutreiben oder um Dampf zu erzeugen. Dazu kommen die gestiegenen Einkaufspreise: Russland und auch die Ukraine haben 2020/21 noch knapp 30% der weltweiten Weizenexporte gestellt, bei Sonnenblumenöl sogar 65%. Russland hat zudem viel Öl zur Energieversorgung beigetragen. Weil das Angebot zurückgegangen ist, sind die Preise deutlich angestiegen. Und das zieht sich bis heute: Weil sich Prognosen und politische Rahmenbedingungen ständig ändern, ist der Preis für Rohstoffe an den Weltmärkten immer noch extrem volatil.
Elite: Welche Folgen hat das?
Pöchtrager: Die Hersteller kaufen Ware nur noch sehr kurzfristig ein. Zwar gibt es auch größere Werke, die mehr Lagerkapazitäten vorweisen können, doch länger als zwei bis drei Wochen kauft gerade niemand mehr im Voraus. Die Schwankungen sind so groß, dass zum Teil Verluste von bis zu 15 Euro pro Tonne und Tag auftreten, wenn der Einkäufer einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Und weil gerade alles so „aufgeheizt“ ist, traut sich auch niemand, häufiger als sonst eine Preisabfrage zu stellen – das könnte den Eindruck vermitteln, man würde der Ware „hinterherlaufen“. Alles in allem gilt in der Futtermittelbranche mittlerweile noch stärker als jemals zuvor: Wissen ist Macht. Es ist gerade sehr viel Spekulation am Markt.
Durch die immer volatileren Märkte werden zwei Dinge preisbestimmend: Die Lagerkapazitäten der Futtermühlen und die Ertragsschätzung für die kommende Ernte.
Siegfried Pöchtrager, Universität Wien
Elite: Gehen die Futtermittelpreise jetzt nur noch in eine Richtung – nach oben?
Pöchtrager: Nein. Dieses Frühjahr gab es z.B. auf einmal zollfreie Ausfuhren aus der Ukraine und ein Überangebot am Markt. Das hat die Einkaufspreise für die Futtermittelwerke abgesenkt. Die Getreideernte in Deutschland ist durchwachsen, in Österreich sind die Erträge heuer sehr gut und übertreffen zum Teil die Erwartungen. Es gibt weiter Hochs und Tiefs, allerdings nicht mehr vorhersehbar und mit größeren Schwankungen als früher.
Elite: Wie sollten Milcherzeuger in Deutschland und Österreich nun auf die veränderte Situation reagieren?
Pöchtrager: Kein Milchbauer hat die Zeit, die Märkte so intensiv zu beachten, dass er allein den optimalen Kaufzeitpunkt findet. Gleichzeitig bezahlt man unter Umständen zu viel, wenn man sich allein auf den aktuellen Preis des Futterwerks bzw. ein bis zwei Vergleichsangebote verlässt. Ich denke daher, dass es Zeit wäre für ein neues Preismodell: Milchbauern müssen die zum Teil unvermeidbar hohen Einkaufspreise der Futtermittelwerke mittragen. Im Gegenzug sollten sie aber auch schneller als bisher von sinkenden Einkaufspreisen der Futtermittelwerke profitieren.
Elite: Wie stellen Sie sich das vor?
Pöchtrager: Milcherzeuger sollten weg vom günstigsten Vergleichsangebot und hin zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit langfristigen Lieferbeziehungen. Ein Milcherzeuger (oder ein Zusammenschluss mehrerer in Form einer Einkaufsgemeinschaft) schließt einen Liefervertrag mit einem Futtermittelwerk bzw. -händler über mehrere Monate, wenigstens ein halbes Jahr. Der Preis orientiert sich dabei an einer Referenzzahl, z.B. dem Börsenpreis in Wien. Dazu kommt ein Betrag für die Produktion des Mischfutters selbst. Ist der Einkaufspreis günstig, sinkt auch der Preis für das Futtermittel. So tragen beide gemeinsam das Risiko, profitieren aber schneller von sinkenden Preisen.
Milchbauern sollten selbst Verträge aushandeln, um überzogene Preise zu verhindern.
Prof. Siegfried Pöchtrager, Universität Wien
Elite: Wieso sollten Privatunternehmen sich ein solches Vertragsmodell „vorschreiben“ lassen?
Pöchtrager: Auch für privatwirtschaftliche Mischfutterwerke wird die Luft dünner: Die Anzahl der Betriebe nimmt ab, die verbleibenden kämpfen durch den ihrerseits hohen Kostendruck mit harten Bandagen. Eine partnerschaftlich gedachte „Win-Win-Situation“ mit Preistransparenz für alle kann auch diesen Unternehmen den Fortbestand sichern und künftig weitere Zuwächse generieren. Wer nicht offen gegenüber Veränderungen ist, bleibt irgendwann auf der Strecke.
Elite: Als Einkaufsgemeinschaft direkt beim Werk einkaufen – das ist ja nicht unbedingt eine neue Idee und hat oft nicht geklappt. Warum sollte es dieses Mal funktionieren?
Pöchtrager: Das klappt nur, wenn die Zahlen offen auf dem Tisch liegen. Weil abzusehen ist, dass sich viele Futtermühlen darauf nicht einlassen würden, geht der Weg über eine Referenzzahl. Wir brauchen noch mindestes drei bis fünf Jahre, bis der Markt sich wieder stabilisiert hat. Und auch danach werden die Herausforderungen für die Futtermittelindustrie nicht abreißen. Milcherzeuger sollten jetzt aktiv werden, um die Kosten in Zukunft berechenbarer zu gestalten.
Elite: Vielen Dank für Ihre Einschätzung!
Zum Weiterschauen: Ein paar Zahlen
Die Milchleistung ist auf vielen Betrieben in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Doch ist der letzte Liter Milch immer rentabel?
Die meisten Milcherzeuger betrachten ihre Kosten rückwirkend. Doch wie kann man vorgehen, um „näher dran“ zu sein? So gelingt der Einstieg!