Mit der Einführung des „Tierwohlversprechen“ mischen die großen Handelsketten des LEH nicht nur den Fleischmarkt auf, sondern ab demnächst auch den für Molkereiprodukte. Denn das Haltungsformsystem des Handels ist inzwischen zum Standard beim Tierwohl avanciert (u.a. auch, weil sich die Bundesregierung nicht auf die Umsetzung der von der Borchert-Kommission ausgearbeiteten Empfehlungen bzw, auf die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels einigen konnte).
Handel definiert neue...
Mit der Einführung des „Tierwohlversprechen“ mischen die großen Handelsketten des LEH nicht nur den Fleischmarkt auf, sondern ab demnächst auch den für Molkereiprodukte. Denn das Haltungsformsystem des Handels ist inzwischen zum Standard beim Tierwohl avanciert (u.a. auch, weil sich die Bundesregierung nicht auf die Umsetzung der von der Borchert-Kommission ausgearbeiteten Empfehlungen bzw, auf die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels einigen konnte).
Handel definiert neue „Standards“ – Molkereien müssen nachziehen
Bereits vor rund einem Jahr haben sich die Großen des LEH darauf verständig, neben Frischfleisch auch Milch und Milchprodukte ab 2022 mit der vierstufigen Haltungsformkennzeichen zu kennzeichnen. Je höher die Stufe, desto höher soll das Tierwohl sein:
- Haltungsform 1 entspricht dem gesetzlichen Standard.
- Haltungsform 2 (Stallhaltung plus): Die Standards gehen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Eine ganzjährige Anbindehaltung ist nicht mehr möglich, jedoch ist eine Kombinationshaltung mit Weide bzw. Laufhof erlaubt.
- Haltungsform 3 (Außenklima): Tiere müssen Zugang zum Außenklima haben, sei es über einen Laufhof oder Weide. Auch Offenfrontställe fallen unter diese Stufe. Tiere erhalten GVO-freies Futter.
- Haltungsform 4 (Premiumstufe): Hier werden Haltungsformen einsortiert, die den Anforderungen der europäischen Öko-Verordnung oder Vergleichbarem entsprechen.
Erwartet wird, dass der Lebensmittelhandel sich schnellstmöglich von der Haltungsform Stufe 1 (gesetzlicher Standard) verabschieden will. Die Ankündigungen von Aldi und Rewe, ab 2030 bei Frischfleisch nur noch die Haltungsform 3 und 4 zu listen, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Milchbranche. Nicht nur weil Rindfleisch zu ca. 40% von Milchkühen stammt, stehen die Molkereien unter großem Druck, ihre Rohstofflieferanten entsprechen den Kriterien der Haltungsform zu zertifizieren. Schließlich beträgt der Eigenmarkenanteil (Handelsmarken) bei Molkereiprodukten bei den LEH-Unternehmen bis zu 80 %.
1,5 Cent mehr QM+
Gerade noch rechtzeitig scheinen sich die Milchverarbeiter mit dem LEH darauf verständigt zu haben, dass das bestehende Programm zum Qualitätsmanagement Milch (QM-Milch) mit der Haltungsform 2 abgeglichen werden kann. Allerdings musste die Milchindustrie dazu QM Milch „updaten“. So wird das Zusatzmodul QM+ als Ergänzung zum QM Standard eingeführt. Milcherzeuger, welche die zusätzlichen Anforderungen von QM+ erfüllen, können diese Milch für die Erzeugung von Produkten gemäß der Haltungsform 2 des Lebensmitteleinzelhandels vermarkten.
Wichtig: Milcherzeuger, welche sich erfolgreich nach dem Zusatzmodul QM+ auditieren lassen, werden künftig einen Tierwohlaufschlag erhalten. Wie hoch dieser ausfällt, ist noch unklar. Spekuliert wird über einen Zuschlag in Höhe von 1,5 Cent.
Bestandsbetreuung, Antibiotikamonitoring und zusätzliche Audits
Erste Details zum neuen QM+ wurden kürzlich veröffentlicht. Die wichtigsten Details:
- Alle Kälber, Trockensteher und Laktierende müssen auf dem Betrieb unter QM+-Bedingungen gehalten werden.
- Auditierung/Kontrollintervalle: Die neutrale Überwachung und Zertifizierung der Milcherzeugerbetriebe wird durch unabhängige Zertifizierungsstellen zweimal innerhalb von drei Jahren durchgeführt (alle 18 Monate). Zudem sind unangekündigte Audits möglich.
- Tierärztliche Bestandsbetreuung: Jeder Milcherzeuger hat seinen Bestand durch einen Tierarzt betreuen zulassen. Dabei sollten Grundfutteranalysen, Rationsberechnungen und Tränkwasseranalysen berücksichtigt werden.
- Antibiotikamonitoring. Die Teilnahme am Antibiotikamonitoring ist Pflicht.
- Schlachtbefunddaten: Die Teilnahme am Schlachtbefunddatenprogramm ist ebenfalls Pflicht. Die Befunderhebung erfolgt nach den Vorgaben des QS-Leitfadens Befunddaten in der Rinderschlachtung.
- Fortbildung: Ein verantwortlicher Mitarbeiter des Milcherzeugerbetriebes (z.B. Herdenmanager, Betriebsleiter) muss einmal je Kalenderjahr an einschlägigen, fachspezifischen Weiterbildungsmaßnahmen zur Rinderhaltung teilnehmen. Hierüber sind entsprechende Nachweise zu führen.
- Anbindehaltung: Sofern die Tiere in Anbindung gehalten werden, müssen sie sich an mindestens 120 Tagen im Jahr mindestens zwei zusammenhängende Stunden pro Tag bewegen können. Die Bewegung kann durch Weidegang, durch Zugang zu einem Laufhof oder auch durch Zugang zu einer Bewegungsbucht erreicht werden. Die Bewegungsfläche muss pro Tier mindestens 4,5 m2 betragen und aus einer mindestens 16 m2 großen, zusammenhängenden Fläche bestehen.
- Laufstallhaltung: Es müssen alle Tiere gleichzeitig liegen können, d.h es muss jedem Tier eine Liegebox zur Verfügung stehen (Tier-Liegeplatzverhältnis 1:1). Eine Überbelegung am Audittag bis 10 % ist zulässig. In einem Laufstall ohne Liegeboxenmuss die uneingeschränkt nutzbare Fläche (Liege- und Lauffläche) mindestens 4 m2/Tier betragen.
- Liegefläche: Allen Tieren müssen weiche oder elastisch verformbare Liegeflächen zur Verfügung stehen. Die Verwendung von Einstreu ist ebenso zulässig wie die Verwendung von weichen Unterlagen (z. B. Gummimatten). In Liegeboxenlaufställen müssen alle Liegeboxen mit einer weichen Unterlage ausgestattet sein.
- Hygiene: Alle Tiere müssen sauber sein. Verfärbungen und Verschmutzungen müssen auf ein Mindestmaß begrenzt werden, außerdem müssen grobe Verschmutzungen wie z.B. starke Anhaftungen von Kot vermieden werden. Es dürfen nicht mehr als 10 % der Tiere (in Betrieben mit bis zu 25 Tieren max. 3 Tiere) verschmutzt sein und eine starke Klutenbildung im Fell aufweisen (Hygienescore).
- Eutergesundheit: Mindestens 55 % der Kühe müssen weniger als 100.000 Zellen/ml Milch aufweisen. Wird dieser Wert nicht erreicht, muss der Betrieb in Absprache mit seinem betreuenden Tierarzt Maßnahmen einleiten.
- Abkalbebucht: Alle Färsen und Kühe müssen entweder auf der Weide oder separat im Stall abkalben können. Im Stall müssen pro Kuh mindestens 10 m2 weiche Liegefläche zur Verfügung stehen.
- Kälberhaltung: Kälber müssen innerhalb der ersten vier Lebensstunden Kolostralmilch angeboten bekommen. Jedes Kalb muss täglich mindestens zweimal gefüttert werden. Kälbern ist spätestens ab dem achten Lebenstag Raufutter oder sonstiges rohfaserreiches, strukturiertes Futter zur freien Aufnahme anzubieten sowie ist jedem über zwei Wochen alten Kalb jederzeit Zugang zu Wasser in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung zu stellen. Kälber dürfen bis zu einem Alter von zwei Wochen nur in Einzelbuchten gehalten werden, die innen mindestens 120 cm lang, 80 cm breit und 80 cm hoch sind. Kälber über acht Wochen dürfen nur in Gruppen gehalten werden (6 m² Mindestbodenfläche pro Tier).
Der Lebensmittelhandel will künftig nur noch Milch aus Tierwohlställen anbieten. Die Politik lässt sich mal wieder von Aldi, Lidl und Co. vorführen!
Alles nur halb so wild?
Dank der neuen Übereinkunft können viele Milcherzeuger ihre Herden (Ställe) ohne größeren Aufwand in Haltungsform 2 einstufen lassen. Wenn für die QM+ Milch dann tatsächlich auch ein entsprechender Zuschlag gezahlt wird, ist das wichtiges Zeichen (höherer Standard wird nicht mehr einfach so eingepreist). Allerdings fällt der kolportierte Zuschlag von 1,5 Cent noch deutlich zu gering aus! Ein Mehr an Tierwohl ist für diesen Preis auf Dauer nicht zu haben.
Zudem ist ja auch noch gar nicht sicher, dass die1,5 Cent überhaupt beim Milcherzeuger ankommen. Denn die Molkereien werden gar nicht umhin kommen, einen zweiten Milchstrom (QM+) einzurichten. Das kostet! Wahrscheinlich mehr als 1,5 Cent pro Liter.
So richtig ernst wird es dann in einigen Jahren, sofern der LEH ernst macht und dann nur noch Milch bzw. Milchprodukte aus Haltungsform 3 zulässt. Das wird teuer. Man darf gespannt sein, wie viele Erzeuger bzw. Molkereien dann noch mitziehen werden. Je höher der Tierwohl-Zuschlag, desto höher dürfte dann auch die Akzeptanz ausfallen.
Weitere Infos unter
https://qm-milch.de/
Aldi Süd und Nord fordern von der Bundesregierung einen „Haltungswechsel“. Die Forderungen klingen so, als wären sie dem Wahlprogramm der Grünen entnommen worden.