Wann soll ich anfangen die Kuh zum ersten Mal nach der Kalbung zu besamen? Wie viele Tage der „optimalen“ Zwischenkalbezeit entsprechen, steht oft in Diskussion. Erst wenige Milcherzeuger trauen sich den Schritt und verlängern die Zwischenkalbezeit. Es gibt viele Aspekte die sowohl für als auch gegen eine späte Besamung sprechen. Wir haben mit einer „Befürworterin“ und einem „Gegner“ der verlängerten Zwischenkalbezeit gesprochen und nach ihren praktischen Erfahrungen gefragt:
Ihre Hauptargumente für die verlängerte Zwischenkalbezeit sind:
- Weniger Arbeit und mehr Verbraucherakzeptanz
- Reduzierte Risiken durch weniger Kalbungen
- Keine hohen Leistungen zum Trockenstellen
- Weniger Kälber: niedrige Erlöse und hohe Aufzuchtkosten
Seine Argumente gegen die Verlängerung der Zwischenkalbezeit sind:
- Bessere Futtereffizienz zu Beginn der Laktation
- Stoffwechselprobleme durch fette Kühe
- Geringere Milch- und Fruchtbarkeitsleistung in Folge der Stoffwechselprobleme
- Verringerung der wirtschaftlichen Stabilität des Betriebes
Pro: Weniger Arbeit und mehr Verbraucherakzeptanz
Wir haben mit Maraike Storm gesprochen. Sie ist Herdenmanagerin bei dem Milchkuhbetrieb von Marcus Rohwer und betreut 240 Holsteinkühe. Seitdem sie für das Fruchtbarkeitsmanagement auf dem Betrieb zuständig ist, verlängert sie die Zwischenkalbezeit mit Erfolg.
Elite: Als Herdenmanagerin hast du die verlängerte Zwischenkalbezeit eingeführt. Was hat dich dazu bewegt?
Maraike Storm: Wie auf vielen Milchkuhbetrieben haben wir meistens mehr Arbeit als Zeit. Jede Transitkuh kostet viel Arbeit und Zeit. Deshalb ist es schon alleine aus rein arbeitstechnischer Sicht sinnvoll, durch weniger kalbende Kühe Arbeit einzusparen. Denn in der Zeit, in der ich mich um eine kranke Kuh kümmere, kann ich 20 Gesunde versorgen. Unser Ziel ist es die Kühe mit maximal 25 Litern trocken zu stellen. In der Vergangenheit wurden bei uns einige Kühe mit rund 30 Litern trocken gestellt. Seitdem wir das nicht mehr machen, ist die Neuinfektionsrate in der Trockenstehphase gesunken.
Außerdem ist es für mich wichtig, dass die Milcherzeugung die Wünsche der Verbraucher versucht abzudecken. Sie sehen es nicht gerne, wenn die Kuh jedes Jahr ein Kalb bekommt. Daher müssen wir die Zwischenkalbezeit verlängern. Es hat aus meiner Sicht auch Vorteile für die Tiergesundheit: Jede Kalbung bedeutet ein Risiko für die Kuh. Mit einer Verlängerung der Zwischenkalbezeit entzerren wir den Abstand zwischen den risikoreichen Transitphasen.
Elite: Wie sieht euer Konzept bei der Verlängerung der freiwilligen Wartezeit aus?
Maraike Storm: Wir entscheiden tierindividuell, ob die Zwischenkalbezeit verlängert wird. Das hängt vor allem von der Leistung der Tiere ab. Wann wir die Kühe das erste Mal nach der Kalbung besamen, berechnen wir wie folgt: Peak-Leistung (bzw. die Leistung der zweiten MLP) x 2. Wichtig ist dabei, dass man bei tendenziell schnell fett werdenden Kühen die Rastzeit nicht verlängert. Ich nehme mir dafür die BCS-Entwicklung der letzten Laktation sowie die Werte zur Persistenz als Entscheidungshilfe. Bei Kühen die in der vorherigen Laktation früh an Milch verloren und in Folge dessen fett angesetzt haben, wird die freiwillige Wartezeit nicht verlängert. Dieses Konzept ist bei unserer Herd erfolgreich. Durch die tierindividuelle Entscheidung und das sammeln der Daten haben wir selten Probleme, dass Kühe durch die längere freiwillige Wartezeit am Ende verfetten. Dafür ist eine hohe Leistung wichtig.
Elite: Wo siehst du Schwachstellen bei dem Konzept?
Maraike Storm: Die größte Kunst ist es, herauszufinden welche Kühe zur Verfettung tendieren und wie gut die Persistenz ist. Das sind Werte die man auf jeden Fall für ein erfolgreiches Umsetzen der verlängerten Zwischenkalbezeit benötigt und die einige Milcherzeuger nicht haben. Wenn man diese nicht hat, ist die Entscheidung blind getroffen und es kann zu schwerwiegenden Stoffwechselproblemen durch Verfettung kommen. Solche Kühe kriegt man beim nächsten Mal nur schwer wieder tragend. Daher muss man anhand von Daten für jedes Tier entscheiden, ob die Zwischenkalbezeit verlängert wird.
Elite: Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung der verlängerten Zwischenkalbezeit auf den Milchkuhbetrieben ein?
Maraike Storm: Ich schätze die Verlängerung der Zwischenkalbezeit als überaus sinnvoll ein. Wir haben in der gesamten Agrarbranche Arbeitskräftemangel. Wenn die Kühe weniger Kälber bekommen, bedeutet das auch weniger Arbeit. Außerdem müssen wir aus gesellschaftlicher Sicht weg von der Masse und Hormonbehandlungen und hin zu einzeltierbezogenen Entscheidungen. An die Verlängerung der Zwischenkalbezeit sollte man sich daher vorsichtig herantasten., dabei aber nichts überstürzen. Die Umstellung dauert mehrere Jahre.
Contra: Mehr Milch und bessere Wirtschaftlichkeit
Außerdem haben wir mit Sönke Hinnemann geredet. Er ist Herdenmanagementberater bei der Masterrind und ist gegen die verlängerte Zwischenkalbezeit. Auswertungen von seinen Beratungsbetrieben zeigen, dass eine niedrige Zwischenkalbezeit wirtschaftlicher ist.
Elite: Die verlängerte Zwischenkalbezeit wird in der Praxis, wie auch in vielen Fachmedien diskutiert. Was empfiehlst du deinen Beratungsbetrieben diesbezüglich?
Sönke Hinnemann-Weilinghoff: Für mich ist die Verlängerung der Zwischenkalbezeit ein absolut theoretisches Model. Es setzt voraus, dass man beim Besamungsbeginn weiß, welche Milchmenge die Kuh zum Trockenstellen hat. Dafür muss der Milcherzeuger wissen, wie die Persistenz seiner Herde ist. In den Auswertungen unseres MASTER-Benchmarks sehen wir aber, dass die Persistenz einer Herde von vielen Faktoren wie z.B. der Fütterung (Teil-TMR/Voll-TMR; Altmelkerration), Melksystem, Haltungssystem (Hoch- oder Tiefbox), Tier: Fressplatz-Verhältnis und weitere, vom Management beeinflussbare Aspekte, abhängt. Zudem wird sie maßgeblich durch Grundfutterqualitäten beeinflusst. So wurde die Persistenz vieler Herden durch den ersten Schnitt 2021 verschlechtert.
Hitzestress wirkt sich ebenfalls negativ aus. Ein weiterer Aspekt ist für mich muss der Betrieb und somit auch die Kühe wirtschaftlich sein. Fakt ist: Die Kühe sind in den ersten 100 Laktationstagen so profitabel wie nie, da die Futtereffizienz am höchsten ist. Aus einem Kilogramm Futter wird hier am meisten Milch produziert. Deshalb ist es erstrebenswert, eine Herde mit durchschnittlich wenigen Laktationstagen zu halten.
Elite: Welche Erfahrungen hast du auf Praxisbetrieben mit verlängerter Zwischenkalbezeit gemacht?
Sönke Hinnemann-Weilinghoff: In der Praxis sehe ich vor allem eine, meiner Meinung nach auch die schlimmste Folge: Das sind fette Kühe. Selbst wenn die Herde eine hohe Persistenz hat, besteht die Gefahr, dass die Kühe am Ende der Laktation wenig Milch geben und die Futterenergie in Fettreserven anstatt in Milch stecken. Folgen sind starke Stoffwechselprobleme zu Beginn der nächsten Laktation. Das kostet den Milcherzeuger nicht nur im akuten Krankheitsfall viel Geld, sondern kostest auch während der gesamten Laktation viel Milch, eine reduzierte Fruchtbarkeitsleistung und eine schlechtere Euter- und Klauengesundheit. Desweitern sind Stoffwechselprobleme zu Beginn einer Laktation der Hauptauslöser für unfreiwillige Abgänge innerhalb der ersten 90 Tage nach der Kalbung. Diese Minderleistungen spiegeln sich in den Betriebsauswertungen dann direkt wieder. Beides Dinge, die es zu verhindern gilt, wenn ein Betrieb wirtschaftlich arbeiten will.
Elite: Welches Ziel sollte ein Milchkuhbetrieb deiner Meinung nach bei der Zwischenkalbezeit haben?
Sönke Hinnemann-Weilinghoff: Meine Empfehlung ist eine Zwischenkalbezeit von unter 400 Tagen zu erreichen. Alles andere kostet wertvolles Futtergeld. Und das, wo auch die Zukaufs- und Grundfutterkosten dieses Jahr deutlich steigen werden, bedingt durch die allgemein bekannten Faktoren. Zahlen, Daten und Fakten sind entscheidend für ein gutes Fruchtbarkeitsmanagement. Daher sollten die Daten regelmäßig ausgewertet werden, um notfalls Anpassungen zu machen.
Elite: Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung der verlängerten Zwischenkalbezeit auf den Milchkuhbetrieben ein?
Sönke Hinnemann-Weilinghoff: Ich denke, dass Betriebe weiterhin ein solches Managementsystem für ihre Herdenfruchtbarkeit ausprobieren, da die Pro-Argumente im ersten Moment attraktiv erscheinen. Man muss sich aber dann bewusst sein, dass die Futtereffizienz der Herde sinkt und somit auch der Futterkostenblock nicht kleiner, sondern eher größer wird. Desweiteren steigt der Anspruch an das Frischkalber-Management in der Folgelaktation. Die verkaufte Milch pro Kuh und Jahr wird bei einer verlängerten Zwischenkalbezeit nicht unbedingt steigen. Das alles sind Faktoren, welche maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Stabilität eines Milchviehbetriebes haben.
Das könnte Sie außerdem interessieren:
Praxistipps für den Weg zu längeren Laktationen: Den Film und die beantworteten Zuschauerfragen zum Stallgespräch „Laktationen bewusst verlängern“ sowie eine Bildergalerie zum Drehtag finden Sie jetzt hier.
Die Reproduktion als Motor der Wirtschaftlichkeit! Die Fruchtbarkeit Ihrer Herde hat großen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Sie können Kosten einsparen, indem Sie diesen Bereich optimieren.
Die Reproduktion im Blick behalten: Wie fruchtbar sind meine Kühe, was kann ich verbessern und wo möchte ich hin? Ein Überblick über wichtige Kennzahlen und Tipps zum Reproduktionsmanagement.