Zucht

Holsteins: Steile Beine vs. Spastische Parese 

Sind die Hinterbeine nur sehr steil oder leidet die Kuh unter Spastischer Parese oder Krämpfigkeit? Ein Blick auf Krankheitsbilder und mögliche Zusammenhänge. 

Derzeit zeigt sich ein deutlicher Trend zu steilen Hinterbeinen bei Holsteins, sowohl auf weiblicher als auch männlicher Seite. Ebenso wie stark gewinkelte Hinterbeine können sehr steile Beine Kühe in ihrer Bewegung einschränken, was sich wiederum negativ auf die Nutzungsdauer auswirken kann. Gleichzeitig treten immer wieder Fälle extrem gestreckter, geschwollener und kaum belastbarer Hinterbeine auf, die auf die Erkrankungen „Bovine Spastische Parese“ oder „Krämpfigkeit“ hindeuten. Betroffene Rinder und Kühe sind meistens stark eingeschränkt und gehen frühzeitig ab. 
  • Inwiefern unterscheiden sich (zu) steile Beine, Krämpfigkeit und Spastische Parese?
  • Sind steile Beine der Auslöser für spastische Erkrankungen? 
  • Ist das Auftreten Spastischer Parese genetisch bedingt? 
  • Wie verbreitet sind zu steile Hinterbeine wirklich? 

Spastische Parese aüßert sich beim erwachsenen Tier in einem geschwollenen Sprunggelenk und einem steif gestreckten Hinterbein, welches häufig gar nicht bis nur geringfügig belastet wird.  (Bildquelle: Masterrind)

Wie zeigt sich Spastische Parese? 

Die Erkrankung „Spastische Parese“ (= Stelzfuß oder Stuhhlbeinigkeit) äußert sich beim erwachsenen Tier in einem geschwollenen Sprunggelenk und einem steif gestreckten Hinterbein, welches häufig gar nicht bis nur geringfügig belastet wird. Anders als in der Praxis oftmals vermutet, ist die Ursache hierfür jedoch nicht die genetisch bedingte steile Hinterbeinwinkelung. Vielmehr sei eine dauerhafte ein- oder beidseitige Kontraktion der Unterschenkelmuskulatur der Auslöser. Sie führt zu einem kontinuierlichen Krampfzustand in der Achillessehne, und dazu, dass der Fersenhöcker im Verlauf der Erkrankung immer weiter hochgezogen und das Sprunggelenk dadurch in eine dauernde, extreme Streckstellung gebracht wird. 
Während in der Jungtierphase häufig nur eine steile Hinterbeinwinkelung an einem bzw. an beiden Sprunggelenken zu beobachten ist, versteift sich das Bein im Laufe der Erkrankung zunehmend, sodass es beim erwachsenen Tier nur noch ungebeugt in einer halbkreisförmigen Art nach vorne geführt werden kann.
In vielen Fällen tritt die Spastische Parese zunächst nur an einem Hinterbein auf. Sind beide Hinterbeine betroffen, zeigt sich nicht nur die Fortbewegung deutlich verändert, sondern auch das Standbild des Tieres. Klassischerweise schieben beidseitig erkrankte Tiere ihre Hinterbeine im Stand unter den Schwerpunkt des Körpers, wölben ihre Rücken auf und halten den Schwanz ab. Hinzukommt häufig ein „Schwanken“, vermehrtes Liegen sowie Körpermasserverlust. 

Wie zeigt sich Krämpfigkeit? 

Ähnliche Symptome sind auch bei der Krämpfigkeit (“Bovine Spastische Syndrom“) zu beobachten. Hierbei handelt es um eine chronisch fortschreitende, neuromuskuläre Erkrankung, die bei allen Rinderrassen wiederzufinden ist. Auch sie äußert sich in einem steifen Gangbild und einer extremen Streckstellung des betroffenen Hinterbeines. Ebenso wie bei der Spastischen Parese beruht dieses Gangbild auf ein- oder beidseitigen Krampfzuständen der Hinterbeinmuskulatur. 
Anders als bei der Spastischen Parese betreffen diese Krampfzustände jedoch nicht nur andere Hinterbeinmuskelareale, sondern treten zudem auch nur temporär auf. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass krämpfige Tiere keine dicken Sprunggelenke aufweisen, sie jedoch ein deutliches Zittern beim Ablegen und Aufstehen zeigen. Abrupte Ablegevorgänge sowie ein erschwertes, zittriges Aufstehen sind typisch. 
Neben dem klinischen Erscheinungsbild gibt es auch Unterschiede im Auftrittsalter. Während sich die Frühform Spastischer Parese in den ersten Lebenswochen bis zu einem Alter von acht Monaten und die Spätform in einem Alter zwischen zwei und sechs Jahren zeigt, ist die Krämpfigkeit in der Regel erst zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr zu beobachten. 

Während in der Jungtierphase ist häufig nur eine steile Hinterbeinwinkelung an einem bzw. an beiden Sprunggelenken zu beobachten. (Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)

Sind steile Beine die Ursache? 

Woran erkennt man erkrankte Tiere eindeutig? Klassisch weisen erkrankte Tiere nicht nur ein deutlich verdicktes Sprunggelenk, sondern auch einen deutlich steileren Hinterbeinwinkel und einen wenig raumgreifenden und hölzernen Bewegungsablauf auf. Bei der linearen Beschreibung erhalten spastisch erkrankte Tiere im Durchschnitt schlechtere Noten in der Bewegung, im Hinterbeinwinkel und im Sprunggelenk als gesunde Tiere. 
Erste Vergleiche zwischen gesunden und erkrankten Tieren zeigen, dass das Bewegungsverhalten erkrankter Tiere im Mittel mit rund 2,5 Punkten, die Hinterbeinwinkelung mit rund 3,5 Punkten und die Klarheit des Sprunggelenks mit rund 2,2 Punkten weniger gegenüber gesunden Tieren bewertet wird. Darüber hinaus kann eine kuhhessige Hinterbeinstellung und ein deutlich steilerer Klauenwinkel gegenüber gesunden Stallgefährtinnen beobachtet werden (siehe Tabelle 1). 
Tabelle 1: Durchschnittliche Einstufungsergebnisse von an Spastischer Parese erkrankten und nicht erkrankten Tieren (vit 2021). 

Diese Unterschiede zeigen sich nicht nur in den Leistungsprüfungsergebnissen, sondern auch in den genomischen Zuchtwerten erkrankter und gesunder Tiere. Insbesondere die genomischen Zuchtwerte für die Hinterbeinwinkelung, Sprunggelenkstellung und des Klauenwinkels zeigen deutliche Differenzen (siehe Tabelle 2). 
Tabelle 2: Durchschnittliche genomische Zuchtwerte von an Spastischer Parese erkrankten und nicht erkrankten Tieren (vit 2021). 

Vorkommen in der Praxis 

Obgleich die Spastische Parese derzeit viel diskutiert wird, zeigen vit-Auswertungen aus 2021, dass nur rund 0,54 % aller Tiere im Masterrind-Zuchtgebiet an einer Spastischen Parese leiden. Diese Zahl sieht zunächst einmal sehr gering aus, sei jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die Dunkelziffer betroffener Tiere ist wahrscheinlich größer. Grund hierfür ist die Tatsache, dass einige Tiere bereits vor ihrer Nachzuchtbewertung vom Betrieb abgehen und somit gar nicht als erkrankt identifiziert und offiziell gemeldet werden. Zum anderen führt der Umstand, dass die Spastische Parese auch erst in einem späteren Alter sichtbar auftreten kann, dazu, dass zum Zeitpunkt der Klassifizierung das Tier zunächst als gesund gemeldet wird und erst später sichtbar daran leidet. 
Ist ein Tier von Spastischer Parese betroffen, sollte ein Einsatz in der Zucht ausgeschlossen werden. Grund hierfür ist, dass eine Vererbung der Spastischen Parese bis heute nicht ausgeschlossen werden kann. Schwach erkrankte Tiere sollten optimalerweise auf einer Weide und nach Möglichkeit nicht auf rutschigen Stallböden gehalten werden. Der deutlich griffigere und weichere Naturboden ermöglicht es den Tieren, sich besser fortzubewegen und zugleich auch besser zu ruhen. 

Der Vererbung auf der Spur

Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit der Spastischen Parese. Gibt es eine genetisch bedingte Anfälligkeit? Diese Frage soll mit Hochdruck beantwortet werden. Seit Langem wird vermutet, dass das Auftreten Spastischer Parese beim Rind ein von mehreren Genen veranlagtes Erbleiden ist, bewiesen werden konnte dieses bis dato aber noch nicht. 
Sowohl das vit als auch die die Abteilung Molekularbiologie der Nutztiere und molekulare Diagnostik der Georg-August Universität Göttingen beschäftigen sich intensiv mit dieser Thematik. Die Masterrind GmbH stellt derzeit sowohl Gewebeproben erkrankter Tiere als auch im Rahmen der Nachzuchtbewertung erhobene phänotypische Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung. Zudem sei jeder Milchkuhhalter aufgefordert, die Information erkrankter Tiere umgehend an den zuständigen Klassifizierer zu melden. 

Erste Vergleiche zeigen, dass sich sowohl die lineare Beschreibung als auch die Zuchtwerte für Bewegung, Spunggelenk und Hinterbeinwinkelung zwischen gesunden und erkrankten Tieren deutlich unterscheiden.    (Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)

Exkurs: Sind zu steile Beine wirklich ein akutes Problem? 

Der Zuchtwert für die Hinterbeinwinkelung meint die Winkelung der Hinterbeine auf Höhe des Sprunggelenkes und wird im Linearprofil von Besamungsbullen sowie von typisierten weiblichen Tieren angegeben. Die Hinterbeinwinkelung ist ein Optimalmerkmal und wird bei der Exterieurbenotung (bzw. Linearbeschreibung) zwischen 1 und 9 eingestuft. Eine Note zwischen 4 und 5 wird als optimal angesehen. Tatsächlich erreicht die Holsteinpopulation im Mittel (Zuchtwert 100) die Note 5,1 und weist damit nahezu optimal gewinkelte Hinterbeine auf. Bei einem Zuchtwert von 88 beträgt die Hinterbeinwinkelung 3,95 (leicht zu steil), bei einem Zuchtwert von 112 beträgt sie 6,41 (deutlich zu gewinkelt). 
Im Mittel der Population gibt es demnach kein Problem mit zu steilen Hinterbeinen. Was sich in den letzten Jahren aber verändert hat, ist die Streuung zwischen Einzeltieren. Vor ca. 25 Jahren lag der Mittelwert regional bei ca. 6,0 mit einer Streuung zwischen etwa 3,5 und 9,0. Heute liegt der Mittelwert bei 5,1 und die Streuung zwischen etwa 1,5 und 7,5. Dadurch hat sich die Hinterbeinwinkelung im Mittel verbessert, die Streuung reicht heute aber eben häufiger in einen Bereich zu steiler Hinterbeine, den es früher „nicht gab“. Dagegen hat sich das Problem extrem gewinkelter Hinterbeine deutlich reduziert (siehe Grafik). 
Grafik: Entwicklung der Hinterbeinwinkelung in den letzten 25 Jahren 

Das bedeutet: Die Verteilung hat sich verschoben, wodurch tendenziell eher zu steile als zu gewinkelte Beine auftreten, das Populationsmittel zeigt bisher aber keine Negativ-Entwicklung. „Im Zuchtprogramm wird zur Zeit sehr auf Bullen mit korrekter Hinterbeinwinkelung geachtet. Ein Rückfall in alte Zeiten ist aber ebenso wenig erstrebenswert“, sagt Rolf Oorlog, Sire Analyst der Masterrind GmbH. 
Quelle: Dr. Gesche Claußen, Laura Grütter & Rolf Oorlog, Masterrind GmbH 
Weitere Artikel: 

Werden Jungrinder vom Tiefstreustall auf Liegeboxen umgestallt, ist das richtige Ablegen oft ein Problem. Tipps, wie sie sich schnell und stressfrei gewöhnen.

Geeignete Kühe für automatische Melksysteme? Ein Blick auf verschiedene Auszeichnungen für Besamungsbullen und wichtige Tipps zur Roboter-gerechten Anpaarung.


Mehr zu dem Thema