Elite: Herr Müller, Sie und Ihre Mitarbeiter kommen täglich in viele Betriebe und sehen die Fruchtbarkeitslage in den Herden. Sind unsere Kühe heute fruchtbarer als früher?
Uwe Müller: Es ist schwer, die Fruchtbarkeitslage in den Betrieben heute mit besser oder schlechter als früher zu bewerten. Durch die Zucht auf Gesundheit ist das Potenzial für eine gute Fruchtbarkeit auf jeden Fall vorhanden. Das, was die Genetik leisten kann, wird vielfach aber nicht abgerufen. Den Hauptgrund dafür sehe ich...
Elite: Herr Müller, Sie und Ihre Mitarbeiter kommen täglich in viele Betriebe und sehen die Fruchtbarkeitslage in den Herden. Sind unsere Kühe heute fruchtbarer als früher?
Uwe Müller: Es ist schwer, die Fruchtbarkeitslage in den Betrieben heute mit besser oder schlechter als früher zu bewerten. Durch die Zucht auf Gesundheit ist das Potenzial für eine gute Fruchtbarkeit auf jeden Fall vorhanden. Das, was die Genetik leisten kann, wird vielfach aber nicht abgerufen. Den Hauptgrund dafür sehe ich darin, dass die Betriebe in Sachen Arbeitswirtschaft an ihre Grenzen stoßen.
Noch viel zu wenig Betriebe nutzen den Vorteil einer automatischen Brunsterkennung.“
Uwe Müller
Elite: Wo sehen Sie in der Praxis konkrete Management-Schwächen, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen?
Müller: Mir fallen drei markante Bereiche auf, die uns Trächtigkeiten kosten können. Da wäre zunächst die mangelnde Brunsterkennung zu nennen. Es sind noch viel zu wenig Betriebe, die bei uns den Vorteil von automatischen Brunsterkennungssystemen nutzen. Dabei sind diese Systeme inzwischen sehr verlässlich. Die Herden wachsen, aber das Personal wächst nicht mit. Dann wird schnell zu Ov-synch-Programmen gegriffen, obwohl wir wissen, dass wir mit der Nutzung einer natürlichen Brunst höhere Trächtigkeitsraten erzielen. Der zweite große Schwachpunkt in den Betrieben ist aus unserer Sicht das Management der Trockensteh- und Abkalbezeit. Hier gibt es noch sehr viel Potenzial zur Verbesserung, denn das ist die entscheidende Zeit für die Qualität der Follikel in der nächsten Laktation.
Elite: Ist auch in Sachen Fütterung Ihrer Ansicht noch Verbesserungspotenzial?
Müller: Ja, die Fütterung ist aus meiner Sicht der dritte große Schwachpunkt. In der Praxis sehen wir oft eine mangelnde Futterhygiene, die natürlich auch auf die Fruchtbarkeit geht. So positiv der Einsatz des Futtermischwagens heute ist, er birgt einfach auch ein Risiko, dass schlechte Partien schlichtweg übersehen werden.
Elite: Welche Maßnahmen im Betrieb würden Ihre Arbeit am Tier erleichtern oder beschleunigen?
Müller: Uns würde es in manchen Betrieben sehr helfen, wenn mehr Angaben zur Brunst und zur Vorgeschichte des jeweiligen Tieres vorliegen würden. Wie stark war die Brunst, wann und wie hat das Tier gekalbt? Wie sah der Schleim aus? Solche Infos sollten zu jedem Tier der Herde bekannt sein. Das muss ja keine aufwändige Dokumentation sein, sondern man kann dazu einfach den klassischen Brunstkalender nutzen oder mit Codes arbeiten.
Elite: Wie könnte ein solcher Code konkret aussehen?
Müller: Wir benutzen im Team zum Beispiel einen einfachen vierstelligen Code. Dabei steht die erste Stelle für die Ausprägung der Brunst, die zweite für die Schleimqualität, die dritte dafür, wie sich die Gebärmutter angefühlt hat und die vierte Stelle dafür, ob man mit der Besamungspistole ans Ziel, also in die Gebärmutter, gekommen ist. Jede dieser vier Stellen wird einfach nur mit einem Plus- oder einem Minuszeichen bewertet. Konkret sieht das so aus:
+ + + + : alles normal – Brunstsymptome, Schleim, Gebärmutter, Spermaablage ok
+ - + + : wenig Schleim, sonst alles ok
- – + - : schlechte Brunstsymptome, wenig Schleim, Gebärmutter normal, nicht bis in die Gebärmutter gekommen
+ + – + : normale Brunstsymptome, normaler Schleim, zu große Gebärmutter, Spermaablage ok
+ – o + : normale Brunstsymptome, wenig Schleim, vergrößerter Gebärmutterhals/-mund, Spermaablage ok
Die 4. Stelle ist dann, ob wir mit der Besamungspistole „ans Ziel“ sprich in die Gebärmutter gekommen sind. Aus einer solchen Dokumentation ziehen nicht nur wir Techniker hilfreiche Schlüsse für unsere Arbeit, sondern der Herdenmanager selbst ja auch. Wünschenswert wäre außerdem noch, dass mehr Betriebe für uns Betriebskleidung vorhalten. Das wäre vor allem vor dem Hintergrund der ansteckenden Tierkrankheiten eine sehr sinnvolle Vorbeugemaßnahme.
Elite: Dass das zu besamende Tier schon selektiert und fixiert ist, wenn Sie kommen, versteht sich von selbst…
Müller: Ja, das wäre eine riesige Hilfe und bedeutet auch für das Tier weniger Stress und eine größere Chance, aufzunehmen. Leider ist das selbst dann nicht immer der Fall, wenn eine Separationsmöglichkeit im Betrieb vorhanden ist.
Manche Betriebe müssen lernen, eine Spermaportion auch mal zu verwerfen, wenn die Brunstsymptome nicht eindeutig sind.“
Uwe Müller
Elite: Sie arbeiten ja auch mit Eigenbestandsbesamern zusammen. Wo sehen Sie hier oftmals noch konkrete Reserven für bessere Besamungsergebnisse?
Müller: Im Laufe der Zeit entwickelt jeder Eigenbestandsbesamer bei der Besamung eine Art Eigenroutine, die aber nicht unbedingt fehlerfrei ist. Gerade im Hinblick auf die Hygiene vom Auftauwasser und bei der Einhaltung der optimalen Auftauzeit der Portionen sehen wir häufig noch Verbesserungspotenzial. Manche Betriebe müssen lernen, eine Portion auch mal zu verwerfen, wenn die Brunstsymptome des Tieres mal nicht gut und nicht eindeutig genug sind. So kommt es auch immer wieder vor, dass bereits tragende Tiere nochmal besamt werden. Ohne gute Brunstsymptome und wenn die Besamungspistole „nicht rutscht“, geht man lieber wieder raus und verwirft die Portion. Und bei Problemtieren spricht ja nichts dagegen, auch uns dazuzuholen. Für frühe Trächtigkeitskontrollen muss ohnehin ein Techniker oder der Tierarzt kommen. Denn für sichere Aussagen fehlt hier vielen Eigenbestandsbesamern einfach die Routine.
Uwe Müller arbeitet seit 1989 als Besamungstechniker. Er ist Geschäftsführer von Müller-Genetic-Service. Mit zehn Mitarbeitern bietet er Milchkuhbetrieben im Raum Südwestfalen und Hochsauerlandkreis einen umfassenden Fruchtbarkeitsservice an. Dazu gehören neben der Besamung auch Trächtigkeits- sowie Sterilitätsuntersuchungen, das Übertragen von Embryos und außerdem der Handel mit Sperma über ein eigenes Spermadepot.
Die Besamung soll durch Video-unterstützte Systeme und flexible Besamungspistolen einfacher und besser werden. Wir haben uns in der Praxis nach den Erfahrungen umgehört.