Die Vegetation steht vielerorts in den Startlöchern, die ersten Kühe haben bereits Weideluft geschnuppert. Je nach Region ist das Anweiden also nun im vollen Gange. Aber: Es ist anspruchsvoll, die Grundfutterqualität bei Weide zu schätzen und die fehlenden Nährstoffe entsprechend in der Zufütterung auszugleichen. Auch ist der Wechsel von einer silagebasierten Mischration auf Frischgras schwieriger für die Pansenmikroben der Kuh, als der Wechsel auf eine andere Silage. Mit dem Saisonstart steht Weidekühen also wieder eine kritische Phase bevor.
Wir haben mit Mara Lungershausen (Beratungsring für Rindviehhaltung Friesland-Wilhelmshaven e.V.) und Uwe Graalfs (Agravis Mifu OL/OS GmbH) gesprochen und sie als weideerfahrene Fütterungsberater um Tipps gebeten, wie Milcherzeuger, bei denen die Weide Teil der Futtergrundlage ist und kein erweiterter Auslauf, die Futterumstellung pansen- und stoffwechselschonend steuern können.
1. Erst nach 14 Tagen Halbtagsweide
Schonend anweiden heißt, dass die Kühe in den ersten Tagen nur drei bis fünf Stunden auf die Weide gehen und ≥75% der Ration im Stall fressen. Nach 14 Tagen ist dann Halbtagsweide möglich. In Abhängigkeit von der Grasqualität sollten noch ca. 50% der Stallration gefüttert werden. In den ersten Tagen des Anweidens ist es wichtig, dass die Kühe nicht hungrig auf die Weide gehen, sondern ein bis zwei Stunden nach der Futtervorlage im Stall, um Verdauungsproblemen vorzubeugen.
Bei Umstellung auf Vollweide sollten weitere 14 Tage Zufütterung eingeplant werden. Der Anteil der zugefütterten Ration im Stall hängt nach dem Anweiden vom Graswachstum ab. Die Kunst ist es, dass sich die Kühe am Trog nicht so satt fressen, dass die Weideleistung zu gering wird, sie aber trotzdem gezielt zugefüttert werden. Wie sauber sie die Grasnarbe abfressen, muss parallel durch die Zuteilung gesteuert werden. Das Weideangebot soll konstant bleiben bzw. sich nur langsam verändern. Eine Kuh muss immer Futterzugang haben. Eine begrenzte Zufütterung im Stall bietet sich um die Melkzeiten und während der Nacht an.
2. Die Grundration umstellen
Die Nährstoffzufuhr, insbesondere von Rohprotein, über das Gras einzuschätzen ist schwierig. Frischgrasanalysen können helfen, ein Gefühl für die Futterqualität zu bekommen. Wichtiger ist aber die kontinuierliche Beobachtung des Aufwuchses, der Kotkonsistenz und der Milchkennwerte (siehe 5.). Schließlich variiert die Qualität des Aufwuchses stark und Kühe fressen selektiv. Daher muss Vorsorge getroffen werden.
Rohfaserarme, zucker- und proteinreiche, reinproteinarme Gras- bzw. Kleesilagen sind zum Anweiden aus der Ration zu nehmen bzw. zu reduzieren. Dafür ist der Anteil an Maissilage (wenn möglich) und Strukturfutter zu erhöhen. Da die Maissilagen bereits im März/April in der Stärkeabbaurate zugenommen haben, sollte der Anteil an beständiger Stärke (durch Körnermais) in der Gesamtration bereits erhöht worden sein.
Um Strukturmangel (dünner Kot, Durchfälle) vorzubeugen, bietet sich bei der Zufütterung in Form einer TMR neben strukturreichen Grassilagen Stroh an. Dies muss eine maximale Häcksellänge von 2 bis 4 cm aufweisen und gut eingemischt sein. Um ein Selektieren zu verhindern, empfiehlt es sich, die Ration durch die Zugabe von Wasser auf ca. 40% TM-Gehalt einzustellen. Bei Vollweide hilft es, neben dem separaten Kraftfutter gutes Heu (Schnitt zum Ährenschieben) anzubieten, damit die Kühe den Strukturmangel des jungen Grases ausgleichen können.
3. Kraftfutter passend ergänzen
Beständige Stärke und nutzbares Rohprotein sind auch beim Kraftfutter wichtig. So hat Futterharnstoff zur Weidesaison nichts mehr in der Gesamtration verloren und auch hohe Mengen von getreide-/zuckerreichen Kraftfuttermitteln, ungeschütztem Soja- bzw. Rapsextraktionsschrot (SES, RES) oder Melasse sind zu vermeiden.
Geeignete Komponenten sind Körnermais, geschütztes RES bzw. SES und Trockenschnitzel. Bei hochleistenden Herden kann geschütztes Methionin infrage kommen. Milchleistungsfutter sollten eine neutrale/negative Ruminale Stickstoff-Bilanz (RNB) aufweisen. Als Feuchtkomponenten eignen sich begrenzt u. a. Biertreber, Getreideschlempe und Pressschnitzel.
Wichtig ist eine erhöhte Mineralisierung in der TMR bzw. über separates Kraftfutter oder Leckschalen, sodass trotz reduzierter Zufütterung gleichbleibende Einsatzmengen garantiert sind. Die Magnesium- und Salzversorgung ist sicherzustellen. Frisches Weidegras liefert viel schnelles Rohprotein, der Proteinanteil in der Zufütterung muss also reduziert werden. Aber auch das nicht zu schnell, da die Lieferung über das Frischgras schwer abschätzbar ist. Zur Orientierung dient der Milchharnstoffwert der Sammelmilch (siehe 5.).
Bei Vollweide sind in den ersten Wochen 20 kg Milch aus dem Grundfutter möglich. Die Dauer dieser Leistungsfähigkeit hängt auch wieder von der Grasqualität ab. Die Höhe der Kraftfutterkürzungen erfordert also Geschick: Soll die Leistung nicht zu stark fallen, sollten sie 500 g pro Tag nicht überschreiten, da die Kühe den fehlenden Trockenmasseanteil durch die Grundfutteraufnahme (= Gras) ersetzen müssen. Das gilt auch über die Saison.
Zum Weideaustrieb im April/Mai ist das Gras allerdings sehr jung, es ist halb als Kraftfutter zu bewerten. Da können laut Mara Lungershausen durchaus mehrere kg plötzlich aus der Ration genommen werden, denn andernfalls fressen die Kühe dann viel Gras und viel Kraftfutter und Acidosen sind vorprogrammiert. Bei guter bis sehr guter Weidequalität können separate Kraftfuttergaben in der Spitze um 2 bis 6 kg/Kuh reduziert werden, was über die Saison immer wieder anzupassen ist.
Bei Vollweide von sehr guter Qualität (z.B. zum Weideaustrieb/erster Aufwuchs) liegt die maximale separate Kraftfuttergabe bei 6 bis 8 kg/Kuh/Tag. In einer Mischration zur Zufütterung kann die Kraftfuttermenge bei gleichbleiben Bedingungen und je nach vorheriger Höhe um 2 bis 5 kg reduziert werden. Folgende Werte eines Milchleistungsfutters passen zu einem hohen Weideanteil:
- 16% Rohprotein
- 7,0 MJ NEL
- 180 g nXP
- -3,2 g RNB
- 120 g beständige Stärke
Bei einer Zuteilung über eine Transponderstation ist zu bedenken, dass die Kühe durch den Weideaufenthalt weniger Zeit zum Abruf haben. Mehr als 20 Kühe pro Station sollten es nicht sein.
4. Kontrollwerte beobachten
Das Wichtigste und zeitnahste Kontrollkriterium an der Kuh ist die Kotkonsistenz. In der Weidesaison darf der Kot durchaus etwas dünner sein, als unter der reinen Stallfütterung. Frischgras enthält viel Wasser. Durchfall und viele unverdaute Bestandteile im Kot deuten jedoch auf eine unzureichende Strukturversorgung bzw. ein nicht passendes Verhältnis von Grundfutter zu Kraftfutter hin (zu wenig Aufwuchs, Zufütterung mit Grundfutter nicht ausreichend).
Ebenfalls zeitnah reagieren die Milchkennwerte. Beim Milchharnstoffwert ist das eigentliche Ziel von 200 ppm bei hohen Weideanteilen kaum einzuhalten. Hier braucht man aber keine Angst vor höheren Werten haben – wenn sie durch die Weide und nicht durch die TMR bzw. das Leistungsfutter verursacht sind! Gesunde Herden kommen auch mit Harnstoffwerten von 300 bis 350 ppm zurecht, solange die Ration wiederkäuergerecht ist (Kot). Gegengesteuert werden kann hier durch eine proteinreduzierte Zufütterung, Leistungsfutter mit negativer RNB, einem begrenzten Weidegang und angemessener Stickstoffdüngung.
Beim Milchfett ist ein Gehalt von 3,6% die unterste Grenze. Möglichst wenig Kühe (5% der Herde) sollten einen Fett-Eiweißquotienten (FEQ) 1,1 aufweisen. Auf dem Niveau der Gesamtherde ist ein FEQ von 1,2 bis 1,3 anzustreben. Unterschreiten Fett- bzw. FEQ-Werte diese Grenzen, sind Kraftfuttermengen und -komponenten zu überprüfen. Der Weideanteil sollte reduziert und mehr Struktur in die Zufütterung gebracht werden. Bei Vollweide passt das separate Anbieten von Heu oder Heulage.
5. Vorausschauend arbeiten
Auch im weiteren Verlauf der Saison sind Aufwuchs, Kot, Milchkennwerte und Witterung sorgfältig zu beobachten. Nur so ist eine schnelle Reaktion möglich, um Leistungsabschlägen und gesundheitlichen Problemen vorzubeugen. Wenig Aufwuchs heißt, die Rationsmenge am Trog und die Kraftfuttergaben zu erhöhen.
Bei windiger und regnerischer Witterung gehen die Grasaufnahmen zurück, auch hier ist die Zufütterung zu erhöhen. Neben dem Frühjahr ist im Herbst die Gefahr von hohen Harnstoffwerten und wenig Struktur am höchsten. Auch für das Saisonende müssen ausreichend Maissilage und proteinarme, rohfaserreiche (26% XF) und trockene (40 bis 45% TM) Grassilagen bereitstehen.
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