Bei einem Neubau will man alles richtig machen. Schließlich geht die Investition oft in die Millionen. Doch wie der Stall am Ende aussieht, kann man sich anhand der abstrakten Zeichnungen auf dem Papier kaum vorstellen. Nicht abzuschätzen ist, wie sich die Sonneneinstrahlung im Laufe des Jahres verändert, ob zum Beispiel Liegeboxen im Sommer in der prallen Sonne liegen.
Was bei der Planung ebenfalls oft unberücksichtigt bleibt, ist die Frage, wie die Kuh den Stall wahrnimmt und wo...
Bei einem Neubau will man alles richtig machen. Schließlich geht die Investition oft in die Millionen. Doch wie der Stall am Ende aussieht, kann man sich anhand der abstrakten Zeichnungen auf dem Papier kaum vorstellen. Nicht abzuschätzen ist, wie sich die Sonneneinstrahlung im Laufe des Jahres verändert, ob zum Beispiel Liegeboxen im Sommer in der prallen Sonne liegen.
Was bei der Planung ebenfalls oft unberücksichtigt bleibt, ist die Frage, wie die Kuh den Stall wahrnimmt und wo sich mögliche Stolperfallen für die Tiere befinden. Denn Kühe nehmen ihre Umwelt ganz anders wahr als Menschen. Sie haben eine stark verzögerte Hell-Dunkel-Adaption, gewöhnen sich langsamer an plötzliche Lichtwechsel. Das bedeutet, dass sie z. B. durch die Sonneneinstrahlung von Lichtplatten oder durch ungünstig positionierte Lampen in der Nacht geblendet werden können.
Um den Stall optimal an die Bedürfnisse der Kuh anzupassen, hat Benito Weise vom Landwirtschaftlichen Bildungszentrum Echem (LBZ) ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: Eine 3 D-Visualisierung von Stallbauplänen und deren virtuelle „Begehbarkeit“. Technisch umgesetzt wird das Projekt von Thilo Aschmutat. Sein Unternehmen homebase2 hat sich auf digitale Visualisierung spezialisiert. „Oft geht es den Kunden nur darum, schöne Verkaufsfotos von Häusern zu machen. Sich wirklich durch das geplante Objekt zu bewegen, und das auch noch aus der Kuhperspektive, ist da schon etwas kniffliger“, erklärt der gelernte Landschaftsarchitekt.
Wie in einem Computerspiel
Baupläne liegen standardmäßig in 2 D-Grundrissen und -Ansichten vor. Mit „Computer Aided Design“ (CAD) gibt Thilo Aschmutat den zweidimensionalen Strichen Ebenen und Volumen. Mit einem Computerspiel-Programm lässt sich der 3D-Stall dann in eine virtuelle Welt übertragen und im Detail anpassen. Wie in einem Videospiel kann man sich dann durch den Stall bewegen.
Was ist möglich?
- Genaue Angabe der Höhe, Breiten und Tiefen des Stalls.
- Oberflächen-Material wie z. B. Metall anzeigen und 3D-Elemente wie Tränken, Klauenstände und Co. einfügen.
- Sonnenlichtentwicklung nach tatsächlichen Koordinaten und Himmelsausrichtung für jeden Tag im Jahr: Sonnenstände, Schattenwurf, Veränderungen der Lichtsituation, z. B. an den Tagen der Uhrenumstellung.
- Künstliche Lichtquellen mit tatsächlichen Lichtschatten platzieren. Das ist insbesondere für die Beleuchtungssituation in der Nacht interessant.
- Sinneswahrnehmung der Kuh: Entfernungen, Farben, Blickperspektiven und Lichtadaptionszeiten.
Sogar Kühe können in den virtuellen Stall gestellt werden. „Zukünftig kann man den digitalen Kühen Rangordnungen zuweisen und mit künstlicher Intelligenz echtes Herdenverhalten simulieren“, sagt Benito Weise. Das kann helfen, die Bewegungen der Herde im Stall, z. B. an den Tränken oder am Futtertisch, nachzuvollziehen, um den Platzbedarf an diesen Stellen abschätzen zu können.
Ampelsystem zeigt Fehler
Noch befindet sich die 3 D-Visualisierung in der Entwicklungsphase. Angestrebt wird, dass man am Ende wie bei einem Ampelsystem automatisch angezeigt bekommt, wo die kritischen Stellen im Stall sind: Grün bedeutet dann, dass alles in Ordnung ist. Rot zeigt, dass es in diesem Bereich zu Problemen kommen kann, zum Beispiel bei starken Lichtwechseln. „In den wenigsten Ställen gibt es ein sinnvolles Lichtkonzept für die Kühe. Dann können Lampen den Tieren sogar mehr schaden als nützen“, sagt Benito Weise. Diese Fehler ließen sich mit der Visualisierung aufzeigen und beheben.
Wie teuer ist das?
Im Moment ist die Modellierung noch sehr zeitaufwendig. Auch weil die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Sinneswahrnehmung der Kuh und einzelne Stallelemente zum ersten Mal digital nachgebildet und Erfahrungen gesammelt werden. Finanziert wird die Visualisierung durch das vom BMEL geförderte Stallbau- und Forschungsprojekt „Innovationen für gesunde und „glückliche“ Kühe“ (IGG). Projektträger ist die BLE.
In Zukunft könnte der digitale Nachbau deutlich schneller gehen. Dann wäre ein Stall in einer 40-Stunden-Woche visualisierbar. Das kann für Ställeplaner oder Architektenbüros attraktiv sein, um vor dem Stallbau schon eine Schwachstellenanalyse durchzuführen. „Die Visualisierung ist auch für andere Bauprojekte interessant“, betont Benito Weise. Beispielsweise bei der Planung von Pferdeställen oder Reithallen.
Tierwohlstall in Dummerstorf
Der erste virtuell begehbare Stall ist der geplante Milchkuhstall der Zukunft in Dummerstorf. Der Stallneubau ist Teil des vom BMEL finanzierten Projektes „Innovationen für gesunde und „glückliche“ Kühe“ (IGG). Im Mittelpunkt der Planung steht das Wohl der Kuh. Dazu gehört u. a. die muttergebundene Kälberaufzucht und der Aufwuchs in der Familienherde, eine freie Liegefläche, Weidegang mit virtueller Umzäunung, smarte Fressgitter, die das alters- und laktationsgerechte Füttern ermöglichen, ein umfassendes Automatisierungs- und Digitalisierungskonzept und, dass die sinnesphysiologischen Bedürfnisse der Kuh berücksichtigt werden. Der Stall soll angewandte Forschung mit Fokus auf das Tierwohl ermöglichen und als Demonstrationsbetrieb für die Bevölkerung fungieren.
Wie nimmt die Kuh ihre Umwelt wahr? Und hilft uns das, die Tiere besser zu verstehen? Wir geben Einblicke in die Welt der Kuh und Tipps für den Umgang.
Heute schon an morgen denken: Familie Dau zeigt mit einem neu gebauten Stall für ihre 150 Kühe, wie Tierwohl zukünftig aussehen kann.