Der Agrarbetrieb „Dnipro“ liegt in der Südukraine, ca. 20 km südlich von Cherson am Fluss Dnipro. Der Fluss bildet aktuell die Frontlinie. Bewirtschaftet werden 1.500 ha Ackerland, davon werden 500 ha für den Futteranbau genutzt, die bewässert werden müssen. Vor Ausbruch des Kriegs wurden 380 HF-Kühe gemolken und 400 Rinder zur Nachzucht gehalten. Aktuell stehen noch 300 Milchkühe und 300 Rinder in den Stallungen. Im November 2022 hat die ukrainische Armee das Gebiet des Agrarbetriebs...
Der Agrarbetrieb „Dnipro“ liegt in der Südukraine, ca. 20 km südlich von Cherson am Fluss Dnipro. Der Fluss bildet aktuell die Frontlinie. Bewirtschaftet werden 1.500 ha Ackerland, davon werden 500 ha für den Futteranbau genutzt, die bewässert werden müssen. Vor Ausbruch des Kriegs wurden 380 HF-Kühe gemolken und 400 Rinder zur Nachzucht gehalten. Aktuell stehen noch 300 Milchkühe und 300 Rinder in den Stallungen. Im November 2022 hat die ukrainische Armee das Gebiet des Agrarbetriebs zurückerobert, aber dennoch ist der tägliche Beschuss seitens der russischen Armee geblieben. Zusätzliches Ungemach droht jetzt nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms.
Elite: Herr Pastushenko: Wie stellt sich die Situation aktuell dar?
Pastushenko: Unsere Flächen wurden nach der Sprengung des Staudamms zum Glück nicht überschwemmt, da sie etwas erhöht liegen. Aber die Pumpenstation, die für die Bewässerung der 500 ha Futterfläche zuständig ist, steht jetzt unter Wasser. Betroffen sind sieben Pumpen mit jeweils einem 130 kW Motor, sie funktionieren nicht mehr. Dadurch haben wir jetzt ein riesiges Problem, denn ohne Wasser wächst auf den 500 ha nichts. Wir haben gerade Körner-, Silomais und Luzerne angebaut. Zum Glück haben wir im Frühjahr rund um die Getreidefelder und auch durch deren Mitte Feuerschutzstreifen gemäht und das Getreide als GPS einsiliert. Deshalb haben wir rund 3.000 t GPS im Silo liegen, damit sind wir erstmal auf der sicheren Seite. Wir drillen jetzt aber Sorghum und Sudangras als Futterpflanzen. Wir haben inzwischen beschlossen, die Pumpen erst zu reparieren, wenn die russische Armee auch der rechten Seite des Dnipro verschwunden ist.
Elite: Wie sieht es im Stall aus? Wurde der überschwemmt?
Pastushenko: Der Kuhstall liegt ist 5 km vom Fluss entfernt und somit im Trockenen. Auch ist der Wasserspiegel inzwischen gesunken. Von Vorteil ist, dass wir hier Tiefbrunnen haben und Wasser aus 50 m Tiefe fördern, so können wir die Kühe auch weiterhin mit sauberem Tränkewasser versorgen. Die Trockensteher haben einen überdachten Auslauf, den können sie jetzt auch benutzen.
Trotz guter Milchpreise müssen Molkereien sich in der Ukraine mittlerweile um Milch bemühen. Ein Besuch bei der Molkerei Galychyna in Radekhiw.
Elite: Mit welchen Auswirkungen auf die Milchleistung und die Tiergesundheit rechnen Sie?
Pastushenko: Uns ist es einfach wichtig, dass die Kühe und Rinder überleben, auf eine hohe Milchleistung legen wir im Moment keinen Wert. Die Milchleistung, die vor Kriegsbeginn bei 10.000 kg lag, ist durch den Krieg ohnehin schon um 60 % gesunken. Während der russischen Besatzung hatten wir weder Medikamente noch Sperma zur Verfügung. Unsere Bullen waren zu jung um als Deckbullen in Frage zu kommen. Aber die Lage hat sich jetzt wesentlich gebessert, alles ist verfügbar, wir können auch wieder impfen. Auch Strom und Diesel sind wieder vorhanden.
Elite: Wohin liefern Sie die Milch und wie hoch ist der Milchpreis?
Pastushenko: Wir haben zwei Milchabnehmer, Lactalis in Mykolajiw und eine kleine Molkerei in Cherson, die einmal pro Woche vier bis acht Tonnen Milch von uns erhält. Lactalis hat am ersten Kriegstag die Milchabfuhr eingestellt, weil die Tankwagen nicht in die russisch besetzten Gebiete fahren konnten. Die Lage hat sich durch die ukrainische Rückeroberung gebessert und nun funktioniert die Milchabholung wieder. Inklusive aller Zuschläge erhalten wir 40 Cent/kg Milch. Das Milchgeld wird jede Woche überwiesen. Die Molkerei in Cherson zahlt in bar. Das Geld aus der Milch ist im Moment unsere einzige Einnahme, wir bezahlen davon Löhne, Strom, Diesel und kleinere Reparaturen. Nun haben wir ein Problem mit der Steuerbehörde, die unsere Einnahmen jetzt geschätzt hat - auf der Grundlage gut funktionierender Milchfarmen in der Westukraine. Unsere Steuerschulden sind gerade riesig. Wir hoffen, mit Hilfe unseres Bauernverbands (Ukrainian Agri Council) bald eine Lösung zu finden. Verbandsvertreter begutachten die Gesetze, schlagen Änderungen vor und besprechen diese mit den Abgeordneten des Parlaments. Auch unterstützt der Verband die Hilfsorganisation „SAVEUA“, die sich für notleidende Menschen und landwirtschaftliche Betriebe einsetzt.
Vor Herausforderungen stellt uns zudem die große Entfernung zum nächstgelegenen Schlachthof. Der liegt 450 km entfernt. Abgeholt werden nur Tiergruppen, keine Einzeltiere. Das ist ein Riesenproblem, auch wenn ab und zu ein Händler auch mal ein einzelnes Rind aufkauft. Wir lösen es so, dass wir kranke Tiere selbst schlachten und das Fleisch an die Mitarbeiter verteilen. Ein Schlachtgebäude ist aus Sowjetzeiten noch vorhanden.
Das Interview wurde am 12. Juni 2023 telefonisch von der freien Agrarjournalistin Astrid Thomsen geführt.
Milch zunächst verschenkt, dann in Bierfässern verkauft
Während der achtmonatigen russischen Besatzung konnte das Agrarunternehmen keine Milch mehr an die Molkereien liefern. Sowohl bei der Verarbeitung und Vermarktung der Milch wurden ungewöhnliche Wege eingeschlagen: Der ehemals wichtigste Milchprodukte-Lieferant für die Stadt Cherson hat in den ersten Wochen die Milch mit Hilfe der Kirchen kostenlos an die Menschen verteilt. Später wurde die Milch in Bierfässer abgefüllt und an die örtliche Bevölkerung verkauft. „Wir überlebten nur dank der Tierhaltung und der Tatsache, dass wir weiterarbeiteten, erinnert sich Andriy Pastushenko. Aus den Gewinnen des Milchverkaufs finanzierte der Betrieb die Treibstoffkäufe für die Stromgeneratoren und die Gehälter aller Mitarbeiter*innen, auch wenn sie geflohen waren.
Milcherzeugung in der Ukraine
Die Folgen des Ukraine-Kriegs treffen Milcherzeuger weltweit. Wir haben mit einem ukrainischen Milcherzeuger über die aktuelle Lage vor Ort gesprochen.