„Wir haben hier genug Milch für unsere Produktion“, stellt Svitlana Mishchenko, die Direktorin der Molkerei Galychnya in Radekhiw (Westukraine zwischen Lwiw und Luzk) klar. Sie führt seit sechs Jahren die Molkerei. Obwohl die Molkerei im Westen der Ukraine liegt, also entfernt von der Front, hat sich hier vieles verändert. „Wir fahren bis zu 700 km weit um die Milch zu erfassen!“ Laut Google Maps benötigt der Sammelwagen rund zehn Stunden bis nach Tscherkassy, in Wirklichkeit dürfte...
„Wir haben hier genug Milch für unsere Produktion“, stellt Svitlana Mishchenko, die Direktorin der Molkerei Galychnya in Radekhiw (Westukraine zwischen Lwiw und Luzk) klar. Sie führt seit sechs Jahren die Molkerei. Obwohl die Molkerei im Westen der Ukraine liegt, also entfernt von der Front, hat sich hier vieles verändert. „Wir fahren bis zu 700 km weit um die Milch zu erfassen!“ Laut Google Maps benötigt der Sammelwagen rund zehn Stunden bis nach Tscherkassy, in Wirklichkeit dürfte das wesentlich länger dauern. Viele Straßen sind in der Ukraine wegen der vielen Schlaglöcher nur langsam befahrbar. Die Milch wird bei 63 Milchlieferanten (10 bis 1.000 Kühe) mit 33 Tankwagen in acht Regionen erfasst.
Zu Beginn des Jahres 2022, als sehr viele Menschen sehr schnell die Ukraine verließen, hatte die Molkerei eher zu viel Milch. Doch mittlerweile sind im Osten der Ukraine sehr viele Molkereien zerstört, auch etliche Milchkuhbetriebe haben aufgegeben. So fahren die noch funktionierenden Molkereien jetzt sehr weit, um die Milch zu erfassen.
In der Molkerei werden aktuell 300 bis 400 t Milch täglich verarbeitet. Aus einem Teil der Milch stellt die Molkerei frische Erzeugnisse wie z.B. Trinkmilch, Joghurt, Kefir und Smetana in unterschiedlichen Fettstufen und auch lactosefrei her. Daneben werden noch Magermilchpulver, UHT-Milch und Butter produziert für den Export. Es gibt noch einen zweiten Standort in Kovel, an dem 50 Mitarbeiter ausschließlich Quark herstellen. Viele Produkte werden in die Türkei und Ägypten verkauft. Der Export soll weiter ausgeweitet werden. So wird gerade China ist ins Auge gefasst, zahlreiche Export-Zertifikate sind schon vorhanden, darunter auch ein Halal-Zeugnis.
35 Cent Milchgeld – im Voraus!
Die ukrainischen Milchbauern bekommen keine finanziellen Hilfen durch den Staat, Kredite und Beratung müssen sie sich selbst organisieren. Das Milchgeld gibt es entweder sofort oder einen Monat im Voraus. Der Basismilchpreis (Mai 2023) beträgt mindestens 14 Griwna/l, das sind umgerechnet 35 Eurocent bei 3,0 % Protein und 3,4 % Fett, erklärt Igor Lubarskii, der Chefmilcheinkäufer der Molkerei. Es gibt drei Qualitätsstufen für die Milch, die sich auch auf den Preis auswirken. Außerdem können die Milcherzeuger Kredite beantragen, um sich eine bessere Kühlung zu kaufen. Die Molkerei übernimmt zudem den Service der Milchkühlung und bezahlt Milchtests und Milchfilter.
80 Mitarbeiter mussten schon an die Front
In der Produktion arbeiten hier 500 Personen, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Insgesamt hat die Molkerei 1.000 Beschäftigte auf ihrer Lohnliste. Die Produktion aufrecht zu erhalten, wird zunehmend zur Herausforderung, denn inzwischen wurden bereits 80 Männer zum Militär eingezogen, einige von ihnen sind schon gestorben. „Jeden Tag müssen wir gerade Mitarbeiter gehen lassen“, sagt Mishchenko. Von Tag zu Tag werde es schwieriger, diese zu ersetzen.
Wir können improvisieren
Auf die Frage, wie das Unternehmen mit den Stromausfällen und anderen kriegsbedingten Widrigkeiten zurechtkommt, antwortet Mishchenko: „Die Menschen hier sind Künstler, sie können improvisieren!“ Geholfen haben zwischenzeitlich, aber auch zwei Stromaggregate mit 500 und 800 kW und die kalte Witterung. In der Produktion wurden Prioritäten gesetzt, Milchpulver wurde zeitweise nicht hergestellt, so konnte die Trocknung abgestellt werden. Falls das Gas ausfällt, wird mit einer Holzheizung Wärme erzeugt. Trotz aller Unbilll sollen alsbald die Lagerkapazitäten für die UHT-Milch und die Produktionskapazitäten erweitert werden. „Wir haben ausreichend Strom, Diesel und Tankwagen!“ Die müssen allerdings oft ersetzt werden, weil sie so beansprucht sind, aber die betriebseigene Werkstatt bekommt die LKW’s immer wieder flott.
Die Herde aufstocken lohnt sich nicht
Roman Paprockij (51) ist seit 13 Jahren Betriebsleiter des Agrarbetriebs „Private Enterprise Agrofirm Lugove“ in der Region Lwiw. Das Unternehmen verfügt über 7.500 ha Ackerland, einem Trocknungskomplex mit Trocknung, Reinigung und Lagerung, Warmblutpferden und 200 HF-Kühe plus Nachzucht. Seit zehn Jahren arbeitet die Farm mit der Molkerei Galychyna zusammen. Paprockyj erzählt, dass es Überlegungen gab, die Milchviehherde auf 300 Kühe aufzustocken, denn die Milch hätte in der schwierigen Zeit zuverlässig Einnahmen garantiert. Zudem sei Mais günstig, auch würden Milchprodukte verstärkt in die EU exportiert und die Milchpreise hätten sich auf 36 Eurocent/l (inkl. 20 % Mehrwertsteuer) erhöht.
Doch um mehr Kühe zu halten, müsste zuvor ein neuer Laufstall errichtet werden, der alte ist zu klein, auch gibt es immer wieder Probleme mit der Belüftung. Aber die Zeit der günstigen Kredite ist vorbei. Aktuell verlangen ausländische Banken wieder 22 % Zins. Da rechne sich keine Herdenaufstockung. Es gibt zwar auch staatliche Kredite mit niedrigeren Zinsen, aber diese zu erhalten sei schwierig. „Sehr viel Bürokratie und ein erheblicher Zeitaufwand.“
Jede Flagge, ein toter Soldat
Dass sich die Ukraine sich in einem Krieg befindet, das ist auf den ersten Blick, bei der Einreise aus dem Westen, nicht zu sehen. Alles, was Blüten hat blüht, Tiere sind auf der Weide, Menschen gehen einkaufen, Tankstellen haben wieder Benzin und die Lebensmittelgeschäfte sind gut gefüllt. Doch spätestens nachts, wenn die Sirenen heulen, Luftalarm angekündigt wird, kommt man in der Realität an … wenn man beginnt, die ukrainischen Flaggen auf den Friedhöfen zu zählen. Jede Flagge, ein toter Soldat.
Maryan Halas, dem Chef der Produktion der Molkerei, bedankt sich bei der deutschen Bevölkerung für die große Hilfe für sein Land und für die Ukrainer, die in Deutschland aufgenommen wurden. Es ist deutlich, dass das keine Floskel ist, sondern von Herzen kommt.
Die freie Journalistin Astrid Thomsen war für Elite in der Ukraine unterwegs. Kein einfaches Unterfangen, denn einen Termin bei ukrainischen Milchproduzenten und Verarbeitern zu vereinbaren ist nicht leicht. Hartnäckiges Schweigen und kurzfristige Absagen, kein Termin … wochenlang. Erst nachdem ein ukrainischer Milcherzeuger Handy griff, gab es einen Besichtigungstermin in der Molkerei Galychnya. Beziehungen sind in diesem Land enorm wichtig.
Andriy Pastushenko leitet in der Ukraine in der Nähe des gesprengten Kachowka-Staudamms einen Milchviehbetrieb. Wie kann man dort jetzt noch Milch produzieren?