Manche Kühe brauchen bei der Kalbung keine Unterstützung, andere schon. Wie erkennt man eine bevorstehende Geburt und worauf kommt es bei der Geburtshilfe an?
Kalbungen sind kritische Momente. Im besten Fall kann die Kuh das Kalb ohne Hilfe und Probleme gebären. Es kann auch aber auch zu Schwergeburten kommen, die schwerwiegende Folgen für Kuh und Kalb haben können. Das gilt es zu verhindern. Tipps dafür gibt Prof. Dr. Axel Wehrend von der Universität Gießen.
Kritischer Punkt für Kuh, Kalb und den Betriebe
Warum die Kalbung so ein kritischer Punkt für Kuh, Kalb und auch für den Betrieb ist, zeigen die Folgen, die nach Schwergeburten bzw. unsachgemäßer Geburtshilfe auftreten können:
Kuh: Falsche oder unsachgemäße Geburtshilfe erhöht das Risiko für Verletzungen oder Entzündungen. Diese ziehen oft einen langen Rattenschwanz an Problemen mit sich. So nimmt die Kuh z.B. bei Verletzungen aufgrund der Schmerzen weniger Futter auf, wodurch sie weniger Energie für die Rückbildung der Gebärmutter zur Verfügung hat. Wird die Kuh durch Geburtshelfer verletzt (und ist dieser dazu mit Bakterien verunreinigt), kann das zu Schäden an dem Geschlechtsorganen führen und möglicherweise sogar Folgen für die nächste Kalbung haben. Mehr dazu lesen Sie hier: Geburtsverletzungen sind nicht normal.
Kalb: Eine Schwergeburt, die Geburtshilfe erfordert, bedeutet für das Kalb Stress. Denn sie steckten länger im Geburtskanal fest als nötig. Oft sind diese Kälber bereits geschwächt, wenn sie auf die Welt kommen. Das kann dazu führen, dass sie bei er ersten Mahlzeit weniger Antikörper durch das Kolostrum aufnehmen. Das schwächt die Abwehrkraft, sodass Durchfall, Lungen- oder Nabelentzündungen vermehrt auftreten können. Zudem zeigen weibliche Kälber, die Hilfe bei der Geburt erfahren haben, oft schlechtere Fruchtbarkeitsleistungen bis zur ersten Trächtigkeit.
Betrieb: Auch für die Ökonomik des Betriebs sind kränkliche oder geschwächte Kälber nicht gut. Besonders bei Betrieben mit mehreren Mitarbeitern kann es dazu kommen, dass die Kälbersterblichkeit nach Schwergeburten kurz vor oder nach einem Schichtwechsel höher liegt. Das zeigte eine Untersuchung der Ursache einer erhöhten Häufigkeit von Totgeburten auf einem Milchkuhbetrieb. Weil Mitarbeiter dazu neigen, das Kalb vor dem Ende der Schicht noch „eben schnell“ zu holen oder der Geburtsüberwacher während des Kalbevorgangs wechselt, lagen die Totgeburten kurz vor oder nach dem Schichtwechsel signifikant höher als bei Kalbungen während einer Schicht (16% vs. 8%).
Was sind Anzeichen für die anstehende Kalbung?
Um Schwergeburten zu verhindern, ist die Kontrolle der kalbenden Kühe das A und O, um bei Problemen möglichst früh einzugreifen. Doch was sind die tatsächlichen Zeichen? Und wie geeignet sind sie für eine Voraussage?
Veränderung der Scheide: Mit zunehmender Annäherung an die Kalbung nimmt die Vergrößerung der Vulva zu. Jedoch beginnt diese Ödematisierung schon acht Tage vor der Geburt. Es kann also noch dauern, bis das Kalb kommt!
Schleim: Einige Kühe setzen bereits zehn Tage vor der Kalbung Schleim an der Scheide ab. Andere Kühe hingegen zeigen überhaupt keinen Schleim, daher ist auch dieses kein sicheres Anzeichen einer bevorstehenden Kalbung.
Aufeutern: Auch das Anschwellen des Euters ist kein eindeutiges Zeichen für eine unmittelbar bevorstehende Kalbung Denn: Bei etwa der Hälfte der hochtragenden Kühen schwillt das Euter bereits sieben Tage vor der Kalbung an.
Veränderung am Beckenübergang: Kurz vor der Kalbung lockern hochtragende Kühe die breiten Beckenbänder, um den Geburtskanal für das Kalb zu lockern. Sind beide Bänder vollständig gelockert, steht die Kalbung bevor. Das Problem: Für eine Kontrolle muss man sehr nah an das Tier herantreten. Zudem ist die Einschätzung meist sehr subjektiv.
Biegsamkeit der Schwanzspitze: Da die Beckenbänder vor der Kalbung weich werden un die die Wirbel mit diesen Bändern verbunden sind, wird der Kuhschwanz direkt vor einer Kalbung sehr biegsam. Aber auch besteht das Problem, dass man für eine Kontrolle sehr nah an das Tier heranmuss.
Verschiedene Anzeichen für eine bevorstehende Kalbung
Fazit: Es gibt nicht das eine sichere Anzeichen dafür, dass eine Kalbung bevorsteht! Doch umso mehr dieser Anzeichen auftreten, umso näher rückt die Kalbung. Am besten ist es daher, einen regelmäßigen Kontrollgang zur Abkalbebox zu machen.
Dann gilt es zu kontrollieren, ob Fruchtblase und Beine des Kalbs zu sehen sind und ob die Geburt voranschreitet. Wichtig dabei ist ein möglichst unauffälliges Verhalten, um die Kuh nicht zu stören. Alternativ kann man dafür auch auf Technik zurückgreifen und die kalbenden Kühe z.B. per Überwachungskamera auf dem Handy oder Fernseher kontrollieren.
Zudem hilft es, möglichst gut vorbereitet zu sein. Optimal ist es, die Kuh fünf Tage vor dem berechneten Geburtstermin in die Abkalbebox umzustallen. Auch ein Umstallen Just-in-Time ist möglich, erfordert aber eine noch engmaschigere Kontrolle.
In der Abkalbebox ist zum einen eine einwandfreie Hygiene wichtig. Denn: Eine Abkalbebox kann in einem Milchkuhbetrieb schnell zu einer Keimschleuder werden. Reichern sich dort Keime an, können Kühe sich in dieser hochsensiblen Phase leichter anstecken! Kühe sollten daher nie in der Krankenbox kalben. Die Abkalbebox muss regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. Eine dicke frische Strohschicht gehört ebenfalls dazu. Außerdem sollte die Abkalbebox möglichst einfach zugänglich und gut beleuchtet sein.
Schwergeburten verhindern mit richtiger Geburtshilfe
Schwergeburten vorauszusagen, ist kaum möglich. Erkannt werden sie meist erst, wenn nur eine Gliedmaße, angeschwollene Gliedmaße oder ein angeschwollener Kopf herausschauen. Dann bedarf es einer Kontrolle, ebenso, wenn die Geburt stockt.
Achtung! Bei jeder Kontrolle können Keime mit in die Scheide gelangen. Vermeiden Sie dies unbedingt, indem Sie die Hände bzw. Handschuhe vor jeder Kontrolle gründlich reinigen. Zeitdruck darf kein Argument gegen Hygiene sein, denn je höher die Keimzahl in der Gebärmutter ist umso häufiger treten anschließend Gebärmutterentzündungen auf!
Wird dann eine Geburtshilfe notwendig, gelten folgende Regeln:
Kein Stress während der Öffnungsphase: Bevor die Wehen einsetzen, öffnet und weitet sich der Geburtsweg. Während dieser Phase (kann zwischen 6 bis 16 Stunden dauern) sollte man die Kuh nicht stören, denn eine Unterbrechung der Öffnung sorgt davor, dass das Kalb länger dem Geburtsstress ausgesetzt ist und möglicherweise mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird. Diese Kälber können neuronale Schäden davontragen und oft wegen der angeschwollenen Zunge nicht ausreichend Kolostrum aufnehmen.
Am besten im Liegen kalben: Die Bauchmuskeln der Kuh können im Liegen mehr Kraft entfalten. Außerdem muss eine stehende Kuh ein Kalb erst anheben, bevor sie es herauspresst. Im Liegen braucht sie dafür weniger Kraft, zudem ist der knöcherne Geburtsweg um ca. einen bis zwei Zentimeter weiter.
Nur mit den Wehen ziehen: Sobald der Kopf des Kalbs sich im Geburtskanal befindet, beginnt die Kuh zu pressen. Jetzt ganz wichtig: Das Kalb nur mit einer Wehe ziehen, nicht dazwischen! Dafür wechselseitig ziehen (erst ein Bein, dann das andere), um das Kalb weiter ins Becken zu ziehen. Erst wenn das Flotzmaul zu sehen ist, gleichmäßig an beiden Beinen in Richtung Wirbelsäule der Kuh ziehen.
Auszugslinie ändern: Sobald die Vorderbeine und der Brustkorb des Kalbs draußen sind, wird das Kalb nach unten in Richtung Euter der Kuh herausgezogen. So können sich die angewinkelten Hinterbeine des Kalbs besser lösen.
Erste Hilfe, Kolostrum, Wärme, Eisen und Hygiene: Die Versorgung von Kälbern in ihren ersten Lebensstunden entscheidet mit über ihre Lebensleistung. Tipps dazu.
Quelle: Vortrag von Prof. Dr. Axel Wehrend (Universität Gießen) beim Netzwerk Fokus Tierwohl, 16. Juni 2021