Erkrankungen und Verletzungen an Klauen und Beinen zeigen sich selten so prompt wie beispielsweise eine Mastitis, sondern häufig eher schleichend. Die wirtschaftlichen Verluste sind dennoch gravierend: Die Kosten pro Lahmheitsfall belaufen sich auf durchschnittlich rund 850 €!
Am häufigsten leiden Kühe in Stallhaltung unter Sohlengeschwüren, Mortellaro und Weiße-Linie-Defekten.
Lahme Kühe oft unterschätzt
Vor allem „leichte“ Lahmheiten fallen ins Gewicht. Weil deren...
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Erkrankungen und Verletzungen an Klauen und Beinen zeigen sich selten so prompt wie beispielsweise eine Mastitis, sondern häufig eher schleichend. Die wirtschaftlichen Verluste sind dennoch gravierend: Die Kosten pro Lahmheitsfall belaufen sich auf durchschnittlich rund 850 €!
Am häufigsten leiden Kühe in Stallhaltung unter Sohlengeschwüren, Mortellaro und Weiße-Linie-Defekten.
Lahme Kühe oft unterschätzt
Vor allem „leichte“ Lahmheiten fallen ins Gewicht. Weil deren verkettete Folgen aus verringerter Aktivität und veränderter Futteraufnahme wenig offensichtlich sind, werden sie und ihre Schmerzhaftigkeit oft unterschätzt.
Für das Wohlbefinden der Kuh und die Chance auf schnelle Heilung (geringe Kosten!), muss ein Problem so früh wie möglich behandelt werden. Leider unterschätzen Milcherzeuger die Anzahl der lahmen Kühe im Stall – zum Teil sind ihnen lediglich ein Viertel der Lahmheiten bekannt! Das liegt zum einen an einer gewissen „Betriebsblindheit“, zum anderen können Kühe Schmerzen gut kaschieren.
Diese Kuh hat „etwas”. Sie schont ihren linken Hinterfuß, er steht zur Körpermitte hin. In der Hinterhand steht sie eng, um das
Gewicht mit dem nicht schmerzhaften Fuß auszubalancieren. Eine Schwellung im Fuß ist schon deutlich zu erkennen.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Muss Lahmheits-Scoring sein?
Wichtig ist daher, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie das Gangbild einer gesunden Kuh normalerweise aussieht. Dann gilt es, sich bewusst Zeiten im Alltag zu schaffen, in denen Lahmheitserkennung auf der Prioritätenliste oben steht.
Weniger sinnvoll ist, „nebenbei“ nach lahmen Kühen Ausschau zu halten: Wer durch die Herde geht, z. B. beim Nachtreiben in AMS-Herden, bei der Liegeboxenpflege oder im Melkstand, achtet auf auffällige Kühe (ungleiche Schrittlänge, tippeln, humpeln, Mortellaro-Läsionen usw.) und vermerkt diese auf einer Tafel oder in einer Hof-WhatsApp-Gruppe. Das ist besser als nichts – führt allerdings genau dazu, dass oft nur die schwer lahmen Kühe auffallen.
Alle Mitarbeitenden sollten auffällige Kühe notieren. Gleichzeitig lohnt sich ein eigener Termin zur Lahmheitskontrolle.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Das Problem: Es bedarf immer wieder einer Sensibilisierung für das Thema, sonst gewöhnt sich der Blick an eine verhalten laufende Kuh und empfindet diese schon problematische Haltung als normal. Dazu kommt, dass Menschen sich nicht gut auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren können.
Wer also ernsthaft die Klauengesundheit seiner Herde durch rechtzeitiges Eingreifen verbessern will, sollte alle 14 Tage einen „Klauen-Sichtungs-Tag“ einführen. Das verbessert das Verhältnis von Aufwand und Nutzen erheblich: Denn eine Lahmheit entwickelt sich häufig binnen zwei Wochen und eine leicht, weil früher entdeckte lahme Kuh, ist viel einfacher zu behandeln!
Multitasking ist ein Gerücht
Führt man Aufgaben gleichzeitig durch (z. B. Futter vorlegen und auf Kühe achten, die nicht zum Fressen gehen), wird die Aufmerksamkeit zwangsläufig aufgeteilt. Besser ist es, die Kontrolle von anderen Arbeiten abzukoppeln und das Bewegungs-Scoring als festen Termin in den Kalender zu integrieren.
Alle 14 Tage 30 Minuten pro 100 Kühe
„Bewegungsscoring“ ist dabei gar nicht so kompliziert wie befürchtet. Nutzen Sie ein vereinfachtes Bewertungssystem, schärfen Sie den täglichen Blick auf die Kühe und investieren Sie alle 14 Tage 30 Minuten Zeit pro 100 Kühe. Dann laufen Sie durch die Herde und überprüfen die ganze Herde – auch Trockensteher – in Bezug auf auffälliges Verhalten.
Gesund oder Klauenstand?
Sie können das Schema zum Ausdrucken auch hier als PDF herunterladen.
Pro Kuh dauert der „Scan-Blick“ nur drei bis fünf Sekunden. Im Betriebsalltag eignen sich hierfür folgende Situationen:
von hinten am Futtertisch, während neues Futter vorgelegt wird (Entlastung),
seitlich von vorne (Rückenlinie),
beim Austrieb aus dem Melkstand oder wenn Kühe nacheinander ein Tor passieren (Gang, Rückenlinie),
von oben (Stallbüro, Heulager, …). Gerade hier sind auffällige Kühe gut zu erkennen, weil sie ohne Treiben laufen und schmerzhaftes Verhalten nicht „verstecken“.
Entzündungen, Verletzungen und Druckstellen lösen Schmerzen aus. Kühe zeigen Schmerzen im Bewegungsapparat in mindestens einem von vier Verhaltensmerkmalen:
Asymmetrischer Gang: Die Kuh fußt nicht gleichmäßig auf. Sie tritt nicht mit dem Hinterfuß in das Trittsiegel des jeweiligen Vorderfußes. Der Gang ist nicht fließend.
Rückenkrümmung: Die Linie der Wirbelsäule ist nicht gerade, sondern nach oben gekrümmt. Im Stand und/oder in Bewegung.
Kopfhaltung: Die Kuh hält Kopf und Hals nicht in Waage, sondern tiefer als die Widerristhöhe und/oder „nickt“ mit jedem Schritt.
Entlastung: Die Kuh belastet im Stand nicht alle vier Füße gleich. Der wegen Unwohlsein oder Schmerzen entlastete Fuß steht zur Körpermitte gedreht oder nach vorne heraus. Bei schwerer Lahmheit hebt die Kuh den Fuß im Stand an. Sind mehrere Füße betroffen (Mortellaro, Rehe), entlasten Kühe wechselseitig, sie „tippeln“.
Was tun, wenn eine Kuh lahmt oder auffällig ist?
Fällt eine Kuh durch einen asymmetrischen Gang auf, ist sie eindeutig lahm und sicher verletzt oder krank. Sie sollte möglichst am selben Tag, mindestens aber in derselben Woche, zur Kontrolle in den Klauenpflegestand.
Zeigt sie mindestens eins der anderen drei Anzeichen, ist sie verdächtig und sollte beim nächsten Scoring bzw. im Alltag weiter überwacht werden. Zwei bis dreimal hintereinander auffällig heißt auch hier: ab in den Klauenstand!
Vorsicht bei Gummiböden: Kühe zeigen Lahmheiten hier nicht so deutlich.
Beobachtenden sollte bewusst sein, dass Kühe als Beutetiere Schmerz verstecken wollen und unterschiedlich stark zeigen. Ein Kopfnicken ist manchmal die ganze Reaktion auf eine schwere Verletzung.
Augenmerk auf die Verdachtsfälle
Im Klauenpflegestand empfiehlt sich dieses Schema:
Wer die Klauen seiner Kühe selber ausschneidet, sollte immer erst die 5 Schritte zur funktionellen Klauenpflege abarbeiten. Und zwar auch dann, wenn akute Probleme ins Auge fallen.
Nicht immer ist die Schmerzursache direkt ersichtlich. Findet man „nichts“, schafft das Kleben eines Klotzes auf die nicht schmerzende Klaue meist erste Abhilfe. Eine Druckstelle entwickelt sich so vielleicht nicht zu einem schweren Sohlengeschwür. Und manche Kühe fallen nur deswegen als lahm auf, weil ein Korrekturschnitt ansteht – eine neue Hohlkehlung verhindert dann eine Druckstelle genau zum richtigen Zeitpunkt.
Dass sich auch das Kontrollieren der „nur“ verdächtigen Kühe lohnt, zeigt folgendes Ergebnis: 64 % der verdächtigen, aber nicht klar lahmenden Kühe zeigen bei der Untersuchung mit einer Klauenabdrückzange schmerzende Klauen.
Tipp: Es reicht, alle lahmen und verdächtigen Kühe zu notieren – stecken Sie die Zeit in die Kontrolle und Behandlung der Kühe, nicht ins Schreiben!
Lahmen Kühen Schmerzmittel geben?
Generell verläuft die Heilung schneller, wenn lahmende Kühe Schmerzmittel bzw. Entzündungshemmer (NSAIDs) erhalten. Auch die gegebenenfalls verringerte Milchleistung steigt schneller wieder an. Daher sollte deren Einsatz bei jeder Lahmheit in Betracht gezogen werden. Wichtig ist aber, dass vorher die Behandlung der Schmerzursache erfolgt und nicht nur der Schmerz als deren Symptom unterdrückt wird.
Lahme Kühe automatisch finden?
Lahme Kühe automatisch über Sensoren oder Kameras zu finden, gestaltet sich schwierig. Denn häufig hat die Technik Probleme damit, auffällige Tiere sicher aufzuspüren, weil das Verhalten der Kühe extrem individuell ausfällt. Bei Kamerasystemen hakt es unter anderem noch an der korrekten Identifizierung des Einzeltiers.
Die besten Ergebnisse gelingen bislang, wenn Daten aus verschiedenen Quellen (Aktivität, Wiederkauen, Fresszeiten, Liegeverhalten, Melkzeiten, …) miteinander kombiniert werden. Insbesondere das Futteraufnahme- und Liegeverhalten sowie der Laktationstag scheinen bei der Früherkennung von Lahmheiten eine Rolle zu spielen.
KI soll’s richten: Große Hoffnungen setzen die Forschenden auf Maschinelles Lernen, einen Teilbereich der künstlichen Intelligenz (KI). Statt dem Algorithmus immer wieder Referenzdaten vorlegen zu müssen, analysiert das System Daten und Erfahrungen selbstständig und lernt daraus. Je länger im Einsatz und je mehr unterschiedliche Daten die Grundlage bilden, desto genauer wird die Vorhersage.
Kuhverhalten ist sehr individuell, sodass Sensoren bislang Probleme bei der Früherkennung haben.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Mehr Daten und leistungsfähigere Rechner machen die Algorithmen sehr schnell viel besser. Viele Forschende arbeiten an praxistauglichen Lösungen, mit einer Einführung in den nächsten fünf Jahren ist zu rechnen.
Sensoren werden Menschen auch künftig nicht ersetzen. Dennoch wäre wünschenswert, wenn KI in Zukunft eine Idee zur Diagnose mitliefern würde. Bislang sind Sensorsysteme in der Lage, auffällige Kühe „nur“ zu finden – ob sie jetzt lahm gehen oder an einer Ketose leiden, muss der Mensch durch eine Überprüfung der Kuh und Ausschlussverfahren selbst herausfinden.
Wer die Klauenpflege seiner Kühe in Eigenleistung durchführen möchte, sollte nicht am Klauenpflegestand und der weiteren Ausrüstung sparen. Tipps zur Anschaffung.