Zwischen Nostalgie und Robotern – ein Milchkuhbetrieb im Wandel
Im ungarischen Kocs prallen zwei Welten aufeinander: 520 Kühe stehen in einem modernen Roboterstall, die andere Hälfte der Herde in alten Tiefstreuställen.
Wer die Ställe der Aranykocsi Zrt. im Nordwesten Ungarns betrachtet, fühlt sich in die Vergangenheit versetzt. Ein Blick zurück in die Jahre 1965 bis 1975, als die heutigen Gebäude der Agrargenossenschaft errichtet wurden, um Platz für 400 Kühe in Anbindehaltung zu schaffen.
Eine Gruppe schwarz-weißer Färsen bewegt sich vom Laufhof zurück in den frisch eingestreuten Stall. Staub wirbelt auf, als sie über das Stroh toben. Auch wenn die Gebäude von außen noch aussehen wie vor 60 Jahren: Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten stehen die Kühe heute nicht mehr in Anbindung, sondern ruhen auf einer Strohmatratze im Tiefstreu. Die Laufhöfe zwischen den Ställen, die sich quer an einem leichten Hang erstrecken, bieten den Tieren Auslaufmöglichkeiten. Gefüttert wird aus Stein- oder Holztrögen.
Die Aranykocsi Zrt. wurde 1993 nach der Wende als Aktiengesellschaft mit über 1.000 Aktionären gegründet. Inzwischen hat sich die Zahl der Aktionäre auf 300 verringert, von denen vier die Mehrheit besitzen und die Entscheidungsträger sind. Die erste Entscheidung der Aktiengesellschaft war 1995 der Bau eines Melkhauses und die Umstellung von der Anbindehaltung der Kühe auf Tiefstreu.
Im Jahr 2001 erfolgte die Akquisition eines benachbarten Betriebs mit zusätzlichen Flächen und einer Herde von 400 Kühen. In den vorhandenen Anlagen verblieben die Kühe, wurden dort weiterhin gemolken. Diese Situation dauerte 15 Jahre an, bis im Jahr 2016 aufgrund eines langanhaltenden Investitionsstaus die Entscheidung getroffen wurde, umfassend zu investieren. Die Zielsetzung war, die sämtliche 800 Kühe und somit die ganze Milchproduktion an einen einzigen Standort zu verlagern.
Die Entscheidung fiel zum einen, weil die Ställe am zugekauften Standort noch heruntergewirtschafteter waren als in Kocs, zum anderen wegen des drohenden Fachkräftemangels - man wollte die Milchproduktion effizienter gestalten. Und aufgrund des höheren Verwaltungsaufwandes. Geplant war ein Neubau von zwei Boxenlaufställen für insgesamt 1.000 Kühe und einem dazwischen liegenden Melkhaus.
Im Stallbüro hängt dieses Foto: Bis 1995 standen die 400 Kühe in Kocs in mehreren Anbindeställen.
(Bildquelle: Thiemann)
Keine Subventionen bekommen
Steigt man heute auf dem Betrieb zwischen den alten Ställen den kleinen Hügel hinauf, öffnet sich der Blick auf einen modernen Boxenlaufstall mit 520 Kuhplätzen und 8 Melkrobotern. Ursprünglich war geplant, direkt für 1.000 Kühe zu bauen und konventionell zu melken. Doch das Geld reichte nicht. Die Gesellschafter hatten mit staatlichen Zuschüssen kalkuliert. Sie bekamen die Subventionen aber nicht. Deshalb entschieden sie sich, zunächst nur einen Stall zu bauen und wegen zunehmender Tendenzen des Fachkräftemangels auf automatisches Melken zu setzen. Insgesamt kostete das Projekt 1,2 Milliarden Forint.
Im Herbst 2018 wurde der Stall fertig gestellt und im Dezember in Betrieb genommen.
(Bildquelle: Thiemann)
Sechs bis acht Liter mehr
In dem modernen Boxenlaufstall herrscht ein deutlich anderes Klima als in den Strohställen. Große Ventilatoren und höhere Decken sorgen für kühlere Luft. Die Kühe liegen auf Hochboxen mit Wasserbetten, die großzügig mit Kalk bestreut sind.
Die Kühe, die in den Roboterstall einziehen, haben die Herdenmanager sorgfältig ausselektiert. Zum einen nach der Robotertauglichkeit, auf die sie bereits zwei Jahre vor dem Umzug ihre Zucht ausgerichtet haben, zum anderen nach der Milchleistung. Daher geben die Kühe im neuen Stall auch rund sechs bis acht Liter mehr im Vergleich zu den Kühen in den alten Ställen. „Dazu kommt noch, dass die Milchleistung im Sommer in den alten Ställen ohne Klimatisierung um 10 bis 15 % zurück geht“, berichtet der Herdenmanager. Im neuen Stall springen die Ventilatoren ab 20 °C automatisch an, deutliche Milchrückgänge konnten sie im Sommer nicht beobachten.
Die Roboterherde ist mit durchschnittlich 1,8 Laktationen außerdem jünger. Der Durchschnitt in den alten Ställen liegt bei 2,4 Laktationen. Auch wenn die melkenden Herden getrennt voneinander laufen, die Trockenstehzeit verbringen alle Kühe gemeinsam auf Stroh.
Der Kuhverkehr ist gesteuert. Zu den Fressbereichen kommen die Kühe nur über die Melkroboter. Die Anzahl Holtiere liegt im Durchschnitt der vier Gruppen bei 5-6 %
(Bildquelle: Thiemann)
Die Balance in der Fütterung finden
Ein großes Problem, mit dem sie nach dem Umzug zu kämpfen hatten, war die Fütterung einer Teil-TMR und die Anpassung der Kraftfuttermenge am Roboter. Trotz Beratung gelang es ihnen lange Zeit nicht, die richtige Balance zu finden. Die Folge: Die Kühe bekamen Magenprobleme, Azidosen traten auf, Klauenprobleme und Labmagenverlagerungen häuften sich.
Am Anfang bekamen die Kühe 5,5 kg Kraftfutter am Roboter. Inzwischen haben sie die Menge auf 2,5 bis 3 kg reduziert, die Probleme sind weniger geworden. 100% zufrieden sind die Herdenmanager aber noch nicht. Jetzt geht es darum, die Ration am Futtertisch noch besser auszubalancieren. Es werden viele verschiedene Silagevarianten gefüttert. Darunter Roggen, Luzerne, Ackergras und Mais. Dazu kommt immer etwas Heu. Da viel ausprobiert wird, ist die Ration selten lange konstant.
Irgendwann alle Kühe automatisch melken?
Sobald es finanziell möglich ist, wollen sie den Roboterstall spiegeln. Güllekapazität und Platz sind vorhanden. Außerdem wollen sie die alten Melkroboter (DeLaval, VMS 300), die jetzt auch schon fünf Jahre in Betrieb sind, durch neuere, modernere und besser ausgestattete Modelle (Sensoren, Kameras) ersetzen.
Die Kälber des Betriebs stehen ihre gesamte Tränkeperiode in Iglus, die zwischen zwei Tiefstreuställen aufgereiht sind. Die Bullenkälber sind getrennt von der weiblichen Nachzucht in der Nähe der Zufahrt zum Betrieb untergebracht – sie verlassen mit 28 Tagen den Betrieb.
Getränkt bekommen sie zweimal vier Liter pro Tag. Die ersten vier Wochen gibt es Vollmilch, dann wird auf Milchaustauschertränke umgestiegen. Am 65. Lebenstag werden sie abgesetzt und kommen dann in eine Gruppe auf Stroh.
Obwohl Ungarn zur EU gehört, sind andere Mittel als in Deutschland zugelassen. So enthornen die Betriebe alle Kälber in den ersten zwei Lebenswochen mit einer Paste. Die Paste wird auf die Hornstelle aufgetragen, verätzt die Haut und verhindert die Hornbildung. Das Problem: Bei Regen kann die Paste in die Augen laufen und die Kälber erblinden. Auch bei der Handhabung ist Vorsicht geboten: Die Paste verätzt natürlich auch die menschliche Haut und kann zu schweren Verletzungen führen.
1.050 Kühe stehen am Betriebsstandort Komárom des Sano Agrar Instituts in Ungarn. Das tägliche Fluten der Laufgänge ist nur eine von vielen Besonderheiten.
Familie Dorcsinecz hat 2022 in Ungarn einen Stall für 688 Kühe mit besonderer Belüftung (cross-ventilated) gebaut. Vor kurzem ist die Herde eingezogen. Was hat sich seitdem verändert?
*Die ungarischen Betriebe wurden gemeinsam mit der Firma Sano - Moderne Tierernährung GmbH besucht