Manchmal ist es absolut spannend, die Entwicklung eines Milchkuhbetriebs über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten. Denn so manches Mal passieren Dinge, die man selbst nie für möglich gehalten hat. So „verabschieden“ sich plötzlich Milcherzeuger, die über Jahrzehnte hinweg gewachsen sind und gesunde, leistungsstarke Kuhherden aufgebaut haben. Andererseits treffe ich aber auch auf Milcherzeuger, die quasi aus dem Nichts eine beeindruckende Kuhherde aufgebaut haben und durch ein top Herdenmanagement zu beeindrucken wissen!
Ein solches Beispiel ist der Laurenzenhof der Familie Egle im oberschwäbischen Hailtingen. Vor 26 Jahren habe ich das erste Mal die Familie besucht. Damals wurden etwa 25 Kühe in einem alten, beengten Anbindestall (in Ortslage) gemolken. Auf den ersten Blick eigentlich ein Auslaufbetrieb, dachte ich mir: Zu wenig Kühe, zu wenig Fläche, … der Abstand zur Konkurrenz in der Region war schon sehr groß (viele Milchkuhalter haben damals dort schon 60 und mehr Kühe in Laufställen gemolken, einige hatten sogar schon den zweiten Wachstumsschritt in Angriff genommen). Zudem merkte ich schnell, dass Franz Egle ein durchaus kritischer Landwirt ist, der die damals unter den jungen Betriebsleitern weit verbreitete Strategie „ordentlich wachsen oder weichen“ hinterfragte. In den vergangenen Jahren hatten Franz Egle und ich immer wieder die Gelegenheit, uns zum Thema Zukunft der Milchproduktion unter veränderten politischen Rahmenbedingungen auszutauschen. In Erinnerung geblieben ist mir dabei seine eher zurückhaltende Einstellung bezüglich Investitionen und Wachstum.
Umso überraschter war ich kürzlich bei einem Besuch auf dem Laurenzenhof zu erfahren, welche positive Entwicklung der Milchkuhbetrieb während der letzten 25 Jahren genommen hat. Heute wird nicht nur in einem neuen, emissionsarmen Kuhstall eine absolut leistungsstarke Herde (12.000 kg) gemolken, ein Teil der Milch wird sogar verkäst und direkt vermarktet, u.a. über eine eigene Milchtankstelle. Die weibliche Nachzucht bleibt bis zum 5. Monat auf dem Betrieb. Danach übernimmt die Rinder ein spezialisierter Aufzüchter. Eerst etwa 4 bis 8 Wochen vor dem Kalbetermin kommen die hochtragenden Rinder wieder zurück. Doch der Reihe nach:
Ein Stallumbau hätte zu viel gekostet
1997 hat Franz Egle ausgesiedelt. Damals hat er außerhalb des Dorfes eine äußerst kostengünstige Halle (Zimmermanns-Konstruktion mit Trapezblech) errichtet und diese mit einem AutoTandem-Melkstand bestückt. Der neue Laufstall bot 70 Kühen Platz. Im Lauf der Jahre wurde die Herde jedoch sukzessive aufgestockt, bis auf 85 Kühe. Der Stall drohte irgendwann aus allen Nähten zu platzen. Zudem war damals schon absehbar, dass der Melkstand einer grundlegenden Sanierung unterzogen werden musste. Diese wurde vom Melktechnikservice mit 70.000 € veranschlagt. Zu teuer befand Franz Egle, wenn schon in Melktechnik investieren, dann doch besser in Arbeitszeit sparende Technik. So kam das Thema Melkroboter auf den Tisch. Nachgedacht hat die Familie zunächst über einen Stallanbau mit zwei AMS. Doch auch dieser Plan wurde nach gründlichen Überlegungen wieder verworfen, da Aufwand und Ertrag nicht in einem zufriedenstellenden Ergebnis standen.
Liegestuhl-Stall
Letztlich entschied sich die Familie dann im Jahr 2018 dazu, richtig Geld in die Hand zu nehmen und in einen „Liegestuhl-Stall“ zu investieren. Gemeint ist damit eine schlüsselfertige Bauweise.
Der neue, sechsreihig ausgeführte Kuhstall besticht auf den ersten Blick durch viele technische Raffinessen: Einstreuroboter (für beide Ställe), automatischer Futteranschieber, drei AMS, Großraumventilatoren, ein System zur Kuhortung, einen Güllestaubsauger, emissionsarme Laufflächen sowie einen Laufhof. Gerade im Test ist zudem eine neuentwickelte Steuerung, welche die Curtains, Lüfter, die Leuchten und den Einstreuroboter zentral steuert. Gefüttert wird noch mit dem Selbstfahrer – noch, den Junior Maximilian Egle beschäftigt sich gedanklich bereits mit einer automatischen Fütterung.
Natürlich hat solch ein Kuhstall seinen (stolzen) Preis. Rund 15.000 € kostete der Kuhplatz. Ich habe Franz Egle gefragt, wieso er und seine Familie so viel Geld in die Hand genommen haben? Eigentlich müsste doch ein moderner Kuhstall günstiger zu errichten sein? Hinzu kommt, dass ich Franz Egle immer als sehr spitz kalkulierenden (der Kuhplatz im ersten Laufstall kostete mit knapp 5.000 € nur ein Drittel) und auch großen Wachstumsschritte eher skeptisch gegenüberstehenden Betriebsleiter eingeschätzt habe.
Schnell Lehrgeld gezahlt
„Letztlich sind die Stückkosten entscheidend“, erklärt mir der Betriebsleiter. „Im neuen Stall können wir eine hohe Milchmenge pro Kuh melken und Dank des hohen Automatisierungsgrades, das auch fast ausschließlich mit familieneigenen Arbeitskräften.“ Neben den Betriebsleitern Franz und Maximilian versorgen noch Ehefrau Gerda und eine festangestellte Hilfskraft den Tierbestand. Wobei Gerda Egle sich auch noch um die Milchtanke und die Käseproduktion kümmert (dazu später mehr).
Letztlich sind die Stückkosten entscheidend“
Franz Egle
Sicher, der Stallneubau wurde im Rahmen von EIP-Agri (siehe Seite 13) umfangreich gefördert. Insgesamt sind 180.000 € an zusätzlichen Fördermitteln auf das Konto des Laurenzenhof geflossen. Ehrlicherweise muss aber erwähnt werden, so Franz Egle, dass unter dem Strich mehr Geld ausgegeben wurde, um die hohen Anforderungen des EIP-Programms erfüllen zu können. Hinzu kommt, dass sich einige Innovationen als flopp erwiesen haben. So musste z. B. bereits ein Teil des emissionsarmen Gummibodenbelags schon wieder ausgetauscht werden, da die Kühe nicht damit zurechtgekommen sind. Auch hat sich herausgestellt, dass die Bewässerung der Laufflächen nicht den gewünschten Effekt bringt. Aber solche Effekte muss man nun mal einkalkulieren, wenn man sich als Vorreiter in Sachen Tierwohl verdingt. „Nur Schade, dass sich die verantwortliche Firma, die den Bodenbelag eingebaut hat, jetzt aus der Verantwortung stiehlt“, ärgert sich Franz Egle. Denn so wird die Familie für den Austausch des Gummibodens (15.000 €) wahrscheinlich selbst aufkommen müssen..
EIP-Stall
Die Europäische Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-Agri) ist ein Förderinstrument der EU mit dem Ziel, Innovationen im Agrarsektor zu stärken. In Baden-Württemberg werden u.a. innovative Bauprojekte in der Rinderhaltung unterstützt, sofern die Konzepte eine nachhaltige Betriebsentwicklungen fördern, die zur Existenzsicherung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit beiträgt. Bei der praktischen Umsetzung müssen Zielkonflikte gelöst und innovative Lösungen entwickelt werden, u.a. in den Bereichen
· Reduzierung von Emissionen
· Strukturierung von Haltungssystemen
· Verbesserung des Tierwohls
· Nachhaltigkeit mit den Aspekten Ökologie, Ökonomie und Soziales und Öffentlichkeitsarbeit.
Keine vierte Melkbox mehr!
Eine weitere Aufstockung der Kuhherde wäre theoretisch zwar möglich, der Platz für eine vierte AMS-Melkbox ist vorhanden, doch diese Investition wollen Egles aktuell nicht mehr tätigen! Mehr Kühe würden womöglich das fragile Produktionssystem sprengen. Wichtiger als ein paar zusätzliche Kühe zu melken, ist den Betriebsleitern das Anliegen, die Wertschöpfung zu erhöhen und nicht in die Arbeitsfalle zu geraten.
Um diese Ziele erreichen zu können, wurde der alte Kuhstall in das Produktionssystem eingebunden. Auch hier wird z.B. automatisch eingestreut. Zudem ist dort auch noch der halbe Auto-Tandem in Betrieb. So können dort die Frischabkalber und euterkranke Kühe schnell gemolken und gegebenenfalls auch behandelt werden, so dass diese Tiere im neuen Stall nicht den „Verkehr“ aufhalten. Mittlerweile haben sich nämlich die Kühe und die drei AMS miteinander arrangiert. Es läuft rund, auch der Zellgehalt hat sich wieder auf dem alten Niveau von 150.000 Zellen/ml Milch eingependelt.
Milchtanke und mobile Käserei
Ein richtiger Hingucker ist die Milchtanke auf der alten Hofstelle im Dorf. Die moderne, offene Bauweise und die Sitzgelegenheiten davor erinnern mich schon fast mehr an ein Fast Food-Restaurant als an eine Milchtankstelle. Seit April 2018 kann dort über 24 Stunden hinweg Frischmilch abgefüllt werden. Wer seine Milchflasche vergessen hat, kann im Automaten Flaschen zukaufen. Aber auch Käse und Wurst aus der eigenen Herstellung lassen sich dort ebenso im Automaten ziehen wie fertige Milchdrinks und Eier aus Freilandhaltung. Interessant ist die Geschichte des Käses (Dr Hoildenger), den es in den Sorten Tilsiter und Bergkäse gibt. Christian Merk, ein Käsemeister aus dem Allgäu kommt im Abstand von etwa sechs Wochen mit seiner „mobile Käserei“ auf den Laurenzenhof und verkäst dort in seinem LKW insgesamt drei je 800 Liter fassende Kessel. Durch Zugabe verschiedener Kräuter ist für jeden Geschmack immer etwas im Angebot. Die fertigen Käselaibe nimmt er anschließend mit ins Allgäu, nach Kimratshofen, wo sie in einem speziellen Reifelager das typische Käsearoma erhalten. Beim nächsten Besuch in Hailtingen bringt Christian Merk den fertig gereiften Käse wieder dorthin mit zurück. Auf dem Hof wird er dann von Gerda Egle portioniert, verpackt und in den Automaten zum Verkauf angeboten.
Wer aber glaubt, eine solche Milchtanke läuft von allein, irrt. „Gerda steckt da viel Herzblut rein“, weiß Franz Egle, „mehr als 1,5 Stunden täglich.“ Als ich ihn nach dem Profit frage, antwortet er augenzwinkernd. „Das ist mehr ein Hobby als ein Betriebszweig!“ Aber für die Familie ist das völlig ok, denn Öffentlichkeitsarbeit wird auf dem Laurenzenhof großgeschrieben. Berufskollegen und Besuchergruppen sind immer willkommen. Und wer Franz Egle erstmal kennengelernt hat, der merkt schnell, dass eine Diskussion mit ihm immer wieder bereichernd ist.
Betriebsspiegel
175 Kühe
12.000 kg Milch
85 Hektar, davon 25 ha Grünland, Gülle wird über Abnahmeverträge abgegeben.
3,5 Ak
Milchtanke, Käseherstellung
Das hat uns besonders beeindruckt:
- Die erfolgreiche Betriebsentwicklung
- Das Verkäsen der Milch im Lohn und die Direktvermarktung (Milchtankstelle)
- Die guten produktionstechnischen Zahlen (hohe Milchleistung, geringe Zellzahlen)
- Das hohe Maß an Tierkomfort