Ein heller Kuhkopf mit einer großen weißen Blesse und Hörnern schiebt sich langsam durch den schmalen Schlupf. Der Kopf bewegt sich neugierig nach links und rechts. Ein kleines Kalb stakst heran, streckt den Kopf und schnuppert.
Kühe und Kälber leben auf dem Hofgut Eichigt bei Plauen im sächsischen Vogtland eng beieinander. Denn hier auf dem Milchkuhbetrieb mit rund 1.500 Holstein-Kühen werden seit drei Jahren alle Kälber konsequent direkt an der Kuh aufgezogen. Verantwortlich für die Kühe und Kälber ist Herdenmanagerin Aneka Meinel, die auch bei der Planung des neuen Stalls inklusive kuhgebundener Aufzucht tatkräftig mitgearbeitet hat.
Biologisch-dynamische Erzeugung
Das Hofgut Eichigt ist ein ökologisch wirtschaftender Milchkuhbetrieb mit insgesamt rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 15 Auszubildenden. Auf dem Hofgut werden neben den Kühen sowohl Weideochsen und -färsen als auch junge Bullenkälber zur Kälbermast gehalten. Das Hofgut Eichigt wird seit 2015 als Teil der dennree Gruppe* bewirtschaftet und ist Biokreis- und Bioland-zertifiziert.
Betriebsspiegel
· Kühe: 1.500
· Leistung: 8.500 kg
· Fläche: 4.500 Hektar
· MitarbeiterInnen: 130 und 15 Auszubildende
· Biokreis und Bioland-zertifiziert
Aufzucht-Pioniere
Nicht allein wegen ihrer Größe, vor allem wegen der Haltung der horntragenden Kühe, der kuhgebundenen Aufzucht und den darauf zugeschnittenen neuerbauten Ställen leistet das Hofgut echte Pionierarbeit in der ökologischen Milchkuhhaltung. Neben 7,5 zweireihigen Laufställen (zwei Gruppen pro Laufstall; insgesamt 16 Gruppen) mit Tiefboxen und direktem Weidezugang für die laktierenden Kühe, beeindruckt vor allem der Stall für die kuhgebundene Kälberaufzucht. Ein ausgeklügelter Stall, den es so wahrscheinlich in Deutschland noch nicht zu sehen gibt.
Die Aufzucht der Kälber erfolgt in zwei nebeneinander liegenden Ställen. Im ersten Stall sind die Close up-Kühe sowie die kalbführenden Kühe in den ersten drei Monaten nach der Kalbung untergebracht. Im zweiten Stall stehen Ammenkühe sowie deren Kälber während des vierten Lebensmonats bis zum Absetzen.
Wir haben uns angeschaut, wie dieses System funktioniert.
Kühen Schutzraum bieten
Die hochtragenden Kühe sind auf Stroh aufgestallt und kalben in der Gruppe ab. „Seitdem wir die Kühe zur Kalbung nicht mehr separieren, haben wir kaum noch Probleme bei den Kalbungen,“ erklärt Herdenmanagerin Aneka Meinel.
Damit die Kühe sich dennoch etwas geschützt ablegen können, hat Meinel unten an den seitlichen Absperrgittern der Buchten ehemalige Förderbahngummis anbringen lassen. Ein zweiter wichtiger Effekt ist, dass die Kälber nicht mehr unter den Gittern hindurch in das angrenzende Abteil beim Ablecken nach der Geburt gedrückt werden können.
Man muss das Einzeltier im Auge behalten.“
Aneka Meinel
Nicht nur die Gummis zeigen, wie viel Gedanken man sich hier um Kühe und Management macht. Denn die frischgeborenen Kälber und deren Mütter erhalten von den Mitarbeitern direkt nach der Geburt auch von der Nachtschicht eine identische Markierungsnummer an deren Halsbänder gehängt. Die Herdenmanagerin weiß dann beim Einziehen der Ohrmarken am nächsten Morgen genau, welches Kalb zu welcher Kuh gehört.
Fünf Tage bei der Mutter
Nach der Kalbung werden die Kühe mit ihrem eigenen Kalb erst einmal in den nächsten Strohbereich umgestallt. Hier können die Kälber in Ruhe das Saufen am Euter bei der eigenen Mutter lernen. Aber dem Zufall überlassen wird hier auf Hofgut Eichigt nichts! Denn die Biestmilch wird in den ersten Lebensstunden über eine Kannenmelkanlage ermolken und dann dem Kalb mit dem Eimer getränkt.
„Wie überall in der Kälberaufzucht hat auch bei uns die Versorgung der Kälber mit Immunglobulinen höchste Priorität. Deshalb prüfen wir die Kolostralmilch mithilfe des Refraktometers. Reicht die Qualität nicht aus, wird eingefrorene Biestmilch aufgetaut“, so Aneka Meinel.
In diesem Stallabteil werden die Kühe dann über eine Rohrmelkanlage gemolken, weil der Durst der frischgeborenen Kälber für die vorhandene Milchleistung (ca. 8.500 kg Jahresmilchleistung/Kuh) nicht ausreicht. Außerdem schauen sich die Mitarbeiter die Kühe im Fressgitter beim Melken ganz genau an. Wie sieht es mit Stoffwechsel- und Eutergesundheit aus? Nur eine gesunde Kuh kann ein Kalb ausreichend ernähren.
Insgesamt fünf Tage verbleiben Mütter und Kälber in diesem Bereich, währenddessen aus einer Gruppe von drei Kühen jeweils eine Kuh als Amme ausgesucht wird. „Sie muss Muttereigenschaften zeigen, ruhig stehen, kein tiefes Euter aufweisen und nicht nach fremden Kälbern schlagen, dann passt es.“ Das heißt: Die Muttereigenschaften sind bei der Wahl der Amme das wichtigste Entscheidungskriterium!
Die Ammenkühe nehmen neben dem eigenen Kalb zwei weitere, fremde Kälber auf. Die übriggebliebenen Mütter gehen wieder in den Milchkuhstall der laktierenden Kühe und werden zweimal täglich im Melkkarussell gemolken. Zu diesem Zeitpunkt sei der Trennungsschmerz, vor allem bei den Kühen, etwas zu hören. Durch die weitentfernte, räumliche Trennung sei dieser aber schnell verflogen, so die Herdenmanagerin.
Sieben Tage in der Anlernphase
Eine Mitarbeiterin des Hofguts Eichigt steht neben einer Kuh und streicht ihr im gleichbleibenden Rhythmus mit der rechten Hand über den Rücken. Gleichzeitig dockt ein Kalb von hinten durch die Beine an der linken Zitze an.
Das Anlernen der Ammen erfordert viel Fingerspitzengefühl.“
Aneka Meinel
Nach fünf Tagen bei der Mutter ziehen die Ammenkuh und ihre drei Kälber dann in ein nächstes Abteil um. In diesem Abteil haben die Kälber bereits das erste Mal die Möglichkeit sich von der Kuh über einen Schlupf abzusondern und in einen separaten Strohbereich zu legen. Durch diesen Schlupf können die Kälber ungehindert zwischen den Bereichen der Strohbucht wechseln, die Kühe hingegen halten sich nur in der vorderen Hälfte auf. In dieser Bucht befinden sich immer drei Ammenkühe mit insgesamt neun Kälbern. Die siebentägige Ammen-Anlernphase beginnt.
Die Frischmelker-Amme
Nicht nur die Auswahl der richtigen Amme erfordert viel Fingerspitzengefühl. „Auch für das Anlernen der Ammenkälber an die Kuh bedarf es viel Aufmerksamkeit, Geduld und Ruhe“, erklärt uns Aneka Meinel. Man müsse am Anfang immer darauf achten, dass die angenommenen Kälber gleichzeitig mit den eigenen saufen. Nur so kann man sichergehen, dass die angenommenen Kälber auch richtig versorgt werden
Milchvermarktung
Seit letztem Jahr betreibt das Hofgut Eichigt eine Bio-Hofmolkerei mit eigener Milchabfüllung. Dabei verzichten sie bei ihrer Milch auf die Homogenisierung, um die mechanische Belastung der Milch so gering wie möglich zu halten. Innerhalb eines Tages ist die Frischmilch dann in den Denns BioMärkten und BioMärkten im gesamten Bundesgebiet verfügbar.
Während der Planung war Aneka Meinel davon ausgegangen, dass sie die Kälber mit altmelken Kühen versorgen könnten. Doch bereits nach drei Wochen mussten sie sich eines Besseren belehren lassen. Denn die altmelkenden Kühe, die ca. 20 l gaben, kannten es zum damaligen Zeitpunkt nicht, dass Kälber an ihnen saufen und haben sie größtenteils weggestoßen. Gleichzeitig erlebten die Kälber eine Veränderung in der Zusammensetzung der Milch von Frischmilch zu Altmelker-Milch. Außerdem wussten die Kälber einfach nicht, zu welcher Kuh sie gehörten.
„Vielleicht sähe es jetzt anders aus, nachdem bereits viele Kühe Kälber gesäugt haben, aber wir möchten das jetzt nicht ändern“, so Aneka Meinel.
Großer Gruppenverbund
Nachdem die drei Ammenkühe mit ihren neun Kälbern die siebentägige Ammen-Anlernphase absolviert haben, ziehen sie auf die andere Stallseite in den Aufzuchtbereich um und kommen dort in einen größeren Herdenverbund.
Hier stehen in sechs Abteilen 16 Kühe mit jeweils 48 Kälbern. Die Abteile sind auch hier in einen reinen Kälberbereich, als Rückzugsort, und einen gemischten Bereich unterteilt. Die Kühe liegen in Tiefboxen. An jedem zweiten Fressplatz ist eine Abtrennung angebracht. So wollen sie sicherstellen, dass junge/rangniedrige Tiere auch ausreichend Fressen können.
Erfolgsfaktoren
- MitarbeiterInnen
- Offenheit für das Neue
- großzügige Stallsysteme, inklusive offenem Auslauf, Weidezugang und Außenklimastall
Wie in den anderen Bereichen auch, ist viel Aufmerksamkeit durch die MitarbeiterInnen vonnöten. „Wir dürfen in dieser großen Gruppe das Einzeltier nicht aus den Augen verlieren. Bei den Kälbern müssen wir aufpassen, dass es ihnen nicht schlecht geht. Auch bei den Kühen dürfen wir nichts übersehen. Liegen sie zu viel, weil sie Klauenprobleme oder eine Euterentzündung haben, dann können die Kälber nicht ausreichend saufen und zunehmen.“
Absetzen in zwei Stufen
Eine Mitarbeiterin öffnet das Tor, 48 Kälber laufen und springen in den Strohstall der Kühe. Nach und nach docken die großen Kälber bei den Kühen an.
Die Kälber werden im vierten Lebensmonat schrittweise abgesetzt. Nach dem Umzug in den zweiten Aufzuchtstall, bleiben sie noch zwei Wochen bei ihrer eigenen Amme. Anschließend werden die Ammen wieder in die Herde integriert, die Kälber dürfen dann noch zwei Wochen bei fremden Kühen mit saufen. In dem Moment saufen zwei Kälbergruppen zeitlich und räumlich voneinander getrennt abwechselnd an einer Ammenkuhgruppe: erst die eigenen Kälber, dann die Kälber der Vorgruppe (im Verhältnis Kuh zu Kalb: 1:6)
Festfutter nach sieben Tagen
Ab dem 7. Tag gibt es für die Kälber Heu, Trocken-Totalmischration (TMR) und Wasser zur freien Verfügung. Erst am Ende des dritten Lebensmonats gewöhnen sich die Tiere langsam an Silage. Zum Ende des 4. Lebensmonats ist das Absetzen abgeschlossen und die Tiere erhalten die vollständige Silage-Fütterung (TMR). Dann erst werden die weiblichen von den männlichen Kälbern getrennt.
Wie erfolgreich das Gesamtkonzept ist, lässt sich z.B. an dem frühen Erstkalbealter von knapp 25 Monaten ablesen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Jungrinder gut entwickelt und können in ihre erste Laktation starten.
„Das System funktioniert aber nur dann, wenn wir keine Überbelegung haben. Deshalb ist es enorm wichtig zwischen 120 und 140 Kalbungen pro Monat zu realisieren“, ist die Herdenmanagerin überzeugt. Neben den kontinuierlichen Abkalbungen ist auch die großzügige Aufstallung ausschlaggebend dafür, dass die Aufzucht funktioniert. Denn im Stall gibt es keine Sackgassen, auch sind die Fressgänge mit 5 m Breite ausreichend, damit sich die horntragenden Kühe aus dem Weg gehen können.“
Ammenkühe auf der Weide
Die Pionierarbeit macht sich bezahlt. Immer mehr Unis und Forschungseinrichtungen treten mit Hofgut Eichigt wegen Projekten, z.B. in Form von Abschlussarbeiten etc., in Kontakt. „Und dass, obwohl wir so weit vom Schuss liegen“, freut sich Aneka Meinel. Der Weg für eine erfolgreiche Kälberaufzucht ist somit geebnet. Aber am Ende der Reise sind sie auf Hofgut Eichigt noch lange nicht angekommen. „Wir möchten künftig die Ammenkühe mit Kälber auf der Weide halten“, sagt Aneka Meinel und strahlt.
Das hat uns beeindruckt:
- Ein kuhgebundene Kälberaufzucht mit einem klar durchdachten System
- System wurde selbst erarbeitet und ist zum „Nachahmen“ geeignet
- Das Auge für die Tiere
- Weidehaltung für alle Tiere
- Hohe Leistungen von 8.500 kg trotz kuhgebundener Aufzucht
- Eine erfolgreiche Kälberaufzucht mit einem EKA von 25 Monaten
*Die dennree Gruppe ist das führende Bio-Fachhandelshaus im deutschsprachigen Raum mit Stammsitz im oberfränkischen Töpen. Zur 1974 gegründeten Unternehmensgruppe gehört unter anderem der Bio-Facheinzelhandel Denns BioMarkt.