Das Schlagwort Nachhaltigkeit ist zwar in aller Munde, doch es ist nur schwer greifbar. Viele Menschen verbinden denn auch Nachhaltigkeit ausschließlich mit Umweltaspekten, wie dem CO₂-Fußabdruck oder einer nachhaltigen Tiergesundheit. Aber – das wird oft vergessen - zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung gehören auch eine ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Denn was hilft Umwelt- und Tierschutz auf den Milchkuhbetrieben, wenn die Rentabilität nicht passt oder die Milcherzeuger in...
Das Schlagwort Nachhaltigkeit ist zwar in aller Munde, doch es ist nur schwer greifbar. Viele Menschen verbinden denn auch Nachhaltigkeit ausschließlich mit Umweltaspekten, wie dem CO₂-Fußabdruck oder einer nachhaltigen Tiergesundheit. Aber – das wird oft vergessen - zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung gehören auch eine ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Denn was hilft Umwelt- und Tierschutz auf den Milchkuhbetrieben, wenn die Rentabilität nicht passt oder die Milcherzeuger in Arbeit untergehen.
Genau an diesem Punkt setzt das Programm RISE (Response-Inducing Sustainability Evaluation) an, das an der Fachhochschule in Bern entwickelt wurde, um die Nachhaltigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes gesamtheitlich zu beurteilen. Um mehr über dieses Programm zu erfahren, haben wir den Berater Poul Erik Nielsen (Beratungsunternehmen LandboSyd, Dänemark) bei einem Nachhaltigkeits-Check auf dem Milchkuhbetrieb von Gert van Heuvel in Løgumkloster (Dänemark) begleitet.
Die Schwächen aufdecken
Um die Nachhaltigkeit seines Milchkuhbetriebes so genau wie möglich erfassen zu können, bedurfte es im Vorfeld viel Arbeit. So startete der Berater mit einem Betriebsrundgang, damit er sich einen ersten Überblick über den Milchkuhbetrieb von Gert van Heuvel und die Betriebsführung verschaffen konnte. Anschließend erfolgte ein drei- bis vierstündiges Interview des Betriebsleiters van Heuvel und seines Mitarbeiters durch den Berater Nielsen.
- Kühe: 160 Jerseykühe, ökologische Bewirtschaftung seit 2016
- Leistung: 8.628kg ECM (Energie-korrigierte Milch)
- 100 ha Ackerfläche (Zukauf ökolog. produziertes Futter möglich)
- 45 ha Grünland
- Arbeitskräfte: Betriebsleiter, zwei ukrainische Mitarbeiter
In Dänemark werden die Kosten für diesen umfangreichen Check derzeit für einige Betriebe vom dänischen Staat übernommen, um sie dazu zu motivieren, sich ein Bild über ihre nachhaltige Produktion zu machen bzw. diese zu verbessern. Auch Bio-Molkereien empfehlen ihren Lieferanten einen Check. Durch den enormen zeitlichen Aufwand für die Beratung ist die RISE-Analyse jedoch nicht günstig. So berechnen die dänischen landwirtschaftlichen Beratungsorganisationen momentan insgesamt knapp 2.000 € für eine ausführliche Analyse.
Die Kostenübernahme war für Gert van Heuvel jedoch nicht der ausschlaggebende Grund, den Betrieb analysieren zu lassen: „Wir nehmen an RISE teil, weil ich sehen will, wo unsere Stärken liegen und aber natürlich vor allem, wo unsere Schwächen liegen.“ Dabei ist Gert van Heuvel die Nachhaltigkeit seiner Milchproduktion ohnehin schon wichtig, im Jahr 2016 stellte er seinen Betrieb mit 160 Jerseykühen auf eine ökologische Bewirtschaftung um. Dennoch macht das RISE-Programm für ihn Sinn, da es neben ökologischen Faktoren auch betriebswirtschaftliche Kennzahlen und soziale Kennwerte unter die Lupe nimmt. „Ich hoffe, dass ich mit einigen geringfügigen Anpassungen eine viel nachhaltigere Produktion erreichen kann“, fasst Gert van Heuvel seine Erwartungen an die Analyse zusammen.
Insgesamt 400 Fragen
Um das Interview so effizient wie möglich zu gestalten, wertete Berater Poul Erik Nielsen vor dem Gespräch mit dem Betriebsleiter alle ihm bereits zur Verfügung stehenden Betriebsdaten aus. Dabei blieben von den 400 vom RISE-Programm geforderten Fragen ca. 200 offene Punkte übrig. Zunächst holte Berater Nielsen jedoch eine Einschätzung des Milcherzeugers ein, wo dieser die Vor- bzw. die Nachteile seiner Produktion sieht.
„Unsere Betriebsgröße und das Angebot an Weideland sind für eine ökologische Bewirtschaftung passend“, ist sich Gert van Heuvel sicher. „Auch der Futterzukauf ist in unserer Gegend kein Problem, da es hier einige Bio-Betriebe gibt.“ Als schwierig für seinen Betrieb sieht er jedoch, dass der Absatz von Bio-Milch nur noch langsam wächst. „Die Zahl der sehr bewusst einkaufenden Verbraucher, die sich für Milchalternativen anstatt für Bio-Produkte entscheiden, nimmt stetig zu. Das könnte sich langfristig negativ auf den Bio-Milchpreis auswirken.“ Einen weiteren kritischen Aspekt sieht van Heuvel in der Vermarktung der Bullenkälber. „Wir setzen zwar Fleischrassen ein, dennoch ist es sehr schwierig die männlichen Kälber zu verkaufen.“
Nach dieser ersten Einschätzung hat Berater Poul Erik Nielsen zehn weitere Kernbereiche unter die Lupe genommen und ist diese mit dem Milcherzeuger durchgegangen. Dazu gehören neben den typischen Nachhaltigkeitskriterien wie Nährstoffflüsse, Klima und Biodiversität auch Tierhaltung, Betriebsführung, Wirtschaftliche Lebensfähigkeit, Lebensqualität, Arbeitsbedingungen und Wasser- und Bodennutzung. Diese Themen werden dann mithilfe von verschiedenen Indikatoren genauer analysiert. Hier einige Beispiele aus Gert van Heuvels Interview:
Lebensqualität/Arbeitsbedingungen: Zu den Indikatoren, die für diese Beurteilung herangezogen werden, gehören, wie die Mitarbeiter ihre Weiterbildungsmöglichkeiten und ihre ökonomische Situation einschätzen. Auch nach möglichen Stressoren für die Mitarbeiter wird gefragt. Daneben sollen die Landwirte Auskunft über ihre Belastungen, Auszeiten bzw. Urlaube geben. Um aufnehmen zu können, wie es um die Lebensqualität auf dem Betrieb Heuvel bestellt ist, interviewt der Berater nicht nur den Milcherzeuger selbst, sondern auch einen seiner Mitarbeiter. Gert van Heuvel beispielsweise schätzte seine Arbeitsbelastung hoch (12 bis 13 Stunden pro Tag) ein. Da van Heuvel vor ca. 25 Jahren aus den Niederlanden ausgewandert ist, ist es ihm und seiner Frau wichtig, Zeit für alle Familienfeiern in der alten Heimat zu haben. „Deshalb machen wir auch mehrere Kurzurlaube.“ Die Möglichkeiten, Auszeiten zu nehmen, schwanken jedoch von Jahr zu Jahr, da die ukrainischen Mitarbeiter jährlich wechseln (befristete Arbeitserlaubnis). Gert van Heuvels jetziger Mitarbeiter ist mit seiner finanziellen Situation und der Arbeitsbelastung zufrieden (Anmerk. der Redaktion: In Dänemark gibt es Mindestlöhne und Arbeitszeitregelungen für ausländische Mitarbeiter).
Tierhaltung: Hier werden Daten zum Management (Fruchtbarkeitkennzahlen, …), zur Produktivität und zum Kuhkomfort abgefragt. Es ist entscheidend, ob die Bedürfnisse der Tiere, z. B. ausreichend Licht und Luft, erfüllt werden. Gert van Heuvels Jerseykühe weisen mit 8.628 kg ECM (Energie-korrigierte Milch) eine sehr gute Milchleistung auf. Auch der Kuhkomfort ist optimal, da jeder Kuh ein Liegeplatz zur Verfügung steht und die Kühe den gesamten Sommer über täglich mehr als sechs Stunden auf die Weide kommen.
Wirtschaftliche Lebensfähigkeit: In diesem Themenkomplex werden Liquidität, Rentabilität und der Verschuldungsgrad der Betriebe untersucht. Darüber hinaus wird abgefragt, wie die Zukunftsstrategien der Betriebsleiter aussehen. „Die Liquidität war in den vergangenen zwei Jahren durch die trockenen Sommer auch bei uns sehr angespannt. Zwar konnten wir ausreichend Futter zukaufen, aber nur zu sehr hohen Preisen“, fasst Gert van Heuvel zusammen. Die größte Herausforderung für den 55-jährigen Betriebsleiter ist das Auslaufen des Milchkuhbetriebes in fünf Jahren. Da er sein Unternehmen nicht an die nächste Generation weitergeben kann, hat er begonnen, nach möglichen „Ausstiegsstrategien“ zu suchen.
Auswertung auf einen Blick
Nach dem Interview und der Sichtung aller wichtigen Betriebskennzahlen verrechnet das RISE-Programm mithilfe einer Software die Betriebsdaten mit den im System hinterlegten Referenzdaten aus der Region. Das ist in Dänemark gut möglich, da ein großer Anteil der Milchkuhbetriebe der Betriebsberatung angeschlossen ist und somit eine gemeinsame Datenbank nutzt. Als Ergebnis erhält Gert van Heuvel den Nachhaltigkeitsgrad der einzelnen Bereiche. Dabei steht der Wert 100 für ein sehr nachhaltiges Management und 0 für eine nicht zu akzeptierende Situation. Diese Ergebnisse werden auch in einem Polygon dargestellt, mit dessen Hilfe man auf einen Blick direkt erkennen kann, wo die Betriebsführung besonders gut ist bzw. wo es Handlungsbedarf gibt. Dabei gibt die Farbe rot an, dass großer Bedarf besteht, in diesem Bereich etwas zu verändern. Ist ein Punkt im grünen Bereich, weist dies auf eine optimale Nachhaltigkeit hin.
Am Ende der Betriebsanalyse wird Gert van Heuvel einen ausführlichen, 30-seitigen Abschlussbericht erhalten, den Berater und Betriebsleiter noch einmal im Detail diskutieren werden. Dabei wird er gemeinsam mit Berater Poul Erik Nielsen auch festlegen, in welcher Reihenfolge die Maßnahmen umgesetzt werden können.
Die erste Einschätzung von Poul Erik Nielsen ist, dass Gert van Heuvel besonders nachhaltig in den Bereichen Bodennutzung, Tierhaltung und Nährstoffflüsse ist. Was natürlich größtenteils an der ökologischen Bewirtschaftung liegt. Aber auch das Tierwohl in Heuvels Betrieb wird von dem Berater als hoch eingestuft.