Die Schwanzspitzennekrose kennt man v.a. aus der Bullenmast der Vergangenheit. Ungünstige Haltungsbedingungen führten dazu, dass Tiere sich gegenseitig auf den Schwanz traten und diesen verletzten (offene Wunden, Brüche).
Eindringende Bakterien führten zu aufsteigenden Entzündungen bis hin zum Absterben von Gewebe (Nekrose), was umgehend behandelt werden musste und ggfs. eine Amputation und / oder den Einsatz von Antibiotika...
Die Schwanzspitzennekrose kennt man v.a. aus der Bullenmast der Vergangenheit. Ungünstige Haltungsbedingungen führten dazu, dass Tiere sich gegenseitig auf den Schwanz traten und diesen verletzten (offene Wunden, Brüche).
Eindringende Bakterien führten zu aufsteigenden Entzündungen bis hin zum Absterben von Gewebe (Nekrose), was umgehend behandelt werden musste und ggfs. eine Amputation und / oder den Einsatz von Antibiotika nach sich zog. Sonst drohte die entzündungsbedingte Querschnittslähmung.
Fallen Milchkühe mit Schwanzverletzungen auf, wird die Ursache meist bei den Haltungsbedingungen (Hohe Belegdichte, Faltschieber, Kuhbürste) gesucht.
Der Faltschieber ist nicht immer schuld
Wissenschaftlerinnen von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf bezweifeln, dass Schwanzverletzungen immer von außen durch mangelhafte Haltungsbedingungen entstehen. In der Literatur werden neben den Haltungsbedingungen nämlich auch andere Ursachen für schwere Entzündungen (Nekrosen) am Schwanz beschrieben.
Zum Beispiel führen Mykotoxine, Pansenazidosen, die Mobilisation von Körperfett und Hitzestress dazu, dass Entzündungsprozesse im Tierkörper ablaufen, die die Blutgefäße vor allem im Endstromgebiet (Schwänze, Klauen, Ohren) so schädigen können, dass es bedingt durch Minderdurchblutung zu schweren Entzündungen oder schlimmstenfalls zum Absterben des Körperteils kommt.
Beim Schwein ist das "Swine inflammation and necrosis syndrome" (SINS) beschrieben, das Schwänze, Ohren, Zitzen und Klauen befällt. Bei Milchkühen gibt es bisher zu Veränderungen an den Schwänzen nur wenig Informationen und Studien haben oft nur kleine Stichprobengrößen oder uneinheitliche Bewertungssysteme.
Scoring Schema entwickelt
In einer umfangreichen Studie haben sich die Triesdorfer die Kuhschwänze von Milchkühen ganz genau angesehen. In einer ersten sechsmonatigen Phase wurden bei 75 Kühen mit einer durchschnittlichen Leistung von 10.100 kg alle Schwanzquasten geschoren und die Tiere alle 14 Tage untersucht.
Aus allen erfassten Veränderungen wurde ein Scoring-System erarbeitet. Die Art der Veränderungen reichte von Schwellungen, haarlosen Stellen, rissiger Haut, Schuppen, Krusten und Achsabweichungen (Knick im Schwanz) bis hin zu ringförmigen Veränderungen.
Ähnliche, ringartige Einschnürungen werden u.a. auch bei o.g. SINS des Schweines beschrieben. Diese Veränderungen zeigten verschiedene Ausprägungen. Sowohl reizlose, haarlose Ringe, Einschnürungen, die blutig wurden, bis hin zum Teilstückverlust/Amputation.
Das entwickelte Bonitur-Schema (DTS: dairy tail score) umfasst sechs Gruppen von Veränderungen:
1. Schwanzspitze: Haarlos, blutig, schuppig, nekrotisch
2. Ringförmige Veränderungen: Haarlos, blutiger, eingezogener Ring, Teilverlust
3. Schwellungen
4. Verdünnungen, Achsabweichung
5. Schuppen
6. Warzenartige Zubildungen
Mehrzahl der Kühe betroffen
In einem zweiten Teil der Studie wurden insgesamt fünf Herden (dreimal Holstein, zweimal Fleckvieh) gescored. Insgesamt konnten hierbei 4443 Kuhschwänze begutachtet werden. Dabei ergab sich je nach Schweregrad (1-mild, 2-moderat, 3-schwer, 4-Nekrose, Amputation) folgendes Ergebnis: Die Häufigkeit (Prävalenz) der Veränderung lag zum Untersuchungszeitpunkt je nach Herde zwischen 74 und 99%.
Die Ergebnisse bestätigten das erstellte Scoring-System, da in 4.443 beurteilten Schwänzen keine Veränderungen gefunden wurden, die nicht im Schema erfasst werden konnten.
Da in den untersuchten Herden, die große Mehrheit aller Tiere beider Rassen Veränderungen am Schwanz zeigten, die mit Gewebsschäden und somit Schmerzen einhergehen, laufen derzeit weiterführende Untersuchungen, die mögliche Ursachen und Zusammenhänge mit Stoffwechselstörungen und -belastungen aufklären sollen.
BINS: Bovines Inflammations- und Nekrose-Syndrom
Im Rahmen des Projektes TINCa Dairy (gefördert durch die Tönnies Forschung) soll somit u.a. die Schwanzspitze der Milchkuh als möglicher Tiergesundheitsindikator etabliert und zu ergreifende Gegenmaßnahmen formuliert werden. Sollten die Untersuchungen den Verdacht auf das Vorhandensein eines Bovinen Inflammations- und Nekrose-Syndroms (BINS), ähnlich wie beim Schwein (SINS), bestätigen, wird das Scoring der rasierten Kuhschwänze in Zukunft ein wichtiger Indikator für Tiergesundheit und Tierwohl in Milchviehherden werden.
Genomanalyse: SINS & BINS
Für eine erste Untersuchung auf mögliche genetische Ursachen der Veränderungen am Kuhschwanz von Kühen wurden 167 genotypisierte Holstein-Kühe (DH) über 10 Monate ab der Kalbung monatlich in Bezug auf die beschriebenen Veränderungen am Schwanz hin untersucht (Phaenotypisierung). Anschließend wurden SNP-Marker im Genom mit den beschriebenen Veränderungen in Beziehung gesetzt. Hierbei wurden insgesamt 51 Top-Marker auf 18 unterschiedlichen Chromosomen gefunden.
Besonders interessant erwies sich der anschließende Vergleich mit SINS. Der Phänotyp "Schuppen/Hyperkeratosen" konnte zum Beispiel mit dem Gen CCDC122 in Verbindung gebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Gen, dem im Leber-Stoffwechsel von Schweinen mit SINS Symptomen eine zentrale Bedeutung zukommt. Dieser erste Einblick in die Genomanalyse bei DH Kühen in Bezug auf die beschriebenen Veränderungen am Schwanz trägt zu dem Verdacht bei, dass es sich auch beim Rind beim Auftreten der beschriebenen Veränderungen um ein generalisiertes Entzündungs- und Nekrosesyndrom handeln könnte.
Quelle: Vortrag und Poster von Prof. Prisca Kremer-Rücker, HS Weihenstephan Triesdorf auf dem WBC in Madrid 2022.
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