Lange Zeit galt das Herdenwachstum, eine Aufstockung auf 150 Kühe, 250 Kühe oder gar 500 Kühe als „cool“. Wer solche Wachstumsschritte in Angriff genommen hat, galt als risikofreudiger Macher und Unternehmer. Immer häufiger werden derartige Wachstumsschritte jedoch kritisch beäugt, nicht nur von Verbrauchern und NGO‘s (Stichwort Massentierhaltung), auch viele Milcherzeuger befürchten, in Zukunft 250, 400 oder noch mehr Kühe melken zu müssen, um die eigene Familie ernähren zu können.
Sicher ist, dass nur:
Solange die Milchpreise auf dem aktuell niedrigen Niveau verharren, werden die Gewinnmargen eng bleiben.
Auf vielen Milchkuhbetrieben stehen Investitionen zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben im mittleren sechsstelligen Bereich an, ohne dass dadurch auch nur ein Cent zusätzlicher Umsatz generiert wird.
Optimum pro Tier bei 75 bis 100 Kühen?
Da stellt sich die Frage nach der optimalen Herdengröße. Fakt ist, dass selbst überdurchschnittliche Leistungen im Kuhstall in den typischen Familienbetrieben (< 80 Kühe) längst keine Garantie mehr für ein ausreichendes Einkommen sind. Nicht gerade wenige Milcherzeuger sehen sich deshalb auch zum Wachstum gezwungen – obwohl sie eigentlich ihren Kuhbestand gerne „einfrieren“ würden. Sie befürchten, dass nach einer Aufstockung der Herde die Arbeitsfalle zuschnappt, sie über kurz oder lang zwischen Kuhstall und Familie aufgerieben werden.
Hinzu kommt, dass viele der sogenannten „Wachstumsbetriebe“ sich in Zeiten niedriger Milchpreise als anfällig gezeigt haben. Etliche Unternehmer konnten die hohen Kredite oft nicht mehr bedienen, Tilgungsaussetzungen waren an der Tagesordnung. Nicht selten mussten sogar zusätzliche (Überbrückungs)Darlehen in Anspruch genommen werden. Wann diese zurückgezahlt werden können, ist oft nimmer noch nicht geklärt. Ist das Modell des „traditionellen“ Familienbetriebes mit ein bis zwei Arbeitskräften (Betriebsleiterehepaar) und einer überschaubaren Kuhzahl (max. 80 bis 100 Kühe) letztlich dann doch das Nachhaltigere?
Optimum aktuell bei 120 Kühen
Die Antwort liefern letztlich die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der Buchführungsauswertungen. So ist aus der Testbuchführung in Baden-Württemberg zu entnehmen, dass Milchkuhbetriebe mit 75 bis 100 Kühen in den vergangenen sieben Jahren zwischen 45.207 und 100.976 Euro an Gewinn erzielt haben. Unterstellt man, dass zur Bewirtschaftung dieser Herdengröße 2,0 Ak erforderlich sind und jede Ak mit mindestens 40.000 Euro entlohnt werden muss, dann wurde nur in vier der sieben Jahre ein ausreichender Gewinn erzielt. Besser stehen die Unternehmen dar, die mehr als 100 Kühe melken. Allerdings waren auch hier die Schwankungen enorm (42.992 bis 138.143 Euro; Übersicht 1). ) Die größeren Betriebe hatten ein höheres absolutes Einkommen, allerdings muss man fairerweise hier mindestens eine halbe Arbeitskraft mehr ansetzen, wodurch sich das Bild doch deutlich relativiert. Die zusätzlichen Kühe fressen das zusätzliche Einkommen letztlich quasi (fast) wieder auf.
Gewinne im Jahresvergleich (BaWü)
Das hängt auch damit zusammen, dass der Arbeitszeitbedarf pro Kuh bis zu einem Bestand von 120 Kühen sinkt, auf etwa 30 Stunden pro Tier und Jahr. Bei mehr Kühen im Stall verringert sich der tägliche Arbeitsaufwand pro Kuh (in Süddeutschland!) nur noch geringfügig. Etwas anders kann sich die Situation in den Milchregionen im Nordwesten Deutschlands darstellen. Aufgrund der strukturellen Gegebenheiten können sich hier zu einer Herdengröße von 400 Kühen oft noch arbeitswirtschaftliche und damit auch monetäre Vorteile ergeben.
Grenzen des Wachstums erreicht?
Im Norden und Westen Deutschlands garantieren 120 Kühe derzeit noch ein ausreichendes (Familien)Einkommen (bei Milchproduktion als alleinigem Betriebszweig) – aber nur bei einem top Management im Kuhstall top gemanagt (10.000 kg Milch, 1,2 Mio. kg verkaufte Milch)! Wenn hingegen das Herdenmanagement nicht passt oder die Milchleistung deutlich unter der 10.000 kg-Schwelle liegt, dann wird es auch bei 120 Kühen eng (Übersicht 2).
120 Kühe garantieren ein gutes Einkommen im Norden
Wie wird sich die Situation aber in fünf oder in zehn Jahren darstellen? Schreibt man die strukturelle Entwicklung der Vergangenheit einfach linear fort, dann würden sich die Herdengrößen in den kommenden 15 bis 20 Jahren mindestens verdoppeln. Das würde konkret bedeuten, dass im durchschnittlichen Familienbetrieb im Nordwesten etwa 250 Kühe, im Süden Deutschlands 120 bis 150 Kühe gemolken werden. Ist das realistisch? Schließlich bremsen schon heute neue Auflagen immer häufiger eine Herdenaufstockung aus. Zudem werden in vielen Regionen schon jetzt keine größeren Kuhställe genehmigt, die mehreren hundert Kühen Platz bieten … oder nur mit extrem hohen, kaum erfüllbaren, Auflagen!
Getrieben wird der Strukturwandel und damit der Druck zu wachsen aber nicht nur durch immer neue gesetzliche Vorgaben und die durch die geringen Milchpreise, sondern auch durch den technischen Fortschritt. Moderne Maschinen und Stalltechnik erleichtern nicht nur das tägliche Arbeiten, sie ermöglichen eine hohe Produktivität. Nicht zuletzt deshalb wird die Milchproduktion auch immer kapitalintensiver, sie verlangt nach immer höheren Umsätzen. Und: Der Anteil der von Familienmitgliedern erbrachten Arbeitsleistung wird weiter abnehmen! Im Gegenzug wird Lohnarbeit zunehmen.
Unternehmen müssen nicht unbedingt groß sein, sie müssen stark sein
Wie gesagt, eine große Herde ist noch keine Garantie für eine erfolgreiche Zukunft! Ein Unternehmen muss nicht unbedingt groß sein, es muss stark sein! Denn große Betriebe mit mehreren hundert Kühen arbeiten in der Regel mit einem hohen Anteil Lohnarbeitskräften, Fremdkapital und Pachtflächen, die entlohnt werden wollen. Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg ist letztlich denn auch nicht die Anzahl der Milchkühe im Stall, sondern die Menge an verkaufter Milch pro Kuhplatz!
In vielen Kuhställen sind in diesem Punkt noch erhebliche (Leistungs)Reserven vorhanden. Ein Kapazitätswachstum ist oftmals auch ohne größere Investitionen in einen neuen Kuhstall noch möglich, wie das folgende Beispiel zeigt:
In einer Herde mit 100 Milchkühen und einer Durchschnittsleistung von 9.000 kg (verkaufter) Milch werden jährlich 900.000 kg Milch vermarktet. Gelingt es, die Herdenleistung auf 11.000 kg pro Kuh zu steigern, können 200.000 kg Milch mehr an die Molkerei verkauft werden. Bei einem Milchpreis von 32 Cent würde dies zu Mehreinnahmen von 64.000 € führen. Würde es gelingen, die Milchleistung um weitere 2.000 kg pro Kuh (auf 13.000 kg) zu steigern, könnten theoretisch insgesamt 400.000 kg mehr Milch mit der gleichen Anzahl Milchkühe (100) vermarktet werden.
Sicher lassen sich die zusätzlichen Erlöse nicht 1:1 abschöpfen, schließlich bedingen höhere Milchleistungen auch einen höheren Einsatz an Produktionsmitteln und eventuell auch noch Investitionen in Kuhkomfort und Technik. Aber dennoch kann diese Strategie „Qualität vor Quantität“ für viele Milchkuhbetriebe eine Zukunftsoption bedeuten, auch wenn sich solche Leistungssprünge nicht von heute auf morgen realisieren lassen. Unmöglich scheint dies in Zeiten von Genomics aber auch nicht mehr. Glaubt man den Äußerungen von Genetikern, so werden schon bald die ersten 20.000 kg-Kühe die Ställe bevölkern.
„Wer investiert, macht Fehler – wer nicht investiert, macht einen größeren Fehler!“
Laurence J. Peter
Eine Aufstockung der Kuhherde sollte deshalb immer erst ins Auge gefasst werden, wenn absehbar ist, dass keine weiteren Produktivitätssteigerungen im vorhandenen Stall mehr absehbar sind. Und dann gilt: Jede Investition muss Geld verdienen! Niedrigere Stallbaukosten und ein damit einhergehender geringerer Investitions- und Fremdkapitalbedarf sind deshalb unumgänglich. Unabhängig von der betrieblichen Strategie sollte die Kostenreduktion in der Produktion ein primäres Ziel der Betriebsführung sein (u.a. Auslagerung der Jungviehaufzucht).
Wichtig: Die stetige Verschärfung gesetzlicher Vorgaben zwingt geradezu dazu, eine hohe Flächenverwertung zu erzielen, denn Flächen werden – sofern überhaupt verfügbar – immer teurer. In so mancher Milchregion werden bereits mehr als 1.000 € Pacht für einen Hektar Futterfläche verlangt. Deshalb muss ein noch größeres Augenmerk als bislang schon auf den Futterbau, insbesondere aber auf die Bewirtschaftung des Grünlands, gelegt werden.
Viele Bauherren neigen dazu, ihre eigenen Möglichkeiten falsch einzuschätzen. Wer bauen will, sollte sich vor allem möglichst genaue Gedanken zu seinem Budget machen. Wie hoch darf die monatliche Rate für die Hausfinanzierung sein? Welche Eigenmittel sind wann vorhanden? Wie sind die eigenen Eigenleistungen einzuschätzen?
(Bildquelle: Damate)
Aufstockung: Diese Fehler sollten Sie vermeiden!
Wer (kräftig) seine Kuhherde aufstockt, kann man eine Menge Fehler machen, die Zeit, Geld und Nerven kosten und unter Umständen sogar die eigene Existenz bedrohen:
Viele Bauherren neigen dazu, ihre eigenen Möglichkeiten falsch einzuschätzen. Wer bauen will, sollte sich vor allem möglichst genaue Gedanken zu seinem Budget machen. Wie hoch darf die monatliche Rate für die Hausfinanzierung sein? Welche Eigenmittel sind wann vorhanden? Wie sind die eigenen Eigenleistungen einzuschätzen?
– nicht genug Eigenkapital vorhanden: Rund 35 % der Gesamtkosten sollten mit Eigenkapital abgedeckt werden können.
- unvollständige Planung: Betriebsleiter verhaspeln sich gerne in Details, kümmern sich aber zu wenig um ein schlüssiges Gesamtkonzept.
–Es fehlt ein konkreter Betriebsentwicklungsplan zur dynamischen Weiterentwicklung für die nächsten 10 bis 15 Jahre.
– Keine zeitnahe Kontrolle der laufenden Produktion (produktionstechnische Kennzahlen, Kosten)
– Keine Liquiditätsplanungen vor, während und nach der Expansion.
- Personelle Unterbesetzung in der Startphase, mit der Mitarbeitersuche wird erst nach der Aufstockung begonnen.