„Die Märkte kommen wieder ins Gleichgewicht“

Der Vorstandsvorsitzende des Milchindustrieverbands (MIV), Peter Stahl, hat sich im Interview mit dem Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben zur Situation der Milchmärkte und zum Thema Milchmengenreduktion im Krisenfall geäußert.

Zum Thema Markt: „Die Molkereien mit ihren Mitarbeitern und Milcherzeugern haben es gemeinsam mit großen Anstrengungen geschafft, die Bevölkerung auch in Zeiten von „Hamsterkäufen“ mit Milch und Milcherzeugnissen zu versorgen - ein wichtiger Beitrag zur Beruhigung der angespannten Situation.
Zunächst stockten die Märkte in Südeuropa und China. China hat sich wieder beruhigt, wenn auch die Containerkosten enorm gestiegen sind. Der Absatz Richtung Hotels, Gaststätten und Catering bleibt grundsätzlich schwierig; davon ist zum Beispiel Italien stark betroffen. Auch der Tourismus in Spanien fällt aus. Exporte in den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) im Binnenmarkt sind dagegen grundsätzlich gut.“
Zum Thema EU-Beihilfen und Private Lagerhaltung (PLH): „Ob die Beihilfe reicht, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie und der Einschränkungen ab. Zumindest ist die Maßnahme schnell wirksam - alle anderen Programme dauern länger, da kann der Markt schon wieder drehen.
Die Beihilfen für die PLH aus Steuermitteln sind zu rechtfertigen, da Brüssel an Beihilfen für die Private Lagerhaltung gerade mal 30 Mio Euro ausgibt. Bei jährlich 150 Mrd kg Milch in Europa ist das ein sehr überschaubarer Einsatz mit 0,02 Cent/kg Anlieferung. Und die Verantwortung für die Bestände bleibt bei der Milchwirtschaft, im Gegensatz zu Interventionskäufen der Europäischen Union.“

Peter Stahl, Vorstandsvorsitzender des Milchindustrie-Verbandes (MIV). (Bildquelle: Hochland/Photostudio Weimann)

Zum Thema Milchmengenreduzierung: „Wir sind nicht gegen eine freiwillige Mengenbegrenzung. Viele meiner Molkereikollegen haben dazu aufgerufen. Und wenn Brüssel ein solches Programm auf freiwilliger Basis anbieten würde, läge das in der Entscheidung der Milcherzeuger. Wir sind aber gegen verpflichtende Programme. Das funktioniert nicht! Eine Quote light wird es nicht geben. Das gehört in die Verantwortung der Molkereien mit ihren Landwirten.
Eines muss uns allen klar sein: Es gibt kein Politikelement, das die Folgen dieser Pandemie auf die Märkte kurzfristig neutralisieren kann. Mittel- und langfristig kommen Märkte durch Anpassung von Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht, auch ohne Eingriffe der Politik.“
Zum Thema Begrenzung von Preisschwankungen:Volatilität wird den Milchmarkt begleiten. Dagegen kann man sich versichern wie in anderen Märkten auch. Viele Molkereien helfen ihren Milcherzeugern dabei, wenn sie das denn wollen. Verschiedene Programme werden derzeit aufgebaut. Vor Corona war die Nachfrage nach Börsengeschäften allerdings schon klein und jetzt geht sie bei schlechten Terminkursen gegen Null. Meiner Meinung nach haben einige mit dem Abschluss zu lange gewartet.
Ich bin überzeugt davon, dass Festpreismodelle zunehmen werden, vor allem Back-to-Back-Geschäfte, bei denen Milchlieferanten, Molkereien und Kunden der Molkereien Interesse an stabilen, planbaren Preisen haben. Der Landwirt kann Preisspitzen dann natürlich nicht mitnehmen, und darin liegt bisher das Problem: In so einer Marktphase schmerzt der Blick zum Nachbarn, der kein Termingeschäft abgeschlossen hat. Da braucht es ein Umdenken.“
Zum Standort Deutschland: „Die größten Milchwerke Europas stehen in Deutschland. Allerdings sind die Deutschen keine ausgesprochenen Feinschmecker wie zum Beispiel die Franzosen oder Italiener. Deshalb produzieren wir relativ wenige Spezialitäten im hochpreisigen Segment. Nachholbedarf haben wir sicherlich auch in der Internationalisierung und beim Export in Drittländer. Der Russlandboykott hat uns zurückgeworfen.
Dennoch sind die Aussichten für die deutsche Milchwirtschaft für die nächste Dekade nicht so schlecht, wie viele uns das glauben machen wollen. Allerdings geht der Strukturwandel weiter, unter den Molkereien und bei den Milcherzeugern. Die Tierhaltung wird sich verändern. Die ganzjährige Anbindehaltung gehört abgeschafft. Wir brauchen mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung durch Innovationen. Daran müssen wir arbeiten.“