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Weide für Trockensteher?

Trockensteher auf die Weide und fertig? Das funktioniert nicht! Nährstoffversorgung und Organisation müssen stimmen, um größere Verluste in der Folgelaktation verhindern zu können.

Weidehaltung für Trockensteher wird kritisch bewertet. Denn eine den Empfehlungen entsprechende Nährstoffversorgung ist hier kaum umzusetzen – mit den bekannten Folgen in der Frühlaktation (Ketose, Hypokalzämie, Leistungsdepression).
Dennoch veranlassen nicht mähfähiges Dauergrünland, Produktionsvorgaben (Bio) oder der Wunsch, die Vorteile von Weidegang zu nutzen, Milcherzeuger immer wieder dazu, ihre trockenstehenden Kühe auf die Weide zu schicken. Im Sinne einer möglichen Optimierung haben wir Experten aus der Praxis nach ihren Erfahrungen und Empfehlungen zu Weidegang für Trockensteher gefragt.

Woran kann es scheitern?

Allem voran an der Nährstoffversorgung, darin sind sich Fütterungsberater und Tierärzte einig. Besonders die Futterwechsel TMR – Frischgras – TMR und die Nährstoffschwankungen sind problematisch:

  • Futterumstellung: Fällt eine Futterkomponente weg, sind die Pansenorganismen, die sich auf diese Komponente spezialisiert haben, nach zwei bis drei Tagen selbst verdaut. Bis sich die Mikroorganismen im Pansen auf eine neue Komponente eingestellt haben, dauert es dagegen rund drei Wochen. Die Konsequenz daraus ist eine zeitweise Unterversorgung der Kuh. „In der Folge kommt es mindestens zu einer vorzeitigen Fettmobilisation“, erklärt Dr. Birgit Schwagerick (LKV Mecklenburg-Vorpommern). „Diese verstärkt sich nach der Kalbung, da die Umstellung von Weide auf die Anfütterungsration die Pansenflora zum zweiten Mal kräftig stört.“ Die Tierärztin sieht dieses Problem vor allem im Hochleistungsbereich als bedenklich. „10.000 kg Milch und mehr bei guter Tiergesundheit zu erreichen, setzt einen sehr fein ausbalancierten Pansenstoffwechsel voraus.“ Weidehaltung für Trockensteher kommt für sie daher nur für weniger milchleistungsbetonte Rassen infrage.
  • Nährstoffschwankungen: Es gibt Versorgungsempfehlungen für Früh (far-off)- und Spät (close-up)-Trockensteher. Bereits mit TMR-Rationen ist es eine Herausforderung diese zu treffen und zu halten. „Auf der Weide finden Trockensteher dagegen jeden Tag eine neue Futtergrundlage vor, auf die sie sich einstellen müssen“, erläutert Dr. Heinz Janowitz (praktizierender Tierarzt, NRW). Je nach Fläche, Witterung und Aufwuchshöhe kann sich der Protein-, Energie-, Zucker- und NDF-Gehalt täglich ändern.

Der Tierarzt erklärt: „Die hohen Energie- und Proteingehalte junger Aufwüchse führen zu einer geringeren TM-Aufnahme und damit zu einem kleineren Pansenvolumen. Gerade dann, wenn viel Fläche zur Verfügung steht und die Kühe nur die Grasspitzen fressen.“ Am besten funktioniert Weidegang Janowitzs Erfahrung nach in trockenen Sommern, wenn die Kühe das Gras praktisch wie Heu vom Halm fressen. „Dann beobachten wir gute Pansenfüllungen, Schichtungen und Kotkonsistenzen.“

  • Falsche Nährstoffversorgung: Mit ca. 6,0 bis 7,0 MJ NEL und 152 g nXP/kg TM passt Frischgras im jungen Wiesenbestand nicht zu den Fütterungsempfehlungen für Frühtrockensteher von 5,4 bis 5,8 MJ NEL und 100 bis 125 g nXP/kg TM. „Wenn es dann noch kleereiche Bestände sind, wird es ganz heikel“, Herman Bunte (Bio-Fütterungsberater, Reudink), kennt das Problem. „Auf extensiveren Weiden hat man dagegen eher eine Möglichkeit mit Frühtrockenstehern zu grasen. Für Kühe, die zu fett sind und länger als sieben Wochen trockenstehen, kann so eine extensive Weide sogar von Vorteil sein.“

Am Ende der Saison drohen bei Herbstweide auf schlechtem Dauergrünland durch eine Proteinüberversorgung vermehrt Energiemangel und Körperkonditionsverluste. Dominik Bützler (Fütterungsberater LandVET-QPlus, NRW) rät daher dazu, nach Anfang September keine trockenstehenden Kühe mehr auf die Weide zu bringen. Er sammelte die Erfahrung, dass hier nach, aufgrund der nachlassenden Nährstoffversorgung, vermehrt Leistungsdepressionen und stoffwechselbedingte Probleme in der folgenden Laktation auftreten.

  • Zu viel Kalium: „Für die close-up- bzw. Transit-Kühe enthält das Gras von intensiven Weiden zu viel Kalium, der bedeutendste Auslöser von Milchfieber“, erklärt Herman Bunte. Kaliumgehalte im Frischgras können sehr unterschiedlich ausfallen. So liegen sie bei Wiesengras durchaus bei 24 bis 26 g/kg TM und bei Kleegras bei 35 g/kg TM – empfohlen werden für Trockensteher Werte unter 15 g/kg TM! Eine übermäßige Kaliumversorgung führt zu einem vermehrten Auftreten von subklinischem bzw. klinischem Milchfieber. Das Kaliumniveau über etwaige Frischgrasanalysen oder Bodenproben abschätzen zu wollen, hält Dr. Heinz Janowitz für unrealistisch, da auch dieses stark schwanken kann.

 

 

Zwischenfazit: 3 Wochen Anfütterung

Neben dem Training der Mikroorganismen im Pansen erfordern auch die Kalium-, Magnesium- und Kalziumgehalte eine mindestens dreiwöchige Anfütterungsphase mit einer entsprechenden Ration.

„Die DCAB (Kationen-Anionen-Bilanz) ist auf die Kalbung vorzubereiten, um eine Häufung von Milchfieber und subklinischen Hypokalzämien zu vermeiden“, erläutert Dr. Heinz Janowitz. „Wird zu kurz angefüttert, erhöhen sich regelmäßig die Inzidenzen von Nachgeburtsverhaltung, Ketose und Labmagenverlagerung. Die Folgen eines untrainierten Kalziumhaushaltes sowie von übermäßigem Fettabbau bzw. Energiemangel.“

Weidehaltung ohne Zufütterung sollte wenn dann nur mit Frühtrockenstehern und einer Anfütterung in der Transitphase praktiziert werden.

Hitze, Management & Aufwand…

Dann gibt es noch drei weitere Knackpunkte:

  • Extremwetter: Hitzestress oder Dauerregen erschweren das System Weidehaltung zusätzlich. Hitzestress wirkt sich sowohl negativ auf die Kuh, als auch auf ihr ungeborenes Kalb in der späteren Leistungsfähigkeit aus. Eine Vergleichsstudie zeigt, dass obwohl im Boxenlaufstall ein höherer THI (Temperature Humidity Index) als auf der Weide gemessen wurde, die Kühe im Stall mit Schatten und Ventilatoren besser zurecht kamen (bewertet anhand geringerer Atemfrequenzen; Black and Krawcel, 2016). Regenperioden machen den Kühen insbesondere in der Verdauung zu schaffen. Gut befestigte Unterstände im Außenbreich neu zu bauen ist kaum möglich.
  • Schlechte Organisation: Ein rechtzeitiges und lang genug erfolgendes Anfüttern (siehe oben) sowie die Tierkontrolle erfordern Disziplin und einen sehr guten Überblick darüber, auf welcher Weide sich welche Kühe in welchem Trächtigkeitsstadium gerade befinden. Der Abkalbetermin ist dabei eine relative Unbekannte. Es gilt: Generell sind vier Wochen Anfütterung besser als nur zwei Wochen oder es ganz versäumt zu haben.
  • Hoher Arbeitsaufwand: Die regelmäßige Tierkontrolle, das Raus- und Reinbringen, Maßnahmen zur Parasitenprophylaxe, Umweiden, Zäunen, Weidepflege, Wasserversorgung und eventuelles Zufüttern kosten sehr viel mehr Arbeitszeit, als eine Betreuung der Kühe im Stall.

 

Es gibt auch Vorteile!

Weidegang kann aber durchaus in Sachen Fitness und Vitalität punkten. Die Kühe sind unter guten Bedingungen auf der Weide aktiver, als in einem (unterbelegten) Liegeboxenlaufstall. Weiden ist gleich Bewegung. Dazu wurde ein positiver Effekt auf den Gang und die Klauengesundheit sowie ein hoher Liegekomfort festgestellt. „Die Klauen reinigen sich und trocknen ab und der Liegekomfort ist hoch – gute Bodenverhältnisse vorausgesetzt“, weiß Dominik Bützler. Die erwähnte Vergleichsstudie zeigte auch, dass die Trockensteher auf der Weide mit erfolgter Zufütterung weniger Konkurrenzstress an den Fressplätzen hatten, als die Kühe im sogar unterbelegten Boxenlaufstall. Viel Licht (gute Versorgung mit Vitaminen, natürliches Vitamin D3) und die saubere Luft sind weitere Effekte, die der Aufenthalt unter freiem Himmel mit sich bringt.

Dr. Heinz Janowitz sieht die genannten Vorteile insbesondere als Nutzen für ältere Kühe. „Allerdings müssen wir uns auch fragen, ob unsere Stalldesigns älteren Kühen überhaupt gerecht werden oder der Komfort hier für ältere Kühe einfach zu schlecht ist“, wendet er ein. „Liegeboxen für Trockensteher sind häufig zu klein. Die Fressplätze nicht ausreichend, das verursacht schwankende TM-Aufnahmen und ebenso wie häufiges Gruppenwechseln auch Stress. Dazu sind die Laufwege in den Ställen vielleicht zu hart oder rutschig.“ Als perfekte Lösung empfiehlt der Tierarzt in puncto Komfort daher einreihige Trockensteher-Ställe mit gummierten Laufflächen und eine Klauenpflege vor dem Trockenstellen.

Gibt es eine Kompromisslösung?

„Optimal wäre es, wenn die trockenen Kühe draußen laufen können, auf einer Art Jogging-Weide oder Paddock, ihre angepassten Rationen aber kontrolliert im Stall fressen“, findet Herman Bunte, ähnlich sieht es Dr. Birgit Schwagerick. Und das gilt nicht nur für konventionelle Herden, sondern auch für Ökoherden: „Auch auf Bio-Betrieben sehen wir eine ständige Steigerung der Milchleistung, die Transitfütterung wird damit immer wichtiger. Und das auch, weil die eingeschränkten Prophylaxe- bzw. Therapiemöglichkeiten in der ökologischen Milchkuhhaltung den ganzen Komplex noch erschweren.“

Dr. Heinz Janowitz rät zu einer ähnlichen Kompromisslösung: „Eine Auslaufweide ohne nennenswerten Aufwuchs unter Zufütterung einer Trockensteherration – über eine überdachte, bodenbefestigte Futterstelle mit Fressgitter!“ Er erklärt, dass eine Fütterung in einem an die Auslaufweide angebundenen Stall häufig problematisch ist, weil die Ein-/Austriebe in den Stall sehr schlecht zu befestigen sind. Die Nadelöhre entwickeln sich unter entsprechend nasser Witterung schnell zu verkoteten Matschlöchern, die durchaus das Potenzial haben, Brutnester für bakterielle Klauenerkrankungen zu werden.


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