Eine am Bedarf der Einzelkuh ausgerichtete Klauenpflege kann Lahmheiten besser vorbeugen als ein Herdenschnitt alle fünf Monate. So kann der Umstieg gelingen.
Die Klauengesundheit verbessern, dass ist das Ziel vieler Milcherzeuger. Die Ansatzpunkte stecken im Haltungs- und Betreuungsumfeld der Kühe und im Ablauf der präventiven Klauenpflege.
In der Praxis überwiegt der Bestandsschnitt an zwei bis drei Terminen pro Jahr. Die Termine lassen sich im Herdenmanagement einfacher organisieren und es erlaubt den Klauenpflegern oft noch ein effizienteres, gleich pro Kuh günstigeres Arbeiten. Genau hier sehen Prof. Dr. Alexander Starke und Heino Westermann Verbesserungspotenzial! Die beiden pflegen Klauen und beraten Milcherzeuger, teils gemeinsam, in Herden von dreißig bis über tausend Kühen.
Ihren Erfahrungen nach lassen sich Klauenerkrankungen und Lahmheiten gezielter vorbeugen, wenn das Pflegeintervall am Bedarf der Einzelkuh ausgerichtet wird. Denn:
Je nach Gesundheit, Leistung und Alter haben Kühe andere Ansprüche an die Klauenpflege. Während eine klauengesunde Kuh mit zwei bis drei Kontroll- und Pflegeterminen pro Jahr zurechtkommen kann, kann eine klauenkranke Kuh über fünf inkl. Nachbehandlungen und vorbeugenden Korrekturen benötigen. Für hochleistende, alte und vorbelastete Kühe sind mind. drei Termine pro Jahr eine Versicherung: Je früher Probleme behoben werden, desto geringer ist das Risiko, dass diese Kühe eine schwere Lahmheit samt Einbußen in Wohlbefinden, Leistung und Kondition entwickeln.
Aus dem kuhindividuellen System ergeben sich je nach Herdengröße monatliche bis wöchentliche, in großen Herden auch tägliche Termine, an denen Klauenpfleger im Betrieb sind und eine kleinere Kuhgruppe durcharbeiten. Durch die häufigere Anwesenheit der Klauenexperten können sich abzeichnende Bestandsprobleme früher erkannt werden. Nach einer gemeinsamen Rücksprache und Analyse lassen sich die zugrunde liegenden Fehler im Haltungs- und Betreuungsumfeld finden (Fütterung, Stallhygiene usw.). Steigt z.B. die Häufigkeit von Mortellaro-Läsionen, helfen nicht allein Verbände am Einzeltier. Passt der Milcherzeuger gleichzeitig das Klauenbad an und optimiert ggf. die Stallhygiene oder andere Stressfaktoren, ist die Chance auf langfristig gesündere Klauen am größten. Es wird einfacher Probleme und Erfolge wahrzunehmen, wenn immer eine Person aus dem Betrieb während der Klauenpflege dabei ist.
Dadurch, dass immer nur eine kleine Kuhgruppe pro Termin in die Klauenpflege geht, kann sich der Stress in der Gesamtherde reduzieren. Kühe ohne Pflegebedarf werden bei guter Organisation bestenfalls gar nicht gestört.
Aufgrund der positiven Effekte sollten die Kosten der Klauenpflege auf den Liter Milch und die Remontierung statt pro Kuh umgelegt werden. Die vermuteten erhöhten Kosten sind dann mittelfristig doch nicht mehr so hoch.
Die Kosten für die Klauenpflege werden durch die kuhindividuelle Pflege mittelfristig nicht sinken. Aber die Gesundheit der Kühe verbessert sich und damit ihre Leistungsfähigkeit.“
Heino Westermann
Klauenpfleger, Tierärzte und Milchkuhhalter auf Augenhöhe
Heino Westermann arbeitet ca. eine Woche pro Monat in der Klinik für Klauentiere an der veterinärmedizinischen Universität Leipzig mit. Die Klauenpfleger unterstützen die Tierärzte in der Arbeit und bei der praktischen Ausbildung der angehenden Tierärzte. Dabei versorgt das Team rund um den Klinikleiter Prof. Dr. Alexander Starke nicht nur Rinder im der Klauenklinik sondern betreut auch Praxisbetriebe in der regulären Klauenpflege.
Die Zusammenarbeit in Leipzig ist vorbildlich, denn sie fördert die Arbeit und Kommunikation auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten: Milcherzeuger, Klauenpfleger und Tierarzt. Aus dieser Zusammenarbeit gehen immer wieder Ideen zur Optimierung der Klauengesundheit hervor. Aktuell wird etwa daran gearbeitet, wie sich funktionale aber einfache betriebsindividuelle Behandlungsbereiche außerhalb der eigentlichen Stallbereiche einrichten lassen.
Der Weg weg vom Bestandsschnitt
Doch wie organisiert man eine Herde in ein kuhindividuelles Klauenpflegeintervall? Die für die kuhindividuelle Klauenpflege erforderlichen monatlichen bis täglichen Termine organisiert zu bekommen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch es ist machbar – für Besamung, TU und Trockenstellen muss das schließlich auch gelingen! Entscheidend ist es, die erforderlichen Strukturen im Vorfeld gut vorzubereiten.
Als Erstes steht bei allen Überlegungen ein Gespräch mit dem Klauenpfleger an. Nicht jeder ist dazu bereit, Kunden in einem kuhindividuellen System zu betreuen. Und eine Umstellung kann erfolgreich nur in enger Zusammenarbeit zwischen Milchkuhhalter, Klauenpfleger und Bestandstierarzt in den folgenden Punkten gelingen:
Die nötigen Einzeltierdaten beschaffen
Es reicht nicht, sich für die individuellen Termine pro Kühe allein an den Laktationsabschnitten zu orientieren.“
Heino Westermann
Den Bedarf einer Kuh zur Klauenpflege zu bestimmen, erfordert mehr als eine Einteilung nach Laktationsabschnitt. Zusätzlich sind der jeweilige Klauengesundheitsstatus der Einzelkuh (Befunde, Lahmheit), Milchleistung und Alter sowie ggf. ihre Körperkondition – sprich Einzeltierdaten – einzubeziehen. Einen Vorteil haben diesbezüglich Betriebe, die bereits eine digitale Dokumentation der Klauenbefunde und Nachbehandlungstermine auf Einzeltierebene von ihren Klauenpflegern erhalten. Und diejenigen, die ein regelmäßiges Lahmheitsscoring durchführen.
Für jene, die nur über die Laktationsdaten verfügen, empfehlen die Experten folgendes Vorgehen:
Einen Termin für einen letzten Bestandsschnitt machen.
Unmittelbar vor aber nicht am selben Tag des letzten Bestandsschnittes ein Lahmheitsscoring mit Dokumentation pro Einzeltier durchführen, samt Trockenstehern (ggf. mit Notiz zur Körperkondition). Tipp: Die App „Locomotion Scorer App der Universität Wisconsin” nutzen. Vorab das Beurteilungsverfahren erlernen und eine Kuhliste vorbereiten. Hilfreich kann es sein, die Kühe das erste Mal gemeinsam mit dem Tierarzt oder auch Klauenpfleger zu scoren.
Während des letzten Bestandsschnittes die Klauenbefunde und Nachbehandlungstermine pro Kuh dokumentieren. Dazu pro Klauenpflegestand eine Person aus dem Betrieb „abstellen“, die auf einer Kuhliste die Informationen notiert, die der Klauenpfleger durchgibt.
Betriebe, die über keine Herdenmanagement-Software verfügen, können die anfallenden Einzeltierdaten durchaus erfolgreich angegliedert an ihr etabliertes System an Kuhliste oder Kuhkartei dokumentieren – im Prinzip genauso, wie die Planung und Buchführung zu TU und Trockenstellen.
Das Bereitstellen der Kühe räumlich organisieren
Ein fester Behandlungsbereich für die Klauenpflege außerhalb vom eigentlichen Stallbereich ist ideal für die häufigeren Termine im kuhindividuellen System.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Im Vorfeld vorzubereiten ist auch, wie die kleinen Kuhgruppen zur Klauenpflege aus der Herde selektiert werden und das monatlich bis täglich! Die Kühe müssen stressfrei bereit stehen, kein Klauenpfleger will warten, wenn pro Kuh abgerechnet wird.
In Ställen, die über eine Autoselektion und einen Selektionsbereich verfügen ist das einfach, für jene ohne schwieriger: Manche haben die Möglichkeit, die Kühe manuell aus dem Rücktrieb vom Melken in einen Aufenthaltsbereich zu bringen.
Anderen bleibt nur die Option, die benötigten Kühe über das Fressgitter zu selektieren und durch den Stall in den Wartebereich für die Klauenpflege zu treiben. Was beim Aussortieren von zwei, drei Kühen gut machbar sein mag, wird bei durchaus 30 Kühen pro Klauenpflegetermin zur Stresssituation! Zur Vereinfachung leicht bedienbare, temporäre Hubschranken oder Schiebetore entlang der Treibwege durch den Stall installieren – Tipps finden Sie im Artikel „Das Tor, dein Freund und Helfer“.
Der Wartebereich, aus dem die Kühe dem Klauenpflegestand stressfrei zugeführt werden, sollte sich abseits von Fress- und Liegebereich befinden. Temporär möglich: Wartebereich, Rücktrieb Melkstand. Tabuzonen sind: Abkalbebereich und Krankenstall.
In bestehenden Stallgebäuden ist Kreativität gefragt, um die Kühe in kleinen Gruppen zur regelmäßigen Klauenpflege in einem ruhigen Stallbereich unterzubringen.
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Die Terminzuteilung pro Kuh
Und in welcher Reihenfolge stellt man die Kühe nach dem letzten Bestandsschnitt vor? Das System baut sich langsam auf, doch besonders die erste Zuordnung der Kühe erfordert Konzentration – nehmen Sie sich Zeit. Für Milcherzeuger, die über kein Herdenmanagementprogramm verfügen, ist die Bearbeitung auch mit handschriftlicher Dokumentation möglich, wenn auch aufwendiger. An den nachfolgenden Punkten können Sie sich orientieren.
Ein Klauenpfleger kann 35 bis 40 Kühe pro Tag pflegen. Je nach Anzahl der Klauenpfleger gibt das das Maximum an Kühen pro Termin vor. Abhängig von Herdengröße und Klauengesundheit ergibt sich aus der folgenden Zuordnung der Kühe der erforderliche Turnus an Terminen:
Für den ersten kuhindividuellen Termin werden zunächst alle Kühe eingeplant, die im letzten Bestandsschnitt zur Nachbehandlung vorgemerkt wurden. Und alle Kühe, die durch Lahmheit aufgefallen sind (ab L2 – „leicht lahm“). Der erste kuhindividuelle Termin sollte also spätestens vier Wochen nach dem letzten Bestandsschnitt erfolgen. Hinzu kommen die Kühe, die als nächstes nach Laktationsabschnitt, Leistung und Vorgeschichte anstehen:
Für durchschnittlich leistende Kühe (<10.000 kg Laktationsleistung) beraumt man zunächst alle fünf Monate Pflegetermine für die Klauen plus einem Zwischentermin zur Kontrolle an. Der erste Termin im Laktationsverlauf ist bei diesen Kühen sowie unauffälligen Färsen ab dem 80. Laktationstag anzusetzen.
Für hochleistende Kühe werden drei Termine pro Jahr eingeplant. Sie sollten dem Klauenpfleger das erste Mal ab dem 14. bis 28. Laktationstag zur Kontrolle (nicht zwingend Klauenschnitt!) vorgestellt werden.
Der zweite Kontroll- und Pflegetermin im Laktationsverlauf ist je nach Zwischenkalbezeit mittig in der Laktation zu platzieren.
Der dritte Termin erfolgt ein bis drei Wochen vor dem Trockenstellen. Hierbei bedenken, dass ein Verband nach drei Tagen abzunehmen ist und eine Kuh mit Klotz nach vier Wochen zur Nachkontrolle muss.
Für ältere Kühe (>4./5. Laktation) und chronisch klauenkranke Kühe werden ebenfalls mindestens drei Termine pro Jahr einkalkuliert. Es können auch mehr als fünf Termine möglich sein, „wenn die Kuh es braucht“.
Für den weiteren Verlauf ist es wichtig, neu-lahme Kühe in den Rhythmus größer drei Kontroll- und Pflegetermine zu nehmen. Ein regelmäßiges Lahmheitsscoring sollte beibehalten werden.
Neu-lahme Kühe dürfen nicht unversorgt bis zum nächsten Klauenpflegetermin bleiben. Es muss eine sachkundige Person im Betrieb geben, die einen Mortellaro-Verband legen, Druckstellen öffnen und entlasten sowie Klötze kleben kann. Nach der Erstversorgung wird die Kuh im nächsten regulären Klauenpflegetermin mit vorgestellt.
Nachbehandlungstermine (z.B. bei Sohlengeschwür mit geklebtem Klotz spätestens in vier Wochen) können bei der kuhindividuellen Terminplanung besser eingehalten werden.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Das Management im Betrieb muss mitziehen. Kein Klauenpfleger kann gegen die Folgen von Überbelegung und schlechter Stallhygiene anarbeiten.“
Heino Westermann
Eine Umstellung in der Klauenpflege sollte gleichzeitig als gute Chance genutzt werden, das ganze System um die Kuh anzuschauen und zu analysieren. Eine Zusammenarbeit mit Klauenpfleger und Tierarzt ist hier sinnvoll.
Zu empfehlen ist daher nach jedem Klauenpflegetermin eine kurze Rücksprache zwischen Klauenpfleger und Tierhalter zu den Befunden und allgemeinen Eindrücken. Besser noch ist es, wenn immer eine für die Kühe verantwortliche Person aus dem Betrieb während des kompletten Termins mit an den Klauenpflegeständen dabei. Das hilft bestehende Probleme wahrzunehmen und nachzuvollziehen.
Checkliste zur Umstellung auf kuhindividuelle Klauenpflege
| Absprache mit dem Klauenpfleger: Nicht jeder Klauenpfleger ist bereit dazu, Kunden in der kuhindividuellen Klauenpflege zu betreuen. Und in Herdengrößen unter 100 Kühen können aufgrund der geringeren Auslastung in kuhindividuellen Terminen höhere Kosten pro Kuh anfallen.
| Selektion und Behandlungsbereich organisieren: Monatlich bis wöchentlich müssen Kleingruppe an Kühen zur Klauenpflege vorgestellt werden. Um das stressfrei umzusetzen sind ohne Autoselektion und festen Selektionsbereich temporäre Torlösungen im Stall notwendig.
| Lahmheitsscoring auf Einzeltierbasis: Die Zuordnung der Kühe in die monatlichen/wöchentlichen bis täglichen Termine erfolgt nach Bedarf. Vorhandene Lahmheiten sind zu berücksichtigen.
| Letzter Bestandsschnitt mit Befunddokumentation auf Einzeltierbasis und Festlegung der erforderlichen Nachbehandlungstermine (z.B. bei Sohlengeschwür mit geklebtem Klotz spätestens in vier Wochen). Die Daten sind ausschlaggebend für die Bedarfsermittlung. Verfügt der Klauenpfleger nicht über eine digitale Dokumentation, ist diese auch handschriftlich in einer guten Kuhliste machbar
| Terminplanung: Die Herde muss das erste Mal anhand von Laktationsabschnitt, Leistung, Alter und Klauenstatus für das Jahr durchgeplant werden. Auch das funktioniert in einer guten Kuhliste/Kartei handschriftlich.
| Management: Um die Klauengesundheit zu verbessern, sind auch Haltung und Betreuung der Kühe im Betrieb zu optimieren. Die Anwesenheit bei der Klauenpflege und Rücksprachen pro Termin helfen, Probleme zu erkennen.