Scandinavian Dairy Tour

Offenstall im kalten Norwegen ohne Frostschutz-Garantie

Ole Paulsen setzt Dinge um, von denen er überzeugt ist. Auch wenn, wie bei seinem Stallbau, alle davon abraten. Macht ihn gerade das so erfolgreich?

Als letzten von sechs besichtigten Milchkuhbetrieben in Norwegen sind wir bei Ole Paulsen in Stange, gute 100 km nördlich von Oslo. Hier steht ein Kuhstall mit offener Bauweise von 2016 – absolut untypisch für das Land. Die Seiten sind halbhoch gemauert. Darüber sind Curtains, die zum aktuellen Zeitpunkt aufgerollt sind damit viel Luft in den Stall  „Niemand wollte uns garantieren, dass der Stall im Winter nicht einfriert“, erzählt der Betriebsleiter. Doch mit isoliertem Baumaterial und dem Schließen der Seitencurtains ab -15°C und dem First ab -20°C funktioniert auch im Winter alles. Ole Paulsen sagt, dass ihm der offenen Stallbau für die Tiergesundheit als auch für das Arbeiten besonders wichtig war: „Ich bin mir sicher, dass die offene Bauweise für die Kühe deutlich besser ist als die ‚typische norwegische‘ Bauart! Das Licht und die frische Luft sind wichtig für die Kuhgesundheit!“
  • 50 Norwegian Red-Kühe, Nachzucht und 20 Mutterkühe
  • 10.200 kg ECM
  • 22 kg Kraftfutter pro 100kg ECM
  • 60 ha Land

Nur über eine Hygieneschleuse gelangt man in den Stall. (Bildquelle: Simon)

Mein Wunsch ist eine gesunde Kuh, die alleine im Roboter melkt!
Ole Paulsen
Zusammen mit seinem Vater gehört Ole Paulsen der Milchkuhbetrieb mit 50 Norwegian Red-Kühen, 20 Mutterkühen und der weiblichen Nachzucht. Zusätzlich bewirtschaften sie 60 ha Land und pressen für andere Landwirte etwa 4.000 Ballen pro Jahr. Deshalb haben sie auch im Sommer und an den Wochenenden eine Aushilfe für die Kühe.

Ole Paulsen hält zusammen mit seinem Vater 50 Norwegian Red-Kühe, deren Nachzucht, Mutterkühe und bewirtschaften zusätzlich 60 ha Land. (Bildquelle: Simon)

2016 Stalleinzug in Liegeboxenlaufstall

Als Ole Paulsen auf dem Betrieb seines Vaters anfing, gab es acht Kühe in Anbindehaltung. Nachdem 2006 der Bau eines Strohstalls mit Melkstand erfolgte, wurde schon 10 Jahre später ein neuer Liegeboxenlaufstall mit Melkroboter, Separationsbereich und drei Strohbuchten für die Abkalbungen gebaut. „Ich wollte nicht jeden Tag insgesamt fünf Stunden für das Melken und das Säubern des Melkstand einplanen“, erinnert sich der junge Betriebsleiter.
Durch eine Hygieneschleuse gelangt man in den Stall. Direkt anliegend sind drei quadratische Strohbuchten für die Abkalbungen der Kühe. „Den Abkalbebereich haben wir bewusst hier geplant. Hier geht man immer her wenn man zu den Kühen möchte. Daher ist die Kontrollintensität in diesem Bereich am besten“, erklärt Paulsen. Strohbuchten zum Abkalben- wieder anders als die in Norwegen sonst üblichen Gummimatten!

Die Abkalbeboxen liegen direkt neben der Hygieneschleuse. So ist ein enges Kontrollintervall gegeben. (Bildquelle: Simon)

Durch den schmalen Gang entlang der Abkalbeboxen gelangt man auf den Futtertisch, auf dem gerade ein Anschieberoboter anfährt und die Grassilage gemischt mit etwas Stroh zur Strukturwirkung anschiebt. Nach den Strohbuchten folgt ein kleiner Separationsbereich mit Liegeboxen direkt am Roboter, der zentral im Kuhstall liegt. Ein weiter Blick in den Kuhstall und es sticht eine dichtgedrängte Kuhgruppe am anderen Ende des Stalls neben den Weideausgängen ins Auge. Näher kommend sieht man die Kühe aus einer großen Wanne in der Ecke saufen. Das Becken ist mit einem bräunlichen, flüssigen Inhalt gefüllt: „Wir bekommen die flüssigen Abfallprodukte der Speisekartoffelproduktion und die Reste der Aquavitproduktion. Etwa 70 Liter trinkt jede Kuh pro Tag.“

70 Liter trinkt jede Kuh täglich von den flüssigen Abfallprodukten der Speisekartoffelproduktion und den Resten der Aquavitproduktion. (Bildquelle: Simon)

Ole Paulsen sagt, dass die Menge, die er von dem Speisekartoffelhersteller abnehmen kann von der Produktion abhängt. Wenn weniger Kartoffel-Wasser angeliefert wird, merke er das aber direkt an sinkenden Milchleistungen der Kühe. Zusätzlich erhalten die Kühe bis zu maximal 11 kg Kraftfutter über den Melkroboter und die Station. Pro 100 kg ECM benötigt der Milcherzeuger 22 kg Kraftfutter. Die Milchleistung der Herde liegt bei 10.200 kg ECM. Die Zellzahl lag im letzten Jahr bei durchschnittlich 123.000 Zellen/ml. Beim Trockenstellen kommen nur antibiotischen Tuben zum Einsatz, wenn die Laboruntersuchung einen Erreger in den Viertelgemelksproben feststellt.

 Inhomogene Herde

Die Kühe im Liegeboxenlaufstall unterscheiden sich nicht nur mit den unterschiedlichen Fellzeichnungen der Rasse Norwegian Red, sondern auch in der Größe. Gerade stehen direkt am Futtertisch hinter dem Fressgitter eine extremrahmige große Kuh neben einer im Vergleich dazu sehr kleinen, schmalen Färse. Insgesamt wirkt Ole Paulsens Herde inhomogen was die Größe, Stärke und Tiefe der Kühe angeht- was ihm aber auch nicht wichtig ist: „Die Kühe müssen nicht alle den gleichen Körper haben. Viel wichtiger ist es mir, dass jeder Bulle den ich einsetzte, zu der jeweiligen Kuh passt und sie ausgleicht!“ Die größte Schwäche seiner Herde sieht er bei den Fundamenten. Hier müsse er bei der Bullenauswahl die besten selektieren. Die Herde teilt Paulsen in drei Gruppen: Ein Drittel wird weiblich gesext, ein weiteres konventionell mit Norwegian Red-Bullen und das letzte Drittel mit Angus oder Charolais belegt.

Die Einzelkühe der Paulsen Herde unterscheiden sich größentechnisch extrem. (Bildquelle: Simon)

Die Rinder sind im 2006 gebauten Stroh- und die Kälber im alten Anbindestall untergebracht. Die Kälber bekommen drei Wochen lang acht Liter Vollmilch. Die weiteren fünf Tränkewochen werden sie auf Pulvermilch umgestellt. Die Paulsens genotypisieren ihre weiblichen Kälber. Interessante Jungrinder spülen sie, um mehr Tiere von dieser guten Genetik in Zukunft melken zu können.

Andere Wege gehen

Den etwas anderen Weg zu gehen, zeigt der Stallbau von Ole Paulsen. Wenn Ole Paulsen eine Idee hat, beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema. Er schaut sich die Umsetzung in der Praxis bei anderen Landwirten an, sogar außerhalb Norwegens, wie beispielsweise beim Stallbau. Ist er am Ende überzeugt, setzt er es um: „Grundsätzlich geht es darum ständig etwas zu optimieren. Jeden Tag denke ich zum Beispiel: Wie kann ich mit dem was ich habe mehr Geld verdienen? Oder wie schaffe ich es 100 Stunden weniger zu arbeiten?“

Das hat uns besonders gefallen:

  • Der offenen Stallbau. Beim Vergleich zu den typischen geschlossenen Ställen in Norwegen, wird der Einfluss von Licht und Luft nochmal ganz anders bewusst wird.
  • Den Mut auch mal was anders zu probieren- auch wenn ihm alle von abraten.
  • Die Kondition der Kühe.

Info Milchproduktion Norwegen:

Norwegen ist wohl das einzige Land, in dem nicht die Rasse Holstein-Friesian dominiert. Die meisten Milcherzeuger melken Norwegian Reds, eine Doppelnutzungsrasse. 90% aller Kühe im Land gehören zu dieser Rasse. Sie sind etwa 8 cm kleiner als Anglerkühe und weisen sehr gute Gesundheits- und Fruchtbarkeitswerte auf. Reinrassige Tiere findet man eigentlich nur in Norwegen, da sich die einzige Zuchtorganisation im Land, Geno, mit den Landwirten Darauf geeinigt hat, dass es vom Vorteil ist, die Zucht der Rasse weiterhin in der eigenen Hand zu haben. Ausnahme dieser Regelung war der Export von Jungrindern nach Irland für einen Moorversuch.
Die meisten Milchkuhbetriebe melken ihre Kühe an einem automatischen Melksystem mit Weidehaltung. Die meisten Kühe erhalten neben dem Weidegang Grassilage am Futtertisch und Kraftfutter am AMS sowie an einer zusätzlichen Kraftfutterstation.
Durch die strengen Winter mit teilweise bis zu -50°C sind die Ställe geschlossen und mit mechanischer Belüftung sowie gedämmten Dächern ausgestattet.  
Da nur vereinzelt, vorrangig im Süden des Landes, Getreide angebaut wird, ist Stroh ein knappes Gut. Deshalb sind nur Hochliegeboxen in den Laufställen zu finden, die mit Sägespänen zur Bindung der Feuchtigkeit eingestreut sind. Die Kälber wechseln nach der Einzelhaltung oft direkt in Laufställe, mit einer, ebenfalls mit Sägespäne eingestreuten, Gummiliegefläche. Ähnlich sind die Abkalbebreiche gestaltet.
In Norwegen gibt es eine Milchquote zur Regulierung der auf dem Markt bestehenden Milchmenge. Die durchschnittliche Quote pro Betrieb beträgt 240.000 Liter Milch.

Die Sponsoren der Elite Dairy Tour 2023. (Bildquelle: Redaktion Elite)


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