Herdenmanagement

Niedriges Erstkalbealter kann Milchleistung kosten

Die Arbeit an einem niedrigen Erstkalbealter kann übertrieben werden. Die Rechnung an Aufzuchttagen zu sparen, geht bei zu geringen Zunahmen in der Aufzucht nicht auf.

Die Strategie, Rinder möglichst früh in den Melkstand zu bekommen, spricht dafür, dass sie dann aufhören Geld in der Aufzucht zu kosten und beginnen Geld zu verdienen. Doch in den Augen von Tierarzt Gavin Staley, Reproduktionsspezialist, kann es bezüglich eines niedrigen Erstkalbalters (EKA) auch übertrieben werden. Er hat seine Gedanken zum optimalen Besamungszeitpunkt für Rinder im Vortrag auf der jährlichen Konferenz der Dairy Calf and Heifer Association erläutert.

Nicht auf Kosten der Leistung früh besamen

„Ja, es ist möglich Rinder tragend zu bekommen, sodass sie im Schnitt mit 21 bis 22 Monaten abkalben“, sagt Tierarzt Gavin Staley. „Aber für dieses Erstkalbealter müssen sie auch durchschnittliche Tageszunahmen von 1.100 g pro Tag von der Geburt bis zum Abkalben gehabt haben. Denn anderen Falls werden sie nicht die nötige körperliche Reife entwickeln, die sie für eine gute Trächtigkeit und Laktation benötigen.“
Es darf laut Staley nicht sein, dass Rinder in einem Milchkuhbetrieb so gemanagt werden, dass sie mit 21 Monaten kalben, aber gleichzeitig so aufgezogen wurden, dass sie eigentlich entsprechend ihrer körperlichen Entwicklung erst mit 24 Monaten abkalben sollten.

Es ist möglich Jungrinder sehr früh tragend zu bekommen, der Erstbesamungszeitpunkt muss sich aber an der körperlichen Entwicklung richten. Nur zu einer intensiven Aufzucht passt auch eine frühe Erstbesamung. (Bildquelle: Berkemeier)

Der Besamungszeitpunkt sollte sich an den, in der Aufzucht erreichten, Zunahmen orientieren

Wenn Färsen zu jung abkalben, also nicht die nötige körperliche Entwicklung aufweisen, tragen sie eine erhöhte Inzidenz (Auftretenshäufigkeit) für Probleme in der Kalbung und Transitphase. Sie sind dann damit konfrontiert, die Ressourcen aus der Futteraufnahme und ihrer Körpermasse auf ihr eigenes weiteres Wachstum und die Produktion von Milch zu verteilen. Dabei gilt laut Gavin Staley:
450 g Körperzuwachs pro Tag nach der Abkalbung konkurrieren in etwa mit der Produktion von 3 kg Milch.“
Gavin Staley
Durch diesen Konflikt entstehe ein Leistungsdefizit, dass die Färsen in ihrer Produktionszeit nie aufholen können, auch nicht über die zweite oder dritte Laktation, ist der Reproduktionsspezialist überzeugt.
Der Tierarzt macht seine Empfehlungen an Datenauswertungen von über hundert Milchkuhherden fest. In einer Analyse habe er herausgefunden, dass später besamte Rinder (selbst nur einen Monat/Zyklus später) fast 30 kg Körpergewicht mehr zunehmen, bevor sie tragend wurden. In der ersten Laktation übertrafen diese, mit einem höherem Gewicht besamten, Färsen ihre früher besamten Herdenkolleginnen aus demselben Jahrgang um 1,5 bis 2 kg Milch pro Tag.

Langfristig sinkt das Leistungsniveau der Gesamtherde

Werden Färsen in einem Betrieb kontinuierlich zu früh, also körperlich noch nicht ideal entwickelt, besamt, kann langfristig das Leistungsniveau der Gesamtherde sinken. Beziehungsweise werden mindestens mögliche Leistungssteigerungen über Genetik oder eine optimierte Fütterung durch diesen Managementfehler zu Nichte gemacht. Denn für die Jungkühe werden Altkühe aus der Herde genommen und „relativ schnell bekommt man eine ganze Herde von lebenslangen ‚Unter-Preformern‘“, erklärt Staley.
Eine giftige Kombination sind, laut dem Tierarzt, Herden, in denen die Rinder unterentwickelt besamt werden, eine sehr gute Reproduktionseffizienz haben (Rinder werden mit der ersten Besamung tragend) und zeitgleich weit über den Remontierungsbedarf hinaus mit weiblich gesextem Sperma arbeiten. So gibt es laut Staley Herden, in denen die Erstlaktierenden die Hälfte oder noch mehr der Gesamtherde ausmachen.
Laut ihm gibt es ein gutes Erkennungsmerkmal, das zeigt, in welche Richtung sich die Jahresleistung einer Herde mittelfristig entwickelt: Die 10-Wochen-Milchleistung der Erstlaktierenden.

Den passenden Zeitpunkt zur Erstbesamung kennen und erkennen!

Laut dem Tierarzt sind es nicht wenige Betriebe, die ihre Färsen mit einem durchschnittlichen Alter von 21 bis 22 Monaten das erste Mal abkalben lassen, obwohl diese nur langsamere Wachstumsraten als die von ihm genannten 1.100 g pro Tag über die gesamte Aufzucht umsetzen konnten.
Entsprechend der mittleren Tageszunahmen (TGZ) über den Zeitraum - eigene Geburt bis zur ersten Kalbung - gibt er folgende Empfehlung:
  • Rinder, mit TGZ von 1.100 g können mit 21 Monaten abkalben. Eine Erstbesamung ab dem Alter von 13 Monaten ist möglich.
  • Rinder, mit TGZ von 800 g sollten nicht unter einem Alter von 24 Monaten abkalben. Erstbesamung ab dem Alter von 15 Monaten.
  • Rinder, mit TGZ von 700 bis 800 g sollten nicht unter dem Alter von 25 Monaten abkalben. Erstbesamung ab dem Alter von 16 Monaten.

Jeder Milchkuhbetrieb braucht zwei Waagen – eine für Kälber, eine für ausgewachsene Rinder

Eine Waage zum Überfahren: Ideal um Kälber, aber auch Futterreste oder Sonstiges Material bequem zu wiegen.  (Bildquelle: Berkemeier)

Es ist keine neue Weisheit, dass nicht nach Alter, sondern nach körperlicher Entwicklung erstbesamt werden soll. Trotzdem kommen laut Staley in vielen Betrieben unterentwickelte Färsen in Milch. Entsprechend lautet sein Rat an Milcherzeuger:
  1. Jeder Betrieb braucht zwei Waagen! Um genau zu wissen, welche Tageszunahmen erzielt werden und damit genau zu wissen, welches Erstbesamungsalter ideal für den Betrieb ist, müssen die Tiere gewogen werden. Zur Geburt und spätestens das zweite Mal in der Gruppe der zur Besamung anstehenden Jungrinder. Mehr Infos dazu hier: „Mehr wiegen für die Wahrheit“
  2. Nicht in der Aufzucht sparen: Bemühungen, in der Aufzucht zu sparen, können die körperliche Entwicklung der Rinder behindern und damit ein späteres Besamungsalter zum passenden Besamungszeitpunkt provozieren. Auf der anderen Seite darf es allerdings auch nicht heißen, fette Rinder zu bekommen – hier dient das Messen der Gewichtsentwicklung wiederum als Kontrolle!
  3. Nach Alter nur in Kenntnis der Zunahmen! Nur wenn ein Betrieb die Tageszunahmen seiner Tiere kennt, kann er es sich erlauben, sich auch an dem Alter seiner Rinder zur Besamung zu orientieren. Die Besamungsreife nach Körpergröße und Körperrahmen zu schätzen, ist ohne Kenntnis der Gewichtsentwicklung ebenfalls zu unsicher.
  4. Gewichtskontrolle auch zur Abkalbung: Färsen sollten auch kurz vor oder nach ihrer Abkalbung gewogen werden. Denn das ultimative Ziel sei es laut Staley, dass Färsen kurz nach der Abkalbung 85 % ihres ausgewachsenen Gewichts erreicht haben. Bzw. kurz vor der Kalbung (> 260. Trächtigkeitstag) 95 % ihres ausgewachsenen Gewichts, um das zusätzliche Gewicht vom getragenen Kalb und der Plazenta auszugleichen. Um hier vergleichen zu können, muss wiederum das durchschnittliche Gewicht der ausgewachsenen Kühe der Herde bekannt sein. 

Neben einer Kälberwaage sollte in jedem Betrieb eine Durchtreibewaage für erwachsene Rinder vorhanden sein. (Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)

Fazit: Das oberste Ziel sollte es sein, gut entwickelte, fast erwachsende Färsen so früh wie möglich abkalben zu lassen. Dabei ist es wirtschaftlich das geringere Übel, das Erstkalbealter zu erhöhen! 
Gavin Staley


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