Milchfieber scheint in den meisten Herden ein händelbares Problem zu sein. Denn die schweren Fälle von Gebärparese haben sich in den vergangenen Jahren stetig verringert.
Dadurch können jedoch die Risiken dieser Stoffwechselerkrankung dramatisch unterschätzt werden. Denn neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass mehr als 50 % der mehrlaktierenden Kühe an der subklinischen Form leiden. Das ist den Kühen zwar auf den ersten Blick nicht...
Milchfieber scheint in den meisten Herden ein händelbares Problem zu sein. Denn die schweren Fälle von Gebärparese haben sich in den vergangenen Jahren stetig verringert.
Dadurch können jedoch die Risiken dieser Stoffwechselerkrankung dramatisch unterschätzt werden. Denn neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass mehr als 50 % der mehrlaktierenden Kühe an der subklinischen Form leiden. Das ist den Kühen zwar auf den ersten Blick nicht anzusehen, Verluste bei der Milch und Folgeerkrankungen sind dennoch zu erwarten.
Das Risiko für hochleistende Kühe lässt sich durch verschiedene Fütterungsstrategien reduzieren. So sollen beispielsweise eine calciumarme Fütterung, saure Salze oder der Einsatz von sogenannten Calcium-Bindern den Stoffwechsel der Kühe so trainieren, dass die Tiere zur bzw. nach der Kalbung in der Lage sind, Calcium aus dem Knochen zu mobilisieren (Calcium-Homöostase).
Doch kein Phosphormangel?
In neueren Studien kristallisiert sich ein weiterer Ansatz zur Milchfieberprophylaxe heraus. Auch ein reduziertes Phosphorangebot in der Ration in den Wochen vor (!) der Kalbung stimuliert die Calcium-Homöostase. Das ist ein konträrer Ansatz zur bisher gängigen Lehrmeinung. Denn in der Praxis besteht oft noch die Ansicht, dass eine hohe P-Versorgung in der Zeit vor dem Kalben notwendig ist bzw. ein P-Mangel zu einer Hypophosphatämie führt und damit eine Gebärparese überhaupt erst begünstigt.
Um dem neuen Ansatz auf den Grund zu gehen, haben wir uns die aktuellste Studie von Wächter et al., 2022 (unter Leitung von Prof. Dr. Walter Grünberg von der Universität Gießen in Zusammenarbeit mit dem Hofgut Neumühle) angeschaut und mit Dr. Christian Koch (Direktor Hofgut Neumühle) über mögliche Konsequenzen für die praktische Fütterung gesprochen.
Niedriger als gängige Empfehlung
Um herauszufinden, welchen Einfluss eine restriktive P-Versorgung während der letzten vier Trächtigkeitswochen auf die Calcium-Homöostase hat, erfolgte auf dem Hofgut Neumühle ein Versuch mit trockenstehenden Kühen.
Hierzu wurden 30 hochtragende Kühe in zwei Fütterungsgruppen aufgestallt. Die eine Gruppe erhielt in den letzten vier Wochen vor der Kalbung eine Ration mit einem niedrigen P-Gehalt von 0,16 % der gesamten Trockenmasse (Low Phosphor, LP).
Der anderen Gruppe wurde eine Ration mit einem in der Praxis in Trockensteherrationen gebräuchlichen 0,35 % an der gesamten Trockenmasse (Adequate Phosphor, AP) gefüttert. Nach der Versuchsphase, also nach der Kalbung, fraßen alle Kühe eine Futtermischung mit 0,46 % P (in TM).
Weniger Milchfieberkühe
- Die Kühe, die eine Phosphor-reduzierte Ration erhielten (LP), zeigten vor der Kalbung eine deutlich niedrigere P-Konzentration im Blutplasma (Übersicht 1). Nach dem Kalben lag der Plasma-P-Gehalt bis Tag 4 bei der LP-Gruppe unter den Werten der Kontroll-Gruppe. Es zeigten sich jedoch keine Symptome einer Hypophosphatämie.
- Der Blutplasma-Gehalt an Calcium war in der LP-Gruppe eine Woche vor und eine Woche nach der Kalbung erhöht (Übersicht 2)!
- Die Entwicklung der Blutplasma-Gehalte für Calcium und Phosphor in der Gruppe, die Phosphor restriktiv erhalten hatte (LP), ging mit einer niedrigeren Anzahl an klinischen und subklinischen Fällen von Milchfieber einher.
- Beide Gruppen waren in puncto Milchleistung von im Durchschnitt 12.112 kg in der LP-Gruppe und 12.229 kg in der Kontrollgruppe vergleichbar. Auch die Trockenmasse-Aufnahme war nach der Kalbung identisch.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine restriktive P-Fütterung einen positiven Einfluss auf die Calcium-Homöostase und damit auf die Anzahl der Milchfiebererkrankungen hat.
Ein Schwerpunkt der Cornell Nutrition Conference lag auf der Stoffwechselgesundheit der Kühe. Gerade subklinische Erkrankungen führen zu massiven Verlusten.
Ca und P eng verbunden
Welche Gründe könnte es dafür geben, dass Phosphor die Mobilisierung von Calcium beeinflusst? Dies ist noch nicht vollständig abschließend geklärt. Phosphor liegt zusammen mit Calcium als Hydroxylapatit vor, die Grundsubstanz von Knochen und anderen Hartgeweben.
Wird wenig Phosphor vor der Kalbung gefüttert, könnte die Kuh Phosphor aus dem Knochen und so gleichzeitig Calcium freisetzen. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass ein niedriger Phosphorgehalt im Futter die Calcium-Homöostase anregt.
Lässt sich dieser Ansatz umsetzen?
Die Ergebnisse stimmen positiv. Doch so einfach eine P-Reduzierung scheint, ist sie leider nicht. Denn nach den bisher durchgeführten Versuchen muss davon ausgegangenen werden, dass sich die gezeigte Wirkung auf den Calcium-Stoffwechsel erst bei einer maximal gefütterten Menge von 20 g P pro Tag einstellt.
Dies ist von Seiten der Fütterung jedoch eine nur schwer einzuhaltende Menge. Im vorliegenden Versuch konnte sie nur über die Einschränkung der Futteraufnahme auf 11,5 kg TM erreicht werden. Eine Maßnahme, die so nicht in der Praxis umgesetzt werden sollte, da eine hohe Futteraufnahme rund um die Kalbung weiterhin wichtig für die Stoffwechselgesundheit bleibt! Wir haben deshalb Dr. Christian Koch gefragt, welche Rückschlüsse sich dennoch aus dem Versuch auf die praktische Trockensteherfütterung ziehen lassen. Sein Fazit:
- Grundsätzlich müssen sich Milcherzeuger keine Sorge um eine Unterversorgung von Trockenstehern mit Phosphor machen.
- Auch wenn sich die niedrigen Mengen an Phosphor nur schwer erreichen lassen, sollte dennoch in der Trockenstehphase (!) so wenig Phosphor wie nötig gefüttert werden. Also sollte man auch auf Futtermittel mit hohen P-Gehalten wie z. B. Rapsextraktionsschrot, wenn möglich, verzichten.
- Mineralfuttermittel für Trockensteher sollten kein Phosphor enthalten. Das Grundfutter deckt den Bedarf bereits mehr als ausreichend ab. Zumal man bisher davon ausging, dass nur 70 % des gefütterten Phosphors von der Kuh genutzt werden. Neueste Auswertungen zeigen jedoch, dass die Verwertung mit 80 bis 90 % deutlich höher liegt.
- Um die Menge von nur 20 g Phosphor am Tag zu erreichen, könnte der Einsatz von Calcium- und Phosphorbindern (wie z. B. Zeolith) Sinn machen. In Studien wurde deutlich, dass die Fütterung von Zeolith den Phosphorspiegel im Blut senken kann.
- Nach einer P-armen Fütterung vor der Kalbung ist es sehr wichtig, dass die Kühe in der Laktation Phosphor wieder nach Bedarf erhalten. Frisch- abkalber müssen rasch wieder auf eine Laktationsration mit dem an den Bedarf angepassten Phosphor-Gehalten umgestellt werden.
- Auch bei einer P-reduzierten Fütterung müssen Prophylaxemaßnahmen, wie z. B. die Gabe von Calcium-Boli, berücksichtigt werden.
Ausgebucht: Milchfieber- und Ketoseprophylaxe sind nur einige der Themen, die im Fütterungsseminar „Optimal durch die Transitphase“ behandeln werden.